Genehmigen die Grünen wirklich Straßen durch Naturschutzgebiete?
Straßen werden auch bei der grünen Ministerin freigegeben (...). Manchmal ja auch solche durch Naturschutzgebiete, wie man es in Oberösterreich bei der S10 gesehen hat, gegen Bescheide und Gutachten vom Umweltbundesamt.
Größtenteils falsch
Straßen bauen oder nicht? „Auch E-Autos werden künftig eine Straße brauchen“, lautet die gängige Meinung in der ÖVP. „Geplante Straßenbauprojekte aus dem vergangenen Jahrtausend überdenken“, heißt es von Seiten der Grünen. Aber nicht nur die schwarz-grüne Regierung ist beim Straßenbau uneins.
Auch innerhalb der SPÖ gibt es Unstimmigkeiten, wie etwa beim Bau der Lobau-Autobahn: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) möchte an den Plänen zum Tunnel unter dem Nationalpark Donau-Auen festhalten. SPÖ-Chef Andreas Babler hatte sich in der Vergangenheit gegen das Projekt ausgesprochen, im Duell mit Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auf ORF 2 sagte Moderatorin Susanne Schabl: „Die Wiener SPÖ will das. Sie haben es voriges Jahr gesagt, Sie wollen das nicht.“ Babler antwortete darauf: „Ja, ganz genau und so könnte ich jetzt auch die S10 (Mühlviertler Schnellstraße; Anm.) diskutieren, wo der grüne Landesrat dafür ist, obwohl das durch Naturgebiete geht“, weist der SPÖ-Bundesparteiobmann auf Straßenbauprojekte mit grüner Handschrift hin.
Die Mühlviertler Schnellstraße, die künftig Linz und Prag besser verbinden soll, macht Babler im Duell mit Werner Kogler auch ein zweites Mal zum Thema: „Ich verstehe die emotionale Debatte über einzelne Projekte. Straßen werden auch bei der grünen Ministerin freigegeben (...). Manchmal ja auch durch Naturschutzgebiete, wie man es in Oberösterreich bei der S10 gesehen hat, gegen Bescheide und Gutachten vom Umweltbundesamt“.
Fakt ist: Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat im Jahr 2020 zahlreiche geplante Straßen auf Eis gelegt, um diese Projekte auf Verkehrssicherheit, regionale und wirtschaftlichen Interessen und den „Schutz von wertvollem Boden und der Natur“ zu prüfen.
S10 Mühlviertler Schnellstraße
Die S10 Mühlviertler Schnellstraße ist eine Schnellstraße in Oberösterreich, die unter anderem Linz durch das Mühlviertel bis an die tschechische Grenze verbinden soll. Von der rund 38 Kilometer langen Strecke zwischen Unterweitersdorf und der Staatsgrenze nach Tschechien bei Wullowitz sind bis dato 22 Kilometer (blau markiert) in Betrieb.
Auch Abschnitte der Mühlviertler Schnellstraße waren von der Evaluierung des ASFINAG-Bauprogramms betroffen. Konkret ging es um die Bauabschnitt Mitte (Freistadt Nord – Rainbach Nord) und Nord (Rainbach Nord – tschechische Staatsgrenze).
Die Prüfung kam zum Ergebnis, dass der Bau der Straße aufgrund der geringen Auswirkungen auf Boden und Klima sowie der hohen Entlastungswirkung vertretbar ist. Ausschlaggebend dafür war mitunter, dass die Trasse nicht durch geschützte Gebiete verläuft, wie aus der Umweltverträglichkeitsprüfung aus dem Juli 2021 hervorgeht: „Wie der Sachverständige im Prüfbuch zum UVG festhielt, liegt das gegenständliche Vorhaben flächenmäßig in keinem Schutzgebiet wie z.B. Landschaftsschutzgebiet, Naturschutzgebiet, Europaschutzgebiet oder in geschützte Landschaftsteilen; es sind auch keine Naturdenkmäler gemäß OÖ Natur- und Landschaftsschutzgesetz 2001 durch das gegenständliche Vorhaben betroffen.“
Wie kommt der SPÖ-Parteichef Andreas Babler nun darauf, dass der oberösterreichische Umweltlandesrat Stefan Kaineder (Grüne) und Klimaschutzministerin Gewessler ein Straßenbauprojekt im Naturschutzgebiet durchwinken?
Andreas Babler bezog sich auf eben jene qualitative Analyse, die vom Umweltbundesamt zur „Evaluierung hochrangiger Straßenbauvorhaben in Österreich“ im Jahr 2022 veröffentlicht wurde. Denn darin wird auf die verschiedenen Richtlinien, Strategien, Konventionen und Aktionspläne mit Bezug zu Naturschutz und biologischer Vielfalt eingegangen. Und tatsächlich, bei der S10 führt das Umweltbundesamt das „Grüne Band“ an. Auf dieses Gebiet bezog sich auch Babler im Duell mit Werner Kogler.
Das Grüne Band Europas
Das „Grüne Band“ ist ein Naturgebiet entlang den Grenzen des ehemaligen Eisernen Vorhangs. Nicht alle Abschnitte des „Grüne Bandes“ verfügen über einen naturschutzrechtlichen Schutz, einige Abschnitte sind sogenannte ungeschützte Naturbereiche.
Durch das „Grüne Band“ führen bereits Hauptverkehrsadern wie die E49, die E58 oder die E59. Gäbe es diese und weitere Verbindungen nicht, müssten Autofahrerinnen und Autofahrer beispielweise von der Steiermark über Italien nach Ungarn fahren – und von Oberösterreich über Deutschland in die Slowakei. Vergleichbar mit dem von Moderatorin Susanne Schnabl angesprochenen Autobahnprojekt durch die Lobau ist das „Grüne Band“ aus einem weiteren Grund nicht. Denn anders als Landschaftsschutz- oder Naturschutzgebiete, erfährt das „Grüne Band“ keinen allgemeinen rechtlichen Schutzstatus. „Es gibt Schutzgebiete – auch in Österreich – die in Flächen des „Grünen Bandes“ liegen, im angesprochenen Bereich ist das aber nicht der Fall“, heißt es aus dem Klimaschutzministerium.
Fazit
Die Mühlviertler Schnellstraße S10 verläuft nicht durch ein Naturschutzgebiet im rechtlichen Sinn. Allerdings – und darauf bezieht sich SPÖ-Chef Babler – verläuft die S10 durch das „Grüne Band“. Anders als das Naturschutzgebiet Donau-Auen, unter dem der Lobautunnel gebaut werden soll, ist das „Grüne Band“ aber nicht allgemein naturschutzrechtlich geschützt. Teile des „Grüne Bandes“ sind zwar Schutzgebiete, die S10 soll aber durch keines von ihnen führen. Die Aussage von Andreas Babler, dass Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Umweltlandesrat Stefan Kaineder (beide Grüne) das Straßenbauprojekt S10 trotz Trasse durch ein Naturschutzgebiet freigegeben hätten, ist deshalb größtenteils falsch.