Faktencheck

Faktencheck: Diese Klimaversprechen wird die Regierung nicht halten

Vom Ausbau des Sonnenstroms bis zu weniger Bodenversiegelung: Türkis-Grün verkündete viele ehrgeizige Klimaschutz-Pläne. Aber wie realistisch ist die Umsetzung? Zwölf Behauptungen im großen Faktencheck-Spezial.

Drucken

Schriftgröße

Grüne Skipisten im Winter, ausgetrocknete Seen im Sommer, Grundwassermangel das ganze Jahr: Die Auswirkungen der Klimakrise werden zunehmend spürbar. Tut Österreich genügend dagegen? Die türkis-grüne Koalition hat versprochen, bis zum Jahr 2040 Klimaneutralität zu schaffen. Wie steht es um dieses Ziel? faktiv, der Faktencheck von profil, hat sich durch das Regierungsprogramm gegraben, Gesetze durchforstet und zentrale Umweltversprechen abgeklopft. 2024 endet die Legislaturperiode, bis dahin bleibt nicht mehr viel Zeit. 

Wie weit ist Türkis-Grün mit den Klimazielen gekommen? Wie schlagen sich die Bundesländer? Tatsächlich wurden in den letzten zweieinhalb Jahren enorme Anstrengungen unternommen, große Projekte wie die ökosoziale Steuerreform auf den Weg gebracht, hohe Fördersummen für grünen Strom bereitgestellt. In anderen Bereichen fällt die Zwischenbilanz düsterer aus: Die -Emissionen steigen weiter, der Ausbau von Windrädern geht viel zu langsam, auf den Autobahnen wird immer noch gerast. Zwölf Punkte, die für die Klima- und Energiewende wesentlich sind im großen profil-Faktencheck.

1. Sonnenstrom am Dach

Eine Million Photovoltaik-Dächer bis 2030 sind realistisch.

Leonore Gewessler

Umweltministerin (Grüne), 6. Juli 2021, Zeit im Bild 2

Falsch

Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage lässt sich leicht überprüfen: Bei rund 2,4 Millionen Gebäuden in Österreich müsste somit fast jedes zweite Dach über eine Photovoltaik-Anlage verfügen. „Das ist in erster Linie ein Kampagnentitel, der das Ziel verdeutlichen soll. Von einer Million mit Photovoltaik bestückten Dächern sind wir noch weit entfernt“, sagt Vera Immitzer, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Photovoltaic Austria.

Ein Klimaziel für 2030 ist, elf zusätzliche Terawattstunden Strom pro Jahr aus Sonnenkraft zu beziehen. In einer Studie für die Energieagentur errechnete der Photovoltaik-Experte Hubert Fechner ein theoretisches Erzeugungspotenzial von 18,6 Terawattstunden auf Österreichs Dachflächen. Aufgrund technischer Einschränkungen, etwa aufgrund mangelnder Statik, oder aus Gründen des Denkmalschutzes sowie wegen wirtschaftlicher oder ökologischer Restriktionen ließen sich laut Studie jedoch lediglich rund vier Terawattstunden tatsächlich auf Gebäuden bis 2030 umsetzen. Für die Klimaziele sei es jedoch einerlei, ob Photovoltaik am Dach, über Parkplätzen, auf Fassaden oder Freiflächen installiert werde, meint Immitzer. Es müsse jede Fläche genutzt werden, um ausreichend erneuerbaren Strom zu nutzen. „Wir haben im Jahr 2022 einen absoluten Rekord beim Ausbau der Photovoltaik gesehen und liegen über dem im Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz vorgesehenen Zubaupfad. Damit ist auch das Eine-Million-Dächer-Ziel weiterhin erreichbar“, glaubt man indes im Klimaministerium.

Beim Photovoltaik-Verband geht man davon aus, dass im abgelaufenen Jahr neue Anlagen mit einer Leistung von rund 1300 Megawatt dazugekommen sind. „Damit kommen wir den Zahlen, die wir brauchen, um die nationalen Ziele zu erreichen, schon recht nahe“, sagt Immitzer. Freilich nicht ausschließlich auf Dächern.

2. Radverkehr

Bekenntnis zur Erhöhung des Radverkehrsanteils von derzeit 7 % auf 13 % bis zum Jahr 2025

Türkis-grünes Regierungsprogramm 2020-2024

Seite 92

Falsch

2013 wurde im Auftrag des Verkehrsministeriums das letzte Mal erhoben, wie sich die Österreicherinnen und Österreicher fortbewegen. Der Radverkehrsanteil kam dabei auf sieben Prozent. Ob er seither zu- oder abgenommen hat, ist de facto unbekannt. Die nächste große österreichweite Mobilitätserhebung soll Mitte 2024 starten. Vor 2026 ist nicht mit Daten zu rechnen.

Man ist also ziemlich im Blindflug unterwegs. Ob bis 2025 der Radverkehrsanteil auf 13 Prozent gesteigert werden kann, ist mangels valider Zahlen nicht überprüfbar. Experten sind jedoch skeptisch: „Das Vorhaben ist sehr ambitioniert, ich denke, das ist nicht erreichbar“, sagt Michael Meschik vom Institut für Verkehrswesen an der Universität für Bodenkultur. „Um das Ziel zu erreichen, müsste der Großteil aller kurzen Wege, also solche unter 2,5 Kilometer, vom Pkw auf das Fahrrad verlagert werden“, sagt Verkehrsanalyst Rupert Tomschy vom Verkehrsplanungsunternehmen Herry Consult. „Bis 2025 wird das Ziel nicht erreicht werden. Dazu war die Vorlaufzeit, entsprechende Maßnahmen zu setzen, zu gering“, bekennt man nun auch im Klimaministerium ein.

Neuer Zeithorizont: 2030. Während man im Ministerium auf ein Rekordbudget für den Radverkehr von aktuell 78 Millionen Euro verweist, monieren Experten, es fehle an Maßnahmen zur Attraktivierung. „Es gibt in Österreich enorme Widerstände gegen den Bau von Radwegen. In den Gemeinden werden die Straßen für Autos optimiert. Erst dann schaut man, ob irgendwo noch Radfahrer und Fußgänger untergebracht werden können“, erklärt Meschik. Aus Befragungen sei bekannt, dass viele durch die fehlende Infrastruktur vom Radfahren abgehalten werden. „Es gibt große Sicherheitsbedenken wegen der hohen Geschwindigkeiten der Autos. Ich verstehe, wenn Eltern sagen, sie lassen ihre Kinder nicht auf die Straße, wenn Autos und Lastwägen mit hohem Tempo überholen“, so Meschik.

3. Klimaschutzgesetz

Das Klima wird in Österreich auch ohne Klimaschutzgesetz geschützt.

Karl Nehammer

Bundeskanzler (ÖVP), 5. September 2022, ORF-Sommergespräch

Größtenteils falsch

Unbestritten: Das Klima könnte man auch ohne Gesetz schützen. Doch die Aussage sei juristisch falsch und politisch fahrlässig, erklärt Daniel Ennöckl vom Institut für Rechtswissenschaften an der Universität für Bodenkultur. „Das wäre in etwa so, als würde man sagen, wir brauchen kein Budgetgesetz, und jedes Ministerium würde einfach Geld nach Gutdünken ausgeben.“ Im vergangenen November einigten sich EU-Staaten und EU-Parlament auf eine Verschärfung der sogenannten Lastenteilungsverordnung. Diese schreibt vor, dass die EU-Länder die -Emissionen im Nichtemissionshandelsbereich bis 2030 deutlicher senken müssen. In Österreich muss ein Minus von 48 Prozent gegenüber 2005 erreicht werden. Das alte Emissionsziel lag bei minus 36 Prozent.

Das alte Klimaschutzgesetz ist Ende 2020 ausgelaufen, ein neues nicht in Sicht, obwohl es im Regierungsprogramm festgeschrieben steht. „Wir brauchen einen verbindlichen Rahmen, wir können uns der EU-Verordnung nicht entziehen“, sagt Ennöckl. Es brauche sogenannte Reduktionspfade, also bindende Vorgaben für die einzelnen Sektoren wie Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Industrie und Abfallwirtschaft; eine jährliche Evaluierung sowie Sanktionsmechanismen, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Wenn Österreich die Ziele nicht erreicht, droht ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof – inklusive Strafzahlungen von neun Milliarden Euro bis zum Jahr 2030, wie der Rechnungshof berechnet. „Es ist erschreckend, wie sorglos Teile der Politik damit umgehen“, sagt Ennöckl.

Aus dem Bundeskanzleramt heißt es: „Klimaschutz beschränkt sich keinesfalls nur auf das Klimaschutzgesetz, es ist die tägliche Arbeit an Dutzenden Materien. Klimaschutz hat einen hohen Stellenwert in der türkis-grünen Regierung, wie die bereits umgesetzten Maßnahmen, wie etwa das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz oder die Ökosoziale Steuerreform, deutlich zeigen. Noch nie standen so große Budgetmittel für den Klimaschutz zur Verfügung, wie es jetzt der Fall ist.“

4. Bodenversiegelung

Österreichweite Bodenschutzstrategie für sparsameren Flächenverbrauch: Zielpfad zur Reduktion des Flächenverbrauchs auf netto 2,5 ha/Tag bis 2030.

Türkis-grünes Regierungsprogramm 2020–2024

Seite 104

Unbelegt

Schon viele Regierungen versprachen, das 2,5 Hektar-Ziel zu erreichen. Tatsächlich liegt Österreich beim Flächenfraß seit Jahrzehnten im europäischen Spitzenfeld. Aktuell sieht es nicht danach aus, als würde sich das ändern: Täglich verschwinden laut Umweltbundesamt 11,3 Hektar unter Beton und Asphalt, pro Jahr ergibt das im Schnitt 41 Quadratkilometer – das entspricht der Größe von Eisenstadt. Schon vergangenen Herbst wollte Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) eine Bodenschutzstrategie vorlegen. Man arbeite „mit Hochdruck an der Fertigstellung“, heißt es aus dem Ministerium. „Im Laufe des Jahres“ soll es so weit sein.

Die Regierung hätte bei dem Thema durchaus Rückenwind. 82 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher finden, dass die Politik nicht genug mache, um den Flächenfraß zu stoppen, zeigte eine Umfrage im Auftrag des WWF. 59 Prozent plädieren dafür, Flächenwidmungen nicht mehr den Bürgermeistern zu überlassen. Die Absage des Gemeindebundes folgte prompt: Man wolle sich die Widmungen keinesfalls aus der Hand nehmen lassen.

Expertinnen und Experten zufolge ist das auch nicht unbedingt nötig – wenn die Länder ihre Aufgabe ernst nehmen und Widmungen der Gemeinden ordentlich kontrollieren. Tatsächlich werden aber zu viele Bauprojekte durchgewinkt. Gegen den Widerstand der Bevölkerung und allen Warnungen von Raumplanung und Klimaforschung zum Trotz halten Regional- und Landespolitiker an Großprojekten fest. Prominente Beispiele gibt es zuhauf: Die Wiener Stadtstraße etwa oder die geplante Umfahrung Wiener Neustadts mitten durch ein Naturschutzgebiet. Oder die 18 Hektar Wald, die für ein Betriebsbaugebiet im oberösterreichischen Ohlsdorf gerodet wurden, obwohl es offenbar keine Interessenten dafür gibt. Die Zweifel, dass Totschnigs Bodenschutzstrategie dagegen etwas ausrichten kann, sind groß.

5. Putins Gas

Im Februar hätte niemand gedacht, dass wir unsere Abhängigkeit von russischem Erdgas von 80 auf zwischenzeitlich 20 bis 30 Prozent verringern können.

Alexander Schallenberg

Außenminister (ÖVP), 28. Jänner 2023, „Die Presse“

Irreführend

Auf der Website des grünen Umweltministeriums wird stolz verkündet: „Österreich hat Abhängigkeit von russischem Gas um drei Viertel gesenkt“. Diese Information stammt vom November 2022. Auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) rühmt sich mit der weitgehenden Unabhängigkeit von Putins Erdgas. Aktuelle Zahlen der E-Control zeigen jedoch: Während im Oktober 2022 lediglich 17 Prozent der Gasimporte aus Russland stammten, befindet man sich inzwischen wieder fast auf Vorkriegsniveau; 71 Prozent der importierten Gasmengen kamen im Dezember aus Russland, im Februar 2022 waren es nur um acht Prozentpunkte mehr (siehe Grafik). Aus dem Außenministerium heißt es, dass sich laufende Schwankungen „aufgrund von Mengeneffekten“ ergeben. Tatsächlich gab es im Dezember vergleichsweise niedrige Gasimporte; die heimische Nachfrage wurde vermehrt aus Speichern bedient, weswegen russisches Gas in absoluten Zahlen nur etwa die doppelte Menge vom Oktober ausmachte. Unbestritten ist jedoch: Der Anteil an russischem Gas steigt seit Herbst kontinuierlich.

AUSSENMINISTER SCHALLENBERG

Er rühmt sich mit der Unabhängigkeit von russischem Gas.

Laut Österreichischer Energieagentur ist das unter anderem darauf zurückzuführen, dass die russische Gazprom Liefereinschränkungen für österreichische Abnehmer zurückgenommen hat. Mittelfristig geht die Energieagentur jedoch davon aus, dass die Bedeutung von russischen Gasimporten wieder zurückgehen wird – aufgrund eines niedrigeren Gasverbrauchs in Österreich, der Diversifizierung der Einfuhrquellen sowie der gesteigerten Produktion von heimischem, erneuerbarem Gas. Bis 2027 soll Österreich komplett ohne Putins Gas auskommen: „Das Ziel ist jedenfalls erreichbar“, heißt es aus dem Umweltministerium.

6. 100 Prozent grüner Strom

Wir schaffen die Energiewende mit erneuerbaren Energien.

Martin Litschauer

Anti-Atom-Sprecher der Grünen im Nationalrat, 9. August 2021, Aussendung

Unbelegt

Zehn zusätzliche Windräder müssten jeden Monat auf Wiesen, Feldern, Bergen oder Hügeln aufgestellt werden, um das Ziel der Regierung – 100 Prozent grünen Strom bis 2030 – zu erreichen. Per Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ist bestimmt, dass sich die jährliche Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen dafür um 27 Terawattstunden steigern muss, Wind und Sonnenstrom sollen besonders stark ausgebaut werden. Fachleute plädieren für ambitioniertere Ziele, zweifeln jedoch an der Erreichung der bestehenden – zu wenig Flächen sind gewidmet, Fachkräfte fehlen. Und: Die aktuellen Vorgaben der Bundesländer genügen nicht, um die nationalen Ziele zu erreichen, wie etwa das KlimaDashboard analysiert; sowohl bei Photovoltaik als auch bei Windkraft sind sie nur zu etwa 80 Prozent abgedeckt.

„Der aktuelle Ausbau ist nicht ausreichend“, meint etwa Christoph Dolna-Gruber von der Energieagentur. Lediglich beim Sonnenstrom sei man „mit einer adäquaten Geschwindigkeit“ unterwegs. Bei der Windkraft lag man im vergangenen Jahr sogar 0,7 Terawattstunden unter dem jährlichen Ausbauziel, so die IG Windkraft: 30 Windräder zu wenig wurden aufgestellt. Auch bei der Wasserkraft liegt der Zubau noch unter dem Zielpfad, heißt es aus dem grünen Umweltministerium selbst. Leonore Gewessler gibt sich dennoch zuversichtlich – und vor allem kämpferisch, spricht von einem „Erneuerbaren-Turbo“, der 2023 durch eine Photovoltaik-Ausbauoffensive oder schnellere Verfahren für Kraftwerke gezündet werde.

Einen konkreten Fahrplan bleibt die Umweltministerin schuldig, gleich wie Parteikollege Litschauer. Nur so viel: Ein Bund-Länder-Dialog soll die Lücke zwischen nationalem Ausbauziel und den Ländervorhaben schließen. Eine endgültige Bilanz ist freilich erst in sieben Jahren möglich. Bereits jetzt steht jedoch fest: Österreich muss seinen Stromverbrauch deutlich verringern, um das Ziel zu erreichen, meint etwa Johannes Wahlmüller von Global 2000. Um rund ein Fünftel weniger Energie bis 2030 hat sich die Regierung etwa vorgenommen; ein entsprechendes Gesetz wurde noch nicht beschlossen.

7. Tempo 100

Wir müssen weniger mit Verboten arbeiten, sondern stattdessen an den ganz großen Schrauben drehen. In Österreich ist es ganz einfach so, dass auf 40 Prozent der Autobahnen bereits jetzt schon nicht Tempo 100 gefahren werden kann.

Claudia Plakolm

Staatssekretärin (ÖVP), 9. Jänner 2023, Zeit im Bild 2. Anmerkung: Plakolm meinte, dass auf 40 Prozent der Autobahnen nicht mehr als 100 km/h gefahren werden dürfe.

Größtenteils falsch

Glaubt man Forscherinnen und Forschern, fällt Tempo 100 durchaus unter die Kategorie „große Schraube“ beim Klimaschutz. Die Forschungsgesellschaft Straße – Schiene – Verkehr (FSV) veröffentlichte kürzlich einen Bericht über die Folgen von Tempo 30 in Ortsgebieten, Tempo 80 auf Landstraßen und Tempo 100 auf der Autobahn. Ergebnis: zehn Prozent weniger Emissionen aus dem Kfz-Verkehr, 49 Prozent weniger gesundheitsschädliche Stickstoffoxide und zehn Prozent weniger Treibstoffverbrauch. Zudem würden damit im Straßenverkehr jährlich 116 Menschen (28 Prozent) weniger getötet und knapp 7000 (19 Prozent) weniger verletzt.

Astrid Gühnemann, Leiterin des Instituts für Verkehrswesen an der Universität für Bodenkultur (BOKU), und andere führende Verkehrsexperten des Landes nahmen die Ergebnisse ihrer Kollegen zum Anlass für einen offenen Brief. Darin fordern sie die Regierung auf, „die Höchstgeschwindigkeiten im Ortsgebiet, im Freiland und auf Autobahnen als effektive Sofortmaßnahme unverzüglich zu senken“. Sie hätten für ihren Brief viel Zustimmung aus der Bevölkerung erhalten, sagt Gühnemann. Dass die Befürworter mehr werden, zeigt auch die aktuelle profil-Umfrage. Im Juni 2022 war nur ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher für ein Tempolimit, aktuell sind es schon mehr als ein Drittel.

STAATSSEKRETÄRIN PLAKOLM

Sie erteilt Geschwindigkeitsbegrenzungen eine Absage.

Staatssekretärin Plakolm hält trotz allem an ihrer Überzeugung fest: „Ich bekenne mich dazu, dass ich nichts von der Einführung von Tempo 100 halte“, sagt sie auf profil-Anfrage. Ihr wenig überzeugendes Argument: Österreichs Anteil am weltweiten -Ausstoß sei gering – deshalb sei der Beitrag von Tempo 100 keine große Schraube. Klimaministerin Leonore Gewessler, der Maßnahme nicht abgeneigt, weist regelmäßig darauf hin, dass die parlamentarischen Mehrheiten dafür fehlen.

8. Klimaneutralität 2040

Wir sind 2040 klimaneutral. Das ist der Plan der Bundesregierung und zu dem stehe ich.

Stefan Kaineder

Chef der Grünen Oberösterreich, 18. April 2021, „Kurier“

Unbelegt

Ein Oberösterreicher verursacht fast dreieinhalb Mal so viele Treibhausgasemissionen wie ein Wiener. Schuld daran ist nicht der Lebensstil vom Hausruck- bis zum Mühlviertel, sondern die Industrie, allen voran der Stahlkonzern voestalpine. In Oberösterreich glaubt man dennoch an die Klimawende – und steht zu den bundesweiten Vorhaben im Regierungsprogramm: „Wir sind 2040 klimaneutral“, meint der Chef der Grünen in Oberösterreich, Stefan Kaineder. Experten sind skeptisch. Während die Emissionen aufgrund von Corona-Pandemie und Energiekrise kurzfristig deutlich zurückgingen (laut Umweltbundesamt 2020 um fast acht bzw. 2022 um voraussichtlich fünf Prozent in Österreich), erwartet das Wifo für 2024 wieder ein leichtes Plus. Zur Klimaneutralität 2040 braucht es allerdings eine jährliche Reduktion von über vier Millionen Tonnen  – das entspricht in etwa sechs Prozent. „Bis dahin ist noch ein weiter Weg“, meint Wifo-Ökonom Mark Sommer. Die türkis-grüne Regierung bekennt sich zu den EU-Klimazielen, wonach die nationalen Emissionen bis 2030 halbiert werden müssen. Erreicht Österreich diese Ziele nicht, drohen Strafzahlungen in Milliardenhöhe. Ohne drastische Änderungen – allen voran im Verkehrssektor – sehen Fachleute auch hier schwarz: Seit 1990 haben sich die Emissionen kaum verändert (siehe Grafik).

Klimaschutzgesetz und Energie- und Klimaplan, die den Weg zum Ziel aufzeigen sollen, sind ausständig. Und: In Österreich wird klimaschädliches Verhalten (Stichwort: Dieselprivileg, Pendlerpauschale und vieles mehr) weiterhin gefördert – laut einer aktuellen Wifo-Studie mit bis zu 5,7 Milliarden Euro pro Jahr.

9. Klimaticket

Schaffung eines 1-2-3 Österreich-Ticket

Türkis-grünes Regierungsprogramm 2020-2014

Seite 18

Größtenteils richtig

Gegen alle Widerstände setzte Ministerin Leonore Gewessler ein Klimaticket durch. Seit dem Nationalfeiertag 2021 kann jede und jeder um 1095 Euro österreichweit alle Öffis nutzen. Mehr als 208.000 Menschen kauften sich die Universalfahrkarte bisher – doppelt so viele, wie die Verkehrsbetriebe erwartet hatten. Die Konsequenz: überfüllte Züge.

Mittlerweile gibt es in allen neun Bundesländern ebenfalls Klimatickets, die innerhalb der Landesgrenzen gelten. Das ist freilich die etwas abgespeckte Version des ursprünglich geplanten 1-2-3 Tickets, das auch Fahrkarten für zwei Bundesländer ermöglicht hätte. In manchen Regionen gibt es allerdings länderübergreifende Tickets, so zum Beispiel in Niederösterreich, Wien und dem Burgenland.

ÖVP-LANDESRAT SCHLERITZKO

Er glaubte lange nicht an eine schnelle Einführung des Klimatickets in Niederösterreich.

„Harte, aber schlussendlich erfolgreiche Verhandlungen“ hätten das Klimaticket doch noch rechtzeitig ermöglicht, sagt Niederösterreichs Mobilitätslandesrat Ludwig Schleritzko (ÖVP) heute, der eine Einführung in seinem Bundesland im Sommer 2021 noch für „illusorisch“ gehalten hatte. „Wir sehen, dass es gut angenommen wird. Im vergangenen Jahr haben wir die Preise für das niederösterreichische Klimaticket nochmals um zehn Prozent gesenkt.“

10. Biodiversität

Mindestens 30 Prozent der Landesfläche stehen unter wirkungsvollem Schutz; Status von 30 Prozent der gefährdeten Arten ist verbessert oder weist einen positiven Trend auf.

Biodiversitätsstrategie der Regierung

November 2022

Unbelegt

Der Vogel des Jahres 2023 heißt Braunkehlchen, auch „Wiesenclown“ genannt – das liegt an den markanten weißen Streifen, die er über seinen Augen trägt. Abgesehen von seiner Kür hat das Braunkehlchen wenig Grund zum Feiern. Sein Bestand hat sich seit 1998 um 63 Prozent dezimiert, Tendenz weiter sinkend. Damit ist der Wiesenbrüter in Österreich nicht allein: Laut Umweltbundesamt sind mehr als die Hälfte aller Amphibien und Reptilien stark gefährdet, genauso knapp die Hälfte aller Fische, 60 Prozent der Farn- und Blütenpflanzen sowie ein Drittel aller Vögel und Säugetiere. Die Rote Liste gefährdeter Arten wird mit jedem Jahr länger.

Im vergangenen Dezember veröffentlichte das Klimaministerium die im Regierungsprogramm versprochene Biodiversitätsstrategie bis 2030. Sie ist ambitioniert: Ein Drittel der Landesfläche soll bis zum Ende des Jahrzehnts unter Schutz stehen und ein Drittel der Arten von der Roten Liste gestrichen sein. Das Problem: Mit den aktuell budgetierten Mitteln ist das nicht zu schaffen. Der im Herbst 2022 gestartete Biodiversitätsfonds fördert zwar gezielt Naturschutzprojekte – mit 80 Millionen Euro bis 2026 ist er aber deutlich unterfinanziert. „Für das Erreichen der Ziele wäre jährlich mindestens eine Milliarde Euro nötig“, sagt der Biologe Franz Essl, Mitglied im Leitungsteam des Biodiversitätsrats. Am meisten würde ein Naturschutzzuschlag für Bäuerinnen und Bauern bringen sowie mehr Geld für Schutzgebiete – denn aktuell wird ein Viertel dieser Zonen nicht ausreichend geschützt und gepflegt. Letzteres ist vor allem Ländersache.

Wie gering der Stellenwert der Biodiversität immer noch ist, macht ein Blick nach Niederösterreich deutlich: Das Bundesland gab im vergangenen Jahr laut eigenen Angaben 29 Millionen Euro für Naturschutz aus, während mit 85 Millionen Euro fast

dreimal so viel Geld in den Neubau von Straßen floss. Straßenneubau ist neben intensiver Landwirtschaft und zunehmender Verbauung einer der Hauptgründe für den Rückgang von Tieren und Pflanzen.

Das Klimaministerium bleibt indes einen konkreten Fahrplan schuldig. „Für die Umsetzung der Biodiversitätsstrategie Österreich 2030+ sind unterschiedliche Stellen – vom Bund über die Bundesländer bis hin zu den Gemeinden – zuständig. Selbstverständlich braucht es von all diesen Seiten finanzielle Mittel und auch die notwendige Unterstützung, um die Ziele zu erreichen. Der Biodiversitätsfonds ist hier ein zusätzliches Förderprogramm für die Biodiversität und ersetzt nicht bestehende andere Finanzierungs- und Förderprogramme“, so das Ministerium auf profil-Anfrage. Mehr Geld für Biodiversität? Fehlanzeige.

11. Pendlerpauschale

Ökologisierung und Erhöhung der Treffsicherheit des Pendlerpauschales

Türkis-grünes Regierungsprogramm 2020-2024

Seite 12

Unbelegt

Eigentlich wollte Umweltministerin Leonore Gewessler die Umgestaltung der Pendlerförderung gemeinsam mit der ökosozialen Steuerreform präsentieren. Im Oktober 2021 war dann jedoch keine Rede mehr davon. Und als Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, erst recht nicht. Der Krieg ließ die Preise von Rohöl und Gas drastisch steigen. An der Zapfsäule überstieg der Preis für den Liter Benzin zeitweilig die Zwei-Euro-Marke. Zur finanziellen Entlastung erhöhte die Regierung unter anderem das Pendlerpauschale um 50 Prozent, der Pendlereuro wurde sogar vervierfacht. „Durch diese Antiteuerungsmaßnahmen wurde das Pendlerpauschale freilich weder ökologisiert noch in seiner Treffsicherheit erhöht. Im Gegenteil“, sagt Wifo-Umweltökonomin Daniela Kletzan-Slamanig. Es schaffe Anreize zur Zersiedelung und für lange Fahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort. Wer weiter weg wohnt, wird stärker gefördert. Und da die Subvention als Steuerfreibetrag die Steuerbemessungsgrundlage vermindert, profitieren jene stärker, die sich in höheren Steuerklassen befinden, also besser verdienen. Das erhöhte Pendlerpauschale ist bis

30. Juni 2023 befristet. Wird es danach ökologisiert? „Selbstverständlich planen wir, die im Regierungsprogramm vorgesehenen Maßnahmen umzusetzen“, heißt es aus dem Klimaministerium. Einen konkreten Zeitplan bleibt man aber schuldig.

12. Raus aus Öl und Gas

Bis zum Jahr 2035 sollen sämtliche Öl-, Kohle- und Koksheizungen stillgelegt werden. Bis zum Jahr 2040 soll die gesamte Wärmeversorgung dekarbonisiert sein.

Ziele Erneuerbare-Wärme-Gesetz

Regierungsvorlage, November 2022

Unbelegt

Spätestens ab 2040 gibt es in vielen Badezimmern und Abstellräumen Österreichs mehr Platz.

Das Erneuerbare-Wärme-Gesetz soll das Ende der Gastherme bringen. In weniger als 20 Jahren wird die gesamte Wärmeversorgung dekarbonisiert,

2035 werden bereits alle Öl- und Kohleheizungen stillgelegt – so plant es zumindest die türkis-grüne Regierung. Fachleute sehen darin eine große Herausforderung – zumal das Gesetz noch nicht einmal beschlossen wurde. Eine Berechnung der Energieagentur zeigt: Sollten die Regelungen im nächsten Jahr zu wirken beginnen, müssten bis 2035 jeden Tag 125 alte Kohle- und Ölheizungen ersetzt werden; um die letzte Gastherme 2040 abzuhängen, bräuchte es den Ersatz von 200 alten Gasheizungen pro Tag. Insgesamt wären das rund 120.000 pro Jahr. Ist das machbar? Nein, heißt es von der Vereinigung Österreichischer Kessellieferanten (VÖK), auch wenn die Nachfrage nach Wärmepumpen und Holz- bzw. Pelletsheizungen „ungebrochen hoch“ sei.

Derzeit werden zwar tatsächlich über 100.000 Heizungen jährlich installiert. Die Hälfte davon waren 2021 Gasheizungen, auch 2022 waren es noch mehr als 30 Prozent. Deren Umrüstung auf alternative Heizsysteme sei jedoch drei Mal so zeitintensiv wie der Ersatz alter Modelle mit neueren, heißt es vom VÖK. „Dafür haben wir nicht genügend Personal.“ Auch Umweltschutzorganisationen mahnen Tempo bei der Wärmewende ein und kritisieren, dass es an detaillierten Informationen zu den aktuellen Heizungsbeständen im Land fehle. Und: dass grünes Gas in Haushalten weiterhin erlaubt sein soll: „Das brauchen wir viel eher für die Industrie, wo es keine Alternativen gibt“, meint etwa Jasmin Duregger von Greenpeace. Aus dem Umweltministerium verweist man indes auf hohe Förderungen zum Umstieg, die genaue Datenlage solle durch das neue Gesetz erhoben werden.

Mitarbeit: Clemens Neuhold

Fazit

Manches ist passiert, vieles steht aber noch aus. So werden die Klimaziele sehr schwer erreichbar sein.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

war bis Oktober 2024 Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.