Das zynische Geschäft mit falschen Todesmeldungen
Für einen kurzen Moment war die Literaturwelt geschockt. Der deutsch-österreichische Schriftsteller Daniel Kehlmann soll bei einem Verkehrsunfall gestorben sein, verkündete sein vermeintlicher Buchverlag Rowohlt am Montag auf der Plattform X – eine Falschmeldung, wie sich herausstellen sollte. Jedoch erst, nachdem mehrere User ihr Mitgefühl zum Ausdruck gebracht und die Nachricht weiterverbreitet hatten.
Kehlmanns Verlag, Rowohlt in Hamburg, bestätigt profil am Telefon, dass die Meldung erfunden war. Auch andere Autorinnen und Autoren des Verlags seien bereits fälschlicherweise für tot erklärt worden.
Der Account des Verlags entpuppte sich als Fake, Betrüger hatten sich in manipulativer Absicht als Rowohlt ausgegeben, mit dem Profilnamen „@RowohltDE“. Der echte Verlags-Account heißt schlicht „@rowohlt“ und ist nicht besonders aktiv auf X.
Die Betrüger planten offenbar bereits die nächste Aktion: Denn kurz nach der Fake-Todesmeldung wurde der Fake-Account umbenannt und gab sich als ein anderer deutscher Verlag aus, als „SuhrkampDE“. Dann ging der Account offline.
Robert Holzmann tot erklärt
Bereits eine Woche zuvor platzierten unbekannte Täter eine ähnlich gelagerte Ente: Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) war erst wenige Tage im Amt, als sich ein Account auf X als Hattmannsdorfer ausgab. Dieser erklärte den Gouverneur der österreichischen Nationalbank (OeNB) Robert Holzmann für tot. Dass Vorsicht geboten war, ließ sich daran erahnen, dass der Tweet in englischer Sprache abgesetzt wurde – österreichische Politikerinnen und Politiker kommunizieren zumeist auf Deutsch. Englisch nutzen sie meistens nur dann, wenn es sich um Staats- oder Arbeitsbesuche handelt oder wenn internationale Entwicklungen kommentiert werden. Auf den ersten Blick ließ sich aber nicht ausschließen, dass der OeNB-Chef tatsächlich gestorben ist.
Es ist auch kein Wunder, dass diese Falschmeldungen gerade auf X auftauchen – Elon Musk hat diese Plattform massiv verschlechtert, zum Beispiel das frühere Verifikationssystem abgeschafft.
Noch schwieriger zu erkennen war eine Falschmeldung, die in der Nacht von Donnerstag auf Freitag die Runde machte. „Traurige Nachrichten aus Rom. Unser geliebter Papst Franziskus ist vor wenigen Minuten gestorben“, hieß es in einem Posting auf X. Ein Account gab sich dort als Franz Lackner aus. Er ist immerhin Erzbischof der Diözese Salzburg. Die Erzdiözese Salzburg reagierte goldrichtig: „Achtung Identitätsdiebstahl!“, entgegneten die Social-Media-Verantwortlichen der Diözese: Der entsprechende X-Account sei „genauso falsch und geschmacklos wie seine Inhalte“.
Die makabre Vorgehensweise folgt einem Muster: Im Mittelpunkt der Spekulationen steht eine prominente Person. Mehr oder weniger detailliert verkünden Social-Media-Accounts den Tod der Betroffenen. Um die Glaubwürdigkeit der Todesmeldungen zu erhöhen, geben sie sich als Person oder Organisation aus, die mit den vorgeblich Verstorbenen in engem Kontakt stand. Beim Schriftsteller Daniel Kehlmann war es ein Verlag, beim Nationalbankchef Holzmann immerhin der Wirtschaftsminister und beim Papst ein Erzbischof. Allesamt Personen und Institutionen, die – wären die Todesfälle tatsächlich passiert – einen Zugang zu dieser Information haben könnten. Der Umstand, dass es sich des Öfteren um ältere oder gar kranke Personen – der Papst etwa hat gerade an einer Lungenkrankheit laboriert – handelt, lässt die Nachrichten vertrauenswürdig erscheinen.
Was hat es mit diesen Todesmeldungen auf sich? Was steckt dahinter? Und wie lassen sich solche Fakes erkennen?
Ingrid Brodnig, Autorin und Digitalexpertin, beobachtet diese Muster schon länger: „Es ist auch kein Wunder, dass diese Falschmeldungen gerade auf X auftauchen – Elon Musk hat diese Plattform massiv verschlechtert, zum Beispiel das frühere Verifikationssystem abgeschafft.“
Was Brodnig meint: Bevor Elon Musk die Plattform X im Oktober 2022 übernommen hat, konnten Prominente, Journalisten, Politiker, Unternehmen und Organisationen ein blaues Häkchen beantragen. Für Nutzerinnen und Nutzer war dadurch klar: Dieser Account wurde verifiziert, die Person oder Organisation dahinter ist echt. Heute kann sich jeder das blaue Häkchen kaufen, ganz ohne Verifikationsprozess.
Schlimmer noch: Es ist inzwischen ein Geschäftsmodell geworden, als Premium-Account Desinformation, KI-generierte Bilder oder Verschwörungstheorien auf X zu verbreiten. Das hat die britische BBC bereits im Oktober 2024 im Vorfeld der US-Wahl recherchiert. Zu dieser Zeit hat X seine Spielregeln geändert. Seither können User am sogenannten „Engagement“ mitverdienen. Je mehr Likes, Kommentare und Shares ein Posting eines zahlenden Premium-Accounts bekommt, desto mehr Geld gibt es für den Absender des Posts.
Alle wollen wissen: Echt? Stimmt das wirklich? Das erzeugt einfach Aufmerksamkeit.
X machte das Modell „get paid to post“ (werde fürs Posten bezahlt, Anm.) seinen Nutzerinnen und Nutzer damit schmackhaft, indem behauptet wurde, dass man mit einem Premium-Account den eigenen „Lebensunterhalt“ verdienen könne. Das ist geradezu eine Einladung zur Zuspitzung bis hin zur Tatsachenverdrehung.
Denn um möglichst viele Likes, Kommentare oder Shares zu erzielen, braucht es Inhalte, die Aufsehen erregen. Nachrichten zu erfinden ist einfacher, als Sachverhalte aufwendig zu recherchieren. Dass sich dafür vor allem Todesmeldungen eignen, weiß auch Barbara Buchegger, Leiterin von saferinternet.at, einer Initiative zur Steigerung der digitalen Medienkompetenz: „Alle wollen wissen: Echt? Stimmt das wirklich? Das erzeugt einfach Aufmerksamkeit“, so die Expertin zu profil. Auch wenn fingierte Todesnachrichten über Celebrities nichts neues sind, beobachtet auch Buchegger, dass die Masche „aktuell ein Trend zu sein scheint“.
Nicht alle Hinterleute von Fake-Todesnachrichten haben ein Profitinteresse, es gibt noch ein zweites Motiv. Im Falle des Papst-Postings hat sich der italienische Twitter-Hoaxer Tommasso Debenedetti den pietätlosen „Scherz“ erlaubt. Debenedetti hat bereits vor fünf Jahren mit einem Fake-Account der Kultursstaatsekretärin Andrea Mayer den österreichischen Nobelpreisträger Peter Handke für tot erklärt. Der Italiener sieht in dieser Praxis einen Spaß, um Journalisten in die Irre zu führen.
Wie können sich Betroffene wehren?
Der Spaß könnte für Debenedetti ein Nachspiel haben, denn die Erzdiözese Salzburg prüft nun rechtliche Schritte. Denn Betroffene können sich wehren.
IT-Rechtsexperte Nikolaus Forgó sieht mehrere Hebel: „Indem der Täter vortäuscht, Herr Lackner zu sein, maßt er sich dessen Namen an und begeht einen ‚Identitätsdiebstahl’.“ Das könne als Persönlichkeitsrechtsverletzung zu Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen führen. Und: „Auch der, dessen Tod behauptet wird, zunächst medienrechtliche Ansprüche geltendmachen.“
Die Voraussetzung für eine Klage ist allerdings, dass die Identität der Schädiger bekannt ist oder von der Plattform bekannt gegeben wird. Daran scheitert das Geltendmachen von Ansprüchen in der Praxis oft, schließlich wird bei der Registrierung auf großen Plattformen wie Facebook und Co. die wahre Identität der Nutzer nicht überprüft.
In so einem Fall könnten Betroffene auch gegen die Plattform selbst vorgehen, um zumindest eine Löschung der Falschbehauptung zu erzwingen. Das kann sich ziehen und teuer werden. Forgó: „Frustrierenderweise bleibt in der Praxis, insbesondere wenn es schnell gehen muss, oft vor allem der Weg, über den ‚Beschwerdekanal’ der Plattform.“ Die bessere Erreichbarkeit der Plattformen – auch – für solche Zwecke sei eines der wichtigen Ziele des Digital Services Act der EU.
Und wie sollen Userinnen und User mit mutmaßlich erfundenen Todesmeldungen umgehen?
Buchegger, die solche Beispiele auch regelmäßig mit Schulklassen durchspielt, meint: „Ich rate immer: schaue dir einmal auf anderen Plattformen an, ob es auch dort Nachrufe zu diesen Prominenten gibt. Erkundige dich also auf verschiedenen Plattformen und Nachrichtenseiten, die du für seriös einschätzt, ob man das dort auch findet. Ist das nicht der Fall, kommt man schnell drauf, dass es sich um Clickbait handelt.“
Das Beispiel Kehlmann sei besonders gefinkelt, meint die Fake-News-Expertin. Denn bei Autoren oder Schriftstellern gilt der Verlag grundsätzlich als gute Anlaufstelle, um herauszufinden, ob ein Autor wirklich verstorben ist. Jedoch nur dann, wenn es sich dabei auch wirklich um den Verlags-Account handelt – und nicht um einen Fake. Skeptisch sollte man dann werden, wenn sich die Todesnachricht nirgendwo sonst findet. Im Zweifel empfiehlt es sich, lieber abzuwarten, statt eine mutmaßlich falsche Meldung weiterzuverbreiten.
Fazit
Hinter den falschen Todesmeldungen steckt zum einen ein Geschäftsmodell auf der Kurznachrichtenplattform X. Denn dort lässt sich mit viel Engagement seit einer Änderung im Oktober 2024 Geld verdienen. Und Todesmeldungen von bekannten Personen eignen sich laut Experten ideal, um Aufregung zu erzeugen. Zum anderen gibt es aber auch Charaktere wie, die mutwillig versuchen, Journalistinnen und Journalisten hinters Licht zu führen.