Bringt das SPÖ-Vermögensteuermodell tatsächlich fünf Milliarden?

Die Berechnungen der SPÖ zur Vermögensteuer sind korrekt. Der Grund für den erstaunlich hohen Ertrag ist eine Besonderheit des Modells – das gerade deshalb realpolitisch allerdings äußerst unrealistisch ist.

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Eine Vermögensteuer bringt fünf bis sechs Milliarden Euro im Jahr.

SPÖ-Bundespartei unter Andreas Babler

Größtenteils richtig

Seit die SPÖ vergangene Woche ihr Modell einer Vermögensteuer präsentierte, reißt die Debatte darüber nicht ab, und neben den üblichen ideologischen Argumenten sorgt ein Punkt in dem Konzept für besonders große Skepsis: Die SPÖ behauptet, die von ihr vorgeschlagene Vermögensteuer werde pro Jahr „fünf bis sechs Milliarden Euro“ lukrieren. Das ist eine überraschend hohe Summe, wenn man sie etwa mit dem Ertrag vergleicht, den die – 2017 in dieser Form abgeschaffte – Vermögensteuer in Frankreich hereinspielte. Dort nämlich waren es maximal 5,2 Milliarden (2015) und damit ziemlich gleich viel wie von der SPÖ in Österreich angepeilt.

Wie kann das sein? Egal, welchen Berechnungen man folgt, ist unstrittig, dass in Österreich deutlich weniger Millionärinnen und Millionäre leben als im 68-Millionen-Einwohner-Land Frankreich. Laut dem jährlich erstellten „Global Wealth Report“ der Bank Credit Suisse etwa waren es im Jahr 2022 in Österreich 300.000 Millionäre und in Frankreich 2,8 Millionen. Die Steuersätze im alten französischen Modell und in dem der SPÖ liegen auch nicht allzu weit auseinander: Der höchste Satz im SPÖ-Modell liegt bei zwei Prozent, der in Frankreich lag bei 1,5 Prozent. Dafür wurden in Frankreich bereits Vermögen ab einer Höhe von 800.000 Euro besteuert, in Österreich sollte eine Grenze von einer Million plus 1,5 Millionen für ein Eigenheim gelten. Eigentlich sollte der Ertrag der Vermögensteuer in Österreich somit deutlich niedriger ausfallen als in Frankreich.

Die SPÖ verweist auf den Ökonomen Jakob Kapeller, Vorstand des Instituts für die Gesamtanalyse der Wirtschaft an der Universität Linz und Professor für Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen, der die Berechnungen angestellt hat. Im Auftrag der Arbeiterkammer hat Kapeller zusammen mit einem Team bereits mehrmals die Vermögenskonzentration in Österreich untersucht. Die Daten der Studie aus dem Jahr 2020 kombinierte Kapeller mit den Vorgaben des SPÖ-Modells für eine Vermögensteuer – und heraus kam ein Wert von „4,5 bis 5,5 Milliarden“, so der Ökonom. Die SPÖ pickte sich den höheren Wert heraus, was nicht illegitim ist.

Deckeln oder nicht deckeln

Kapeller ist ein angesehener Ökonom, die Berechnungen waren für ihn keine große Sache. Das Mysterium des hohen Ertrags im Vergleich zu Frankreich muss also am Steuer-Modell der SPÖ liegen. Und tatsächlich: Nach Rückfrage im SPÖ-Parlamentsklub und einem Vergleich mit dem französischen Modell zeigt sich ein wesentlicher Unterschied: Das SPÖ-Modell kennt keine Deckelung. In Frankreich hingegen galt, dass die Gesamtsumme an Steuern, die eine Person abführen musste, 75 Prozent des Einkommens des Vorjahres nicht übersteigen durfte.

Das kann einen enormen Unterschied machen. Ein Beispiel: Der Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz soll laut dem Magazin Forbes ein Vermögen von 34,7 Milliarden Euro besitzen. Gemäß dem SPÖ-Modell müsste er zwischen 600 und 700 Millionen Euro abführen, und zwar jedes Jahr. Würde eine Deckelung wie (bis 2017) in Frankreich gelten, würde sich die Steuerlast gemessen daran verringern, wie viel das Vermögen tatsächlich abwirft. Dazu gibt es einen realen französischen Fall: Liliane Bettencourt, die 2017 verstorbene Haupteigentümerin des Kosmetik-Konzerns L’Oréal, verfügte 2015 über ein Vermögen von 35 Milliarden Euro und erwirtschaftete ein Jahreseinkommen von 80 Millionen Euro. Da die Einkommensteuer 60 Millionen Euro ausmachte – exakt 75 Prozent des Einkommens – musste Bettencourt keine Vermögensteuer mehr zahlen.

Auch in der Schweiz und in Spanien, wo derzeit eine Vermögensteuer für natürliche Personen gilt, ist diese gedeckelt. In der Schweiz liegt der Wert bei 25 Prozent des Vermögensertrags, in Spanien bei 60 Prozent. Das erklärt etwa, weshalb der Schweizer Fiskus trotz wesentlich niedrigerer Freibeträge (zwischen 19.000 und 210.000 Euro) und mehr als dreimal so vielen Millionären (laut Global Wealth Report 1.099.000) wie in Österreich auch nicht mehr als etwa 7,3 Milliarden Euro einnimmt.

Weshalb wird eine Vermögensteuer überhaupt gedeckelt?

Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens einen rechtlichen. Das französische Verfassungsgericht entschied 2012, dass ein Plafond der Vermögensteuer nötig sei, und dass dieser am realen Einkommen – und nicht etwa an fiktiven Erträgen – zu bemessen sei.

Zweitens einen wirtschaftspolitischen. Das französische Finanzministerium führte in all den Jahren, solange es eine Vermögensteuer gab, Buch darüber, wie viele der Vermögensteuerpflichtigen eines Jahres im Jahr darauf das Land verlassen hatten. Die Zahl war nicht sehr groß – zwischen 300 und 1000 – doch sie beunruhigte den Finanzminister. Vermögensteuerpflichtige, die auswandern, sind meist jene, die besonders hohe Beträge abführen müssen.

Ökonom Kapeller beruhigt im Gespräch mit profil. In seinen Berechnungen seien „Ausweicheffekte“ – darunter versteht man sowohl die Abwanderung von Reichen als auch das „Verstecken“ von Vermögen – bereits eingepreist.

Was jedoch in dieser Rechnung unberücksichtigt bleibt, sind die Effekte der Abwanderung auf den gesamten Staatshaushalt. Nicht bloß, dass Vermögende, die das Land verlassen, keine Vermögensteuer mehr abführen, sie zahlen logischerweise auch keine anderen Steuern mehr. Wenn jemand wie Mark Mateschitz auswandert und auch sein Unternehmen Red Bull in einem anderen Land ansiedelt, entgehen der Republik pro Jahr nicht nur die Einnahmen aus der Vermögensteuer, sondern rund 600 Millionen Euro an Unternehmenssteuern und weitere hohe Beträge aus Steuern an Arbeitskosten und Konsum.

Die Reichen wandern aus

Julia Herr, Vizeklubvorsitzende der SPÖ, fragte im profil-Interview vergangene Woche rhetorisch: „Wohin wollen die Reichen denn abwandern?“ und spielte darauf an, dass die vermögensbezogenen Steuern in Österreich besonders niedrig sind. Die Antwort auf ihre dann gar nicht mehr rhetorische Frage lautet: Superreiche könnten in jedes beliebige Land der EU auswandern, denn Österreich wäre nach Einführung der SPÖ-Vermögensteuer das einzige Land der Union, in dem die Höhe der Vermögensteuer keinen Plafond kennt.

Ein Land, das mit der Variante einer Vermögensteuer ohne Deckelung Erfahrungen hat, ist Norwegen. Dort wurde der Steuersatz für Vermögen ab 17,5 Millionen Euro auf 1,1 Prozent erhöht – also auf einen Wert weit unter den von der SPÖ geforderten zwei Prozent. Das Resultat fasste die britische Tageszeitung „The Guardian“ im April dieses Jahres in einem Artikel mit folgendem Titel zusammen: „Superreiche verlassen Norwegen in rekordverdächtiger Zahl, weil Vermögensteuer leicht angehoben wird“. Tatsächlich waren es im Jahr 2022 gezählte 30 Milliardäre und Multimillionäre, die das Land verließen, darunter der Milliardär Kjell Inge Rokke, bis dahin viert-reichster Mann Norwegens. Er hatte bis dahin pro Jahr insgesamt 175 Millionen Euro an Steuern abgeführt. Rokke wanderte übrigens in ein Land aus, in dem eine – gedeckelte – Vermögensteuer eingehoben wird: die Schweiz.

Als die französische Regierung unter Staatspräsident Emmanuel Macron 2017 die Vermögensteuer abschaffte (übrig blieb nur eine Steuer auf Immobilien), war einer der Gründe dafür, dass dem Staat durch die Abwanderung von Superreichen nicht bloß Vermögensteuererträge, sondern auch Einnahmen aus Unternehmens-, Einkommen- und Konsumsteuern sowie Investitionen entgingen.

Das ist einer der wesentlichen Gründe, weshalb so wenige Staaten Vermögensteuern einheben. Im schlimmsten Fall machen sie damit mit viel Aufwand ein Verlustgeschäft. Weit bessere Chancen, den gewünschten Effekt von Vermögensverteilung und Senkung der Steuern auf Arbeitseinkommen zu erzielen, hätte eine EU-weite Vermögensteuer, wie sie etwa von der Wifo-Ökonomin Margit Schratzenstaller und Alexander Krenek in ihrer Arbeit „Eine harmonisierte Nettovermögensteuer in der Europäischen Union“ (Journal of Economics and Statistics 2022) vorgeschlagen wird.

Was bedeutet das alles nun für die Berechnungen des SPÖ-Vermögensteuer-Modells? Sie sind faktisch korrekt, fünf Milliarden Euro sind dank des Fehlens eines Deckels rechnerisch möglich. Allerdings würde Österreich so innerhalb der EU zum unattraktivsten Wohnort für Superreiche werden – und damit riskieren, dass diese Personen abwandern und ihre bisher abgeführten Steuern schmerzlich fehlen.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur