Sind wir wirklich Weltmarktführer bei der CO2-Speicherung?
Ich halte nur nichts von Verboten. Wir müssen auf Technologie und Innovation setzen – wir sind Weltmarktführer, was die CO2-Abnahme aus der Atmosphäre betrifft.
Falsch
Im Straßenverkehr, in der Luftfahrt, aber vor allem in der Industrie- oder Energieproduktion: wenn Gas, Öl und Kohle verbrannt werden, strömt Kohlenstoffdioxid (CO2) in die Atmosphäre. Und weil das die Erderhitzung beschleunigt, wird weltweit nach Lösungen gesucht. Für eine dieser Lösungen hat Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) jüngst in einem Interview mit der Tageszeitung „Der Standard“ geworben. Auf die Frage, wie die Volkspartei Grünen-Wählerinnen und -Wähler gewinnen möchte, meinte Stocker, dass Verbote in der Klimapolitik nicht zielführend seien. Stattdessen will der Bundeskanzler auf Innovation und Technologie setzen: „Wir sind Weltmarktführer, was die CO2-Abnahme aus der Atmosphäre betrifft.“ Carbon Capture and Storage (CCS) wird das im Fachjargon genannt. Das Problem: Weltmarktführer ist weder Österreich noch Europa. Und im Kampf gegen die Klimakrise richten die Anstrengungen beim Vergraben der Emissionen nicht viel aus.
Wie funktioniert CCS?
Die von Stocker angesprochene Technologie, also Kohlenstoffdioxid bei Produktionsvorgängen abzutrennen und zu speichern, wurde in den USA und in Norwegen erfunden. Vereinfacht erklärt, wird beim Abscheideprozess Kohlendioxid entfernt, indem es durch eine spezielle Flüssigkeit geleitet wird, die es aufnimmt. Daraus wird es später wieder herausgelöst und gesammelt. Anschließend gelangt das CO2 über Pipelines wieder unter die Erde.
Welche Stränge gehören zum Kohlenstoffmanagement?
- Carbon Capture and Storage (CCS): Das bedeutet die Abscheidung und geologische Speicherung von CO2.
- Carbon Capture and Utilization (CCU): Das bedeutet die Abscheidung und anschließende Bindung von CO2 in Produkten.
- Carbon Dioxide Removal (CDR): Das bedeutet die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre durch technische oder naturbasierte Verfahren.
- Bioenergy with Carbon Capture & Storage (BECCS): Diese Technologie zielt darauf ab, CO2 aus Bioenergie-Anwendungen abzufangen und es entweder durch CO2-Abscheidung und -Lagerung (Carbon Capture and Storage (CCS)) zu speichern oder es mit CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung (Carbon Capture Use and Storage (CCUS)) wiederzuverwenden.
In Österreich ist das Speichern von Kohlendioxid unter der Erde seit 2011 gesetzlich verboten. Wie aber kommt Christian Stocker nun darauf, dass „wir“ hier Weltmarktführer wären?
Stockers Pressesprecher antwortet auf profil-Nachfrage, dass im Interview nicht Österreich, sondern die Europäische Union gemeint war. „Die EU-CCS-Richtlinie trat bereits 2009 in Kraft, damit war die EU weltweiter Vorreiter“, heißt es aus Stockers Büro. Zudem fördere die EU seit vielen Jahren innovative Projekte auch zur Anwendung von CCS in Europa. Und: „Letztes Jahr wurde das Thema CO2-Speicherung auf EU-Ebene auch mit einem Netto-Null-Industrie-Gesetz (Net Zero Industry Act) erneut proaktiv adressiert“, so Stockers Pressesprecher.
Europa als Weltmarktführer?
Weltweit listete das Global CCS Institute im Jahr 2024 rund 680 Projekte. Davon sind 50 in Betrieb, 44 im Bau – der Rest befindet sich in Planung. Genauer: 448 Projekte sind in einer frühen Phase, weitere 180 in fortgeschrittener Entwicklung. Der Großteil der Projekte befindet sich in Nordamerika (249), gefolgt von Europa (113) und dem asiatisch-pazifischen Raum (101). In Südamerika sind es 20, in Afrika elf.
Der Anteil der in Betrieb befindlichen Anlagen an der weltweiten CO2-Reduktion lag im Jahr 2022 laut BloombergNEF bei 0,1 Prozent – nachdem in über drei Jahrzehnten mehr als 80 Milliarden Dollar in diverse Projekte investiert wurden. Wie sinnvoll ist die Technologie und kann sie wirklich ein Gamechanger sein, wie Christian Stocker im Standard-Interview gesagt hat?
Markus Lehner hat an der Montanuniversität Leoben den Lehrstuhl für Verfahrenstechnik des industriellen Umweltschutzes inne. Im Gespräch mit profil sagt er: „Der technische Entwicklungsstand von Carbon Capture and Storage ist relativ hoch. Wir können damit eigentlich schon in größeren Mengen CO2 abscheiden und auch dauerhaft in der Erde speichern“, meint Lehner. Dort, wo Kohlenstoffdioxid natürlich vorkommt – also im Erdöl und Erdgas – ist das Abscheiden und Einspeichern gut erforscht und erprobt.
Schwieriger sei es laut dem Experten jedoch dort, wo CCS laut dem aktuellen Regierungsprogramm zur Anwendung kommen soll: etwa in der Zementproduktion oder Müllverbrennung. Im Arbeitsprogramm der Dreierkoalition ist hier von sogenannten „hard to abate“-Sektoren die Rede. Gemeint sind Produktionsprozesse, in denen sich CO2 momentan nicht vermeiden lässt und wo eine Elektrifizierung – wie es etwa die Stahlindustrie mit Elektrolichtbogenöfen versucht – nicht möglich ist. Also in der Zementproduktion, in der Müllverbrennung oder in der Luftfahrt. Hier steht die Forschung noch vor großen Herausforderungen: „Der problematischere Teil an der Prozesskette ist momentan, wenn Kohlenstoffdioxid nicht in seiner Reinform vorkommt. Da befinden wir uns in der Forschung eher in der Größenordnung von Pilotanlagen“, sagt Lehner von der Montanuniversität Leoben.
Hinzukommt, dass Europa und Nordamerika beim CCS verschiedene Ideologien verfolgen: „Bei uns in Europa ist Carbon Capture and Storage nur für solche Emissionen gedacht, die nicht vermeidbar sind, während in Kanada gesagt wird, ‚wir bauen nach wie vor Kohlekraftwerke und scheiden das CO2 ab und speichern es weg'. Diesen Zugang haben wir in Europa so nicht“, sagt Lehner. Deshalb gibt es in Nordamerika heute die meisten kommerziellen Anlagen – und dort sind auch künftig die meisten neuen Projekte geplant.
CCS in Österreich
Auch in Österreich gibt es konkrete Pläne, die bisher jedoch am CO2-Speicherverbot scheiterten. Der Zementhersteller Holcim würde in Mannersdorf gerne eine solche Anlage bauen und CO2 in Österreich unter stillgelegten Öl- und Erdgasfeldern speichern, so die Pläne des Schweizer Konzerns. Kostenpunkt: 450 Millionen Euro.
Potenzial dafür gebe es in Österreich für rund 300 Millionen Tonnen CO2, wie Forscherinnen und Forscher des Energieinstituts an der JKU Linz, der Montanuniversität Leoben und der Beratungsfirma EY Denkstatt berechnet haben. Zur Einordnung: zwischen 1990 und 2022 wurden in Österreich laut Umweltbundesamt 3000 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt. Das ermittelte Potenzial der Forscherinnen und Forscher würde also rund ein Zehntel dieser Emissionen kompensieren.
Welche Rolle spielt CCS beim Klimaschutz?
Stocker sagt im „Der Standard“-Interview zudem, dass es weniger Verbote – wie es die Grünen in ihrer gemeinsamen Regierungszeit forciert hätten – brauche, dafür aber mehr Innovation und Technologie. Wie Carbon Capture and Storage. Aber kann das reichen?
„Bessere Technologien, mehr Innovation, das ist ein wichtiger Teil der Lösung, wenn wir von der Klimakrise sprechen. Aber das alleine wird nicht reichen“, sagt Sigrid Stagl, Umweltökonomin an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. „Die Transformation, die wir brauchen, verlangt neben Innovationen aber auch gute Governance – also Regulierungen im Sinne von Geboten, Verboten, Industriestandards, fiskalische Maßnahmen, finanzielle Anreize für Unternehmen und Haushalte. Und natürlich verbesserte Technologien. Und dafür braucht es auch Anreize für Innovationen“, sagt die WU-Expertin. Welchen Beitrag kann CCS beim Klimaschutz also wirklich leisten?
Markus Lehner von der Montanuni Leoben meint, dass langfristig durchaus mehr als die 0,1 Prozent der weltweiten Emissionen aus dem Jahr 2022 eingespart werden könnten. Aber: „Das wird wahrscheinlich nie mehr als zehn Prozent ausmachen, wahrscheinlich wird es eher in einem einstelligen Prozentbereich bleiben“, so der Experte.
Fazit
Die größten kommerziellen Projekte zum Abscheiden von CO2-Emissionen befinden sich in Nordamerika. Europa geht hier einen anderen Weg und möchte vor allem jene Emissionen abscheiden, die nicht vermeidbar sind – etwa in der Luftfahrt, der Müllverbrennung oder in der Zementproduktion. Derzeit leistet diese Technologie einen verschwindend geringen Beitrag bei der Vermeidung von klimaschädlichen Emissionen. Dieser Beitrag kann laut Experten zwar hochskaliert werden. Für das Ziel, CO2-neutral zu werden, kann diese Technologie aber nur einen kleinen Teil beitragen. Stockers Aussage zur angeblichen Weltmarktführerschaft ist jedenfalls als falsch zu bewerten.