Dreimal falsch, einmal richtig: Bablers Sommergespräch im Faktencheck
Da redet man ja eigentlich über eine Situation, in der man keinen einzigen Kilometer mehr Eisenbahnverbindung geschafft hat, wo man keine einzige Buslinie am Land dazugebracht hat. Man muss schon Möglichkeiten bieten, auch öffentlich attraktiv fahren zu können, und da sind wir säumig. Überhaupt eine Regierung, die in diesem Bereich alles schleifen lässt.
Falsch
Andreas Babler ist erklärter Langsamfahrer. Auch auf der Autobahn sei er konstant mit Tempo 100 unterwegs, erzählte der SPÖ-Chef im ORF-Sommergespräch. Das lässt sich unabhängig zwar nicht überprüfen, es geht aber ohnehin mehr um das Signal, das er damit aussendet. Und das lautet sinngemäß: Ich bin ein grüner Roter.
Sehr wohl überprüfen lässt sich seine harsche Kritik an der schwarz-grünen Regierung, der er vorwirft, in Sachen Öffi-Ausbau "alles schleifen" zu lassen.
Babler liegt damit allerdings weit daneben: Seit Amtsantritt der Koalition verlegten die Bundesbahnen 124 Kilometer an neuen Schienen. Die Mattigtalbahn zwischen Oberösterreich und Salzburg wurde beispielsweise bis nach Neumarkt am Wallersee verlängert. Weitere 50 Schienenkilometer werden mit der Koralmbahn gegen Jahresende ans Netz gehen, prognostizieren die ÖBB.
Die Republik investiert derzeit über drei Milliarden Euro pro Jahr in das Bahnnetz, in der Legislaturperiode davor waren es unter zwei Milliarden Euro. Das Geld fließt freilich nicht nur in den Bau neuer Strecken; die Bundesbahnen elektrifizieren bestehende Verbindungen, renovieren Bahnhöfe und bauen einspurige Trassen zweispurig aus – wie etwa die vielbefahrene Pottendorfer Linie zwischen Wiener Neustadt und Wien Meidling. Das zusätzliche Gleis soll kürzere Intervalle auf der Südstrecke ermöglichen. Taktverdichtung nennen das die Verkehrsplaner.
Eine kleine Spitze gegen Babler konnte sich das Grüne Klimaministerium unter Leonore Gewessler auf profil-Anfrage nicht verkneifen und betonte: Auf der Inneren Aspangbahn, die durch Bablers Heimatstadt Traiskirchen führt, war vor dem Amtsantritt Gewesslers um 20 Uhr Betriebsschluss. Inzwischen fährt die Linie bis 23:30 Uhr. Die Züge rollen neuerdings auch am Wochenende durch Traiskirchen.
Anders als Babler im Sommergespräch behauptete, investierten die Bundesländer auch in neue Buslinien. Davon könnte sich Babler zum Beispeil bei seinen Parteifreunden im SPÖ-geführten Burgenland überzeugen. Die neue Linie B14 wird ab September die Bezirkshauptstädte Oberwart, Oberpullendorf und Mattersburg mit Eisenstadt verbinden und auch in kleinen Orten wie Piringsdorf halten. In Tirol gibt es seit letztem Winter den Regiobus 508, der zwischen der Gemeinde Thaur und dem Bahnhof Rum fährt; auch der Regiobus 434 verkehrt seit Dezember 2022 zwischen Telfs und Seefeld. In der Steiermark wurden zahlreiche Regiobus-Linien verlängert, zusätzlich wurde auf vielen Strecken die Taktung erhöht.
Die Sprecherin von Andreas Babler übermittelte auf profil-Anfrage keine Belege zur Behauptung des unterbliebenen Ausbaus. Sie wies lediglich daraufhin, dass "die Tunnelprojekte Brenner, Koralm und Semmering im Laufe der letzten Jahre zeitlich enorm verzögert wurden" und dass "der öffentliche Verkehr im ländlichen Raum nicht entsprechend ausgebaut wurde" und somit, "kaum Umstiegsmöglichkeiten" gegeben wären.
Wir sehen, dass die CO2-Bepreisung, so wie sie gekommen ist, überhaupt keinen Lenkungseffekt hat. [...] Ich glaube, so eine Art von CO2-Bepreisung bringt nichts. Das ist völlig wirkungslos.
Größtenteils falsch
Andreas Babler beginnt seine politischen Argumentationen gerne mit Einzelfällen und spannt den Bogen von "unseren Leuten" zu programmatischen Forderungen – das gelingt fallweise gut, fallweise weniger gut. Bei der CO2-Bepreisung brachte er im Sommergespräch das Beispiel seiner südburgenländischen Familienhälfte, die als "Pendlerfamilie" auf ein Auto angewiesen sei und somit besonders von der Steuer getroffen werde. Die sei darüber hinaus "völlig wirkungslos" und habe "überhaupt keinen Lenkungseffekt".
Die Message – Babler versteht die "einfachen Leute" und steht für ehrliche, wirksame Maßnahmen – kommt an; allerdings ist die Schlussfolgerung nicht ganz zulässig.
Denn: Dass die Bepreisung zu niedrig ist, darüber sind sich die Expert:innen einig. Auch der Grazer Klimaökonom Karl Steininger sieht das so, betont allerdings auch: "Die Bepreisung wirkt zwar zu wenig – aber dass sie gar nicht wirkt, das kann man nicht sagen. Die soziale Abfederung funktioniert gut, durch die pro-Kopf-Refundierung bekommen die ärmeren Haushalte mehr refundiert, als ihre Kosten steigen. Auch die regionale Differenzierung war wichtig. Eine höhere Bepreisung wäre wirksamer."
Günther Lichtblau ist beim Umweltbundesamt für Prognosen über den CO2-Ausstoß zuständig. Wie groß der Effekt im letzten Jahr war, den die CO2-Bepreisung hatte, lässt sich schwer berechnen, gesteht Lichtblau Babler zu: "Die Energiepreise haben verrückt gespielt. Der Anteil der Preissteigerung durch den CO2-Preis ist derzeit sehr überschaubar. Umgelegt auf die Kraftstoffpreise reden wir da von wenigen Cent. Der Effekt lässt sich für die kurze Dauer von einem Jahr daher nicht genau herausrechnen."
Großes aber: Lichtblau analysiert, wie sich die Verteuerung von umweltschädlichen Energieträgern in Zukunft auswirkt, dafür hat er ein Modell entwickelt: "Mittel- und langfristig hat der CO2-Preis eine sehr hohe Wirkung. Bis 2025 ist damit zu rechnen, dass die umfassten Emissionen in Österreich um 4,5 Prozent gesenkt werden können."
Aus Sicht von Lichtblau ist die Bepreisung von Emissionen eine der "wichtigsten Maßnahmen" zur Erreichung der Klimaziele. Denn dadurch würde sich ein Umstieg auf effiziente Technologien wie Wärmepumpen oder Elektroautos früher rechnen und damit die Transformation beschleunigen. Lichtblau stimmt mit Babler aber überein, dass es "soziale Ausgleichsmaßnahmen" für die Verteuerung von fossiler Energie brauche.
Auf Anfrage übermittelte das Team Babler keine Belege zur Behauptung. "Eine CO2-Bepreisung greift zu kurz, wenn die dadurch entstandenen Einnahmen 1:1 in das gleiche System zurückgeführt werden und fossile Brennstoffe weiterhin subventioniert werden", heißt es aus Bablers Büro.
Fakt ist: In Ländern wie Schweden, die schon länger eine Steuer auf CO2 einheben, zeigen sich laut Lichtblau und Steininger erkennbare Emissionsrückgänge, ohne dass die Wirtschaftsleistung schrumpft. Die Behauptung von Babler, wonach ein CO2-Preis keine Wirkung hätte, ist daher größtenteils falsch.
Wir sehen, dass man sich schwer tut zu erklären, warum man, wenn man über die Grenze fährt nach Deutschland für den selben Warenkorb 16 bis 20 Prozent mehr zahlen muss. Dass wir mittlerweile 500 Euro mehr ausgeben an Lebensmittelkosten, manche Schätzungen reden sogar von 1000 Euro mehr als im Vorjahr.
Fakt
Andreas Babler bewegt sich bei den Lebensmittelpreisen grundsätzlich in der richtigen Größenordnung. Im Vergleich mit Deutschland bezieht er sich auf eine Studie der Arbeiterkammer, bei der 71 idente Marken-Lebensmittel in den Online-Shops von Billa und Interspar verglichen wurden. Im einleitenden Text dazu heißt es: "Der Warenkorbpreis in den österreichischen Onlineshops von Billa und Interspar war inklusive Mehrwertsteuer um 18,3 Prozent teurer als bei den deutschen Onlineshops von Edeka, Rewe und Kaufland. Netto war der Warenkorb in den österreichischen Onlineshops um 14,9 Prozent teurer als in den Deutschen." Babler hat also im Eifer des Gefechts etwas aufgerundet, liegt aber ungefähr richtig.
Auch die bis zu 1000 Euro mehr an Lebensmittelkosten sind im Rahmen. Die Arbeiterkammer übermittelt auf profil-Anfrage eine Aufstellung der Preissteigerung des Mikro-Warenkorbs, die sich aus den Durchschnittspreisen der jeweils preiswertesten Produkte des wöchentlichen Bedarfs in verschiedenen Supermärkten und Diskontern ergibt. Im Juni des letzten Jahres belief sich die Warenkorbsumme demnach auf 62,95 Euro, im Juni 2023 auf 73,78 Euro – eine Steigerung um 17,2 Prozent, in Euro: 10,83. Aufgerechnet auf 52 Wochen ergeben sich also 563,16 Euro mehr an Lebensmittelkosten – geht man von diesen Werten aus, liegt Babler also richtig. Freilich ist das noch weit von den 1000 Euro, die Babler auch ins Feld führt, entfernt – es kaufen jedoch nicht alle Menschen in Österreich immer das preiswerteste Produkt.
Babler rundete die Zahlen zwar auf, dennoch sind die Angaben richtig.
Wir erleben [...] dass das Gesundheitssystem ausgehungert wird, weil einfach zu wenig Ausbildungsplätze geschaffen werden. Wir beschweren uns jetzt, dass sich 13.000 Menschen anmelden zum Medizinstudium und nur 1.800 zugelassen werden, und gleichzeitig hören wir, dass es einen Ärztemangel gibt.
Größtenteils falsch
Andreas Babler ist nicht der einzige Politiker, der die Lücken im Gesundheitssystem mit einer Aufstockung der Medizinstudienplätze stopfen will. Entsprechende Forderungen erhob auch schon Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).
Der Rechnungshof und Gesundheitsökonomen sind allerdings skeptisch – sie haben andere Hebel identifiziert, die billiger und schneller wirken würden.
In seinem Ende 2021 veröffentlichten Bericht über die Ärzteausbildung kommt der Rechnungshof zum Schluss, dass knapp ein Drittel der Absolventen des Medizinstudiums nach ihrer Ausbildung nicht in Österreich als Ärztin oder Arzt arbeiten. Einige von ihnen zieht es ins Ausland, andere wechseln den Beruf.
Der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) sieht in diesen Studienabgängern ein Potenzial: "Sie können mit einem Medizinstudium viel Geld verdienen, in Österreich kostet es aber nichts. Das ist für internationale Studierende natürlich attraktiv. Warum soll die österreichische Öffentlichkeit denen das Studium zahlen? Ich hielte es für sinnvoll, das Studium nur für jene kostenlos zu halten, die danach dem öffentlichen Gesundheitssystem zur Verfügung stehen. Lösen könnte man das über eine Studiengebühr – und nur wer sich verpflichtet, nach der Promotion in Österreich als Arzt oder Ärztin zu arbeiten, kriegt ein Stipendium."
So könnte aus Sicht Czypionkas die Zahl der tatsächlich in Österreich praktizierenden Ärztinnen und Ärzte deutlich erhöht werden, ohne einen einzigen zusätzlichen Studienplatz zu schaffen. Die sechsjährige Ausbildung kostet die Republik laut Rechnungshof über eine halbe Million Euro – pro Person.
Dazu kommt: Österreich verfügt bereits jetzt über eine der höchsten Ärztedichten unter allen OECD-Ländern. Zwischen 2009 und 2020 erhöhte sich die Zahl der Ärztinnen und Ärzte um 23 Prozent auf 47.220. Bei den Turnusärzten gab es ein Plus von 20 Prozent. Vergleichsweise moderat fiel der Zuwachs bei Allgemeinmedizinern mit acht Prozent aus.
Darin sehen Experten wie Czypionka eines der Hauptprobleme: Die falsche Verteilung der Ärzteschaft im Gesundheitssystem. Czypionka: "Wir haben relativ viel Kapazität im wahlärztlichen Bereich. Da könnte man sicher einiges gewinnen für den öffentlichen Bereich. Es gibt Kassenstellen, da gibt es zig Bewerbungen und welche da gibt es keine einzige."
Die Zahl der Ausbildungsplätze liege laut den Prüfern des Rechnungshofes konstant über der Zahl der Pensionierungen.
Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer gibt außerdem zu bedenken, dass es in den Spitälern eine natürliche Kapazitätsgrenze für Turnusplätze gibt. Das heißt: Mehr Medizinstudienplätze würden nicht zwingend mehr praktizierende Ärztinnen und Ärzte bedingen, weil die Turnusstellen ein Flaschenhals sind. Pichlbauer bringt noch einen anderen Lösungsvorschlag: "Wir haben viele Tätigkeiten mit Arztvorbehalt. Die darf nur ein Arzt vornehmen, obwohl viele dieser Tätigkeiten anders abgefangen werden könnten, auch von diplomiertem Gesundheitspersonal. Das passiert im Unterschied zu anderen Ländern nicht." Die Folge: Österreich braucht mehr Medizinerinnen und Mediziner.
Bablers Behauptung ist folglich größtenteils falsch.