Ermittlungsakten widersprechen Sachslehner in Inseratenaffäre
„Scheinheiligkeit“ scheint eines der Lieblingswörter von Laura Sachslehner zu sein. Die Generalsekretärin der ÖVP absolvierte zuletzt eine Pressekonferenz-Serie und prangerte die „Doppelmoral“ der Oppositionsparteien an – es gab jeweils einen separaten Termin zur pinken, blauen und roten Scheinheiligkeit. Neos warf Sachslehner dabei „eine womöglich verdeckte Parteispende“ vor, die FPÖ sei hingegen Russland-hörig. Und die SPÖ stehe in der Inseratencausa inzwischen selbst im Fokus der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), während die Volkspartei bereits durch Aussagen der Meinungsforscherin Sabine Beinschab entlastet sei. Ein Faktencheck zeigt allerdings, dass weiter gegen die ÖVP ermittelt wird.
Vorwürfe gegenüber ÖVP nicht „ausgeräumt“
Die Volkspartei konnte jedoch die Vorwürfe gegen sich ausräumen & wurde durch die Aussage der Meinungsforscherin entlastet.“
profil-Anfrage bei der WKStA: Wie steht es um die Ermittlungen in der Inseratenaffäre? Antwort der Strafverfolgungsbehörde: Die Ermittlungen laufen, es gab bisher keine Einstellungen. Demnach wird weiterhin gegen Altkanzler Sebastian Kurz, zahlreiche Personen aus dem Umfeld des Ex-ÖVP-Chefs und die ÖVP-Bundespartei selbst ermittelt. Damit wäre dieser Faktencheck auch schon erledigt und Sachslehner widerlegt. Trotzdem lohnt es sich, den Fall detaillierter zu betrachten.
Zur Erinnerung: Ehemalige ÖVP-Verantwortliche um Kurz als damaligen Außenminister sollen ab 2016 rechtswidrig Budgetmittel des Finanzministeriums (BMF) genutzt haben, um frisierte Meinungsumfragen zugunsten von Partei und Spitzenfunktionären erstellen zu lassen. Die WKStA ermittelt wegen Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Die Vorwürfe werden bestritten, es gilt die Unschuldsvermutung.
Sachslehner argumentiert die „Entlastung“ der ÖVP nun so: Die Meinungsforscherin Beinschab hätte Sebastian Kurz nur einmal „im Vorbeigehen gesehen“, kenne ihn lediglich aus dem Fernsehen. Auch dessen engste Berater (ebenfalls Beschuldigte) will Beinschab nicht gekannt oder selten getroffen haben. Das geht aus dem Protokoll der Einvernahmen der Meinungsforscherin hervor. Die Vorwürfe gegen Kurz seien daher „ausgeräumt“. Und damit auch gegen die Volkspartei als solche, so die Generalsekretärin.
Dass gegen die Bundes-ÖVP in der Inseratenaffäre ermittelt wird, basiert auf dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz. Die WKStA bestätigt: Dieser Rechtsakt besagt nicht, dass - anders als Sachslehner gegenüber profil weiter behauptet - die Bundespartei automatisch nicht zur Verantwortung gezogen werden könne, falls Altkanzler Kurz die Vorwürfe gegen sich ausräumen können sollte.
Belastende Aussagen der Meinungsforscherin
Im Übrigen belastet Beinschab damalige ÖVP-Entscheidungsträger in ihren Aussagen vor der WKStA massiv: „Beim Durchforsten dieser Studien ist mir jetzt noch einmal sehr bewusst geworden, dass doch etliche Fragestellungen parteipolitisch waren und nichts mit dem BMF zu tun hatten“, meint sie etwa. Die Meinungsforscherin kommuniziert außerdem mit Kurz-Vertrautem Thomas Schmid, ebenfalls Beschuldigter, über dessen ÖVP-Mailadresse, obwohl er zu jenem Zeitpunkt Generalsekretär im BMF war. Außerdem zeigt sich, dass Johannes Frischmann, ehemaliger Mitarbeiter im BMF und ebenfalls Beschuldigter, noch 2021 Umfragen bei Beinschab beauftragte. Da war er bereits Pressesprecher im Kanzleramt und nicht mehr im BMF. Auch hinsichtlich Schwankungsbreite und Samplegrößen der Studien gab Beinschab an, für die ÖVP getrickst zu haben. Und eindeutig: „Zu meinem Ordner ‚Eigenstudie‘ gebe ich an, dass darin nicht nur Eigenstudien enthalten sind, sondern auch Studien, die ich im Auftrag von Frischmann und Schmid gemacht und dem BMF verrechnet habe, obwohl sie nicht ‚BMF-Themen‘ betreffen.“ Die ÖVP bestreitet diese Vorwürfe.
Von der WKStA wird präzisiert, dass das Ermittlungsverfahren gegen Sebastian Kurz, neun weitere Beschuldigte (neben Sabine Beinschab, Sophie Karmasin, Thomas Schmid und Johannes Frischmann auch Kurz’ Berater Stefan Steiner, Gerald Fleischmann, ein Mitarbeiter des BMF und die Verleger Wolfgang und Helmuth Fellner) und drei Verbände, wie in einer Pressemitteilung vom 6. Oktober 2021 angeführt, unverändert weitergeführt werde. Es habe bisher weder eine Anzeige noch eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegeben – letztere muss unter anderem erfolgen, wenn „kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung des Beschuldigten besteht“, also etwa auch, vereinfacht ausgedrückt, jemand „entlastet“ wird.
Fazit
Schlussendlich ist die Behauptung von Laura Sachslehner als falsch einzustufen. Die ÖVP konnte die Vorwürfe gegen sich nicht ausräumen, die Aussagen von Meinungsforscherin Beinschab sind belastend. Auch hat die WKStA bisher keinerlei Ermittlungen in der Inseratenaffäre eingestellt.
SPÖ und ÖVP mit „denselben“ Vorwürfen konfrontiert?
Die SPÖ ist nun im Grunde mit denselben Vorwürfen konfrontiert, die sie bereits seit Monaten auf böswilligste Art und Weise der Volkspartei unterstellt.“
Das erklärt ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner ihren fast 6.000 Twitter-Followern zwei Tage vor dem Pressetermin zur „roten Scheinheiligkeit“. Eine genaue Betrachtung macht deutlich: Die Vorwürfe sind durchaus vergleichbar, in ihrer Schwere spielen sie allerdings in einer unterschiedlichen Liga.
Zuletzt wurde bekannt, dass die WKStA einen Anfangsverdacht wegen „derselben Vorwürfe“, wie Sachslehner sie bezeichnet, gegen vier frühere Verantwortliche der SPÖ aus der Zeit von Werner Faymann prüft – darunter der frühere Staatssekretär Josef Ostermayer und Ex-Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos. Die ehemalige Meinungsforscherin und ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin steht ebenfalls im Zentrum der Prüfung. Anlass soll eine Zeugenaussage der Meinungsforscherin Sabine Beinschab sein, wonach ein Angebot für eine Studie der SPÖ zum Thema Parteipräferenz 2009 an das Bundeskanzleramt geschickt wurde. Und nicht an die Partei, also ähnlich wie in der Causa der ÖVP. Auch diese Vorwürfe werden bestritten, es gilt ebenfalls die Unschuldsvermutung.
Umfragen laut Beinschab nach SPÖ-Wünschen verändert
Bereits im Oktober 2021 hatte Beinschab der WKStA erläutert, dass Umfrageergebnisse ihrer damaligen Chefin Karmasin für die Tageszeitung „Heute“ zu Gunsten der Wünsche der SPÖ verändert wurden. Damals hieß es noch: „Ich kann mich aber nicht erinnern, ob auch öffentliche Dienststellen beteiligt waren.“ Ein schneller Blick auf die „Heute“-Sonntagsumfragen zwischen April 2012 und November 2013 (in diesem Zeitraum habe es laut Geschäftsführer Wolfgang Jansky eine Zusammenarbeit mit Karmasin gegeben) zeigt: Eine auffallende Abweichung von anderen Umfrageergebnissen wie bei der ÖVP in der Tageszeitung „Österreich“ in den Jahren 2016 und 2017 (profil 41/2021 berichtete) lässt sich nicht erkennen. Im Mai 2017 lag die Kurz-ÖVP beispielsweise bei 35 Prozent, während alle anderen Institute die Volkspartei im Durchschnitt bei 30 Prozent sahen.
Ein Unterschied zwischen den beiden Sachverhalten liegt zunächst in der Summe der angeblich ausgestellten Rechnungen: Bei der ÖVP steht ein Betrag von 600.000 Euro im Raum, bei der SPÖ soll es aktuell um 22.000 Euro gehen. Des Weiteren erklärt die WKStA auf profil-Anfrage, dass der Fall der SPÖ nicht mit jenem der ÖVP zu vergleichen sei: Es wurde kein Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche der SPÖ eingeleitet, anders als bei der ÖVP. Die WKStA habe lediglich einen Anfangsverdacht gegen ehemalige SPÖ-Politiker geprüft: „Das ist ein Standardprozedere und sagt nichts über die Qualität der Vorwürfe aus. Wir müssen einfach jeder potenziell strafrechtlich relevanten Aussage nachgehen.“
Fazit
Sachslehner verweist auf Medienberichte, die „explizit einen Vergleich zwischen den Vorwürfen gegen die Volkspartei sowie gegen jene der SPÖ“ herstellen. Aufgrund der ähnlich gelagerten Natur der Anschuldigungen ist diese Aussage der ÖVP-Generalsekretärin als größtenteils richtig einzustufen. Auch der SPÖ soll Beinschab vorgeworfen haben, Umfragen manipuliert und falsch abgerechnet zu haben. Unterschiede liegen jedoch in der Dimension der kolportierten Summen sowie dem Stand des Verfahrens.