Faktencheck: Ist das österreichische Budget-Defizit wirklich fast so groß wie in Großbritannien?

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger will im ORF-Sommergespräch Österreichs Rekordverschuldung illustrieren – mit einem hinkenden Vergleich.

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Wir haben ein Defizit von 21 Milliarden Euro [...] und der Bundeskanzler stellt sich hin und sagt, wir machen weiter wie bisher und in Großbritannien sagen sie bei 26 Milliarden Euro, bei einer Wirtschaftsleistung, die siebenmal so groß ist und knapp 70 Millionen Einwohnern, wir müssen jetzt wirklich etwas tun.

Beate Meinl-Reisinger, ORF-Sommergespräch, 5. August 2024

Irreführend

Beim österreichischen Budget ist Feuer am Dach, warnt Beate Meinl-Reisinger im ORF-Sommergespräch – und kritisiert die Untätigkeit der Regierung: „Wir haben mittlerweile eine Situation, wo wir massiv steigende Staatsausgaben haben. Wir haben einen Schuldenberg, der gigantisch ist.“

Aber die Feuerwehr steht in der Erzählung von Beate Meinl-Reisinger schon bereit. Die Neos liebäugeln schließlich mit dem Finanzministerium: „Es wäre ganz gut, wenn es jemanden gäbe, der wirklich den Mut hat für strukturelle Reformen und damit auch die klare Ansage, dass die Bürgerinnen und Bürger steuerlich entlastet werden in Österreich. Die Steuern müssen runter“, so Meinl-Reisinger im Sommergespräch.

Um die missliche Budgetlage in Österreich zu verdeutlichen, zieht die Neos-Chefin dann einen Vergleich mit Großbritannien. Dort habe der neue Premierminister Keir Starmer verkündet, das Land sei „broke and broken“ – und das „bei einem Budgetdefizit von umgerechnet 26 Milliarden Euro, und wir haben 21 Milliarden.“ Meinl-Reisinger kritisiert also die Untätigkeit Karl Nehammers, während in Großbritannien schon bei vergleichsweise niedrigen Zahlen Maßnahmen angekündigt werden: „In Großbritannien sagen sie bei 26 Milliarden Euro, bei einer Wirtschaftsleistung, die siebenmal so groß ist und knapp 70 Millionen Einwohnern, wir müssen jetzt wirklich etwas tun.“

Das klingt in dieser Relation tatsächlich alarmierend. Ist Großbritanniens Budgetdefizit wirklich um nur umgerechnete fünf Milliarden Euro höher als das des kleinen Österreich?

Nein, denn: „Diese 26 Milliarden Euro entsprechen nicht dem Gesamtdefizit des Staatshaushaltes des Vereinigten Königreichs“, erklärt Mario Holzner, der Geschäftsführer des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). „Das Defizit ist um ein Vielfaches höher, die 26 Milliarden alleine sind ja für eine große Volkswirtschaft wie das Vereinigte Königreich keine große Sache. Im März hat es eine Defizit-Prognose gegeben, und jetzt hat sich herausgestellt, dass dieses Defizit noch einmal um 26 Milliarden Euro höher ist.“

Im März hatte nämlich noch der ehemalige konservative Schatzkanzler Jeremy Hunt, der nun durch die Labour-Politikerin Rachel Reeves im Amt abgelöst wurde, ein Budget präsentiert. Die darin festgelegte Mehrausgabengrenze werde nun um voraussichtlich 21,9 Milliarden Pfund überschritten, heißt es von der neuen Regierung. Nach der Präsentation des Budgets schätzte das Institute for Fiscal Studies das Defizit für 2024/25 auf 132 Milliarden Euro (113 Milliarden Pfund), im zweiten Quartal des Jahres 2024 betrug das Defizit laut dem britischen Office for Budget Responsibility 58 Milliarden Euro (49,8 Milliarden Pfund).

Laut der Datenbank Ameco der Europäischen Kommission hatte das Vereinigte Königreich letztes Jahr 180 Milliarden Euro Defizit, so Experte Holzner: „Das sind ganz andere Dimensionen.“

Margit Schratzenstaller, Ökonomin am Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO), erklärt auf profil-Anfrage außerdem: „Ein Vergleich von absoluten Zahlen ist nicht zielführend – umso weniger zwischen einem kleinen Land wie Österreich und einem großen Land wie Großbritannien.“

Ein Blick auf die Schuldenquoten zeigt nämlich: In Österreich betrug der Anteil der Schulden 2023 77,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, in Großbritannien hatte die Schuldenquote bereits die 100-Prozent-Marke geknackt.

Schratzenstaller betont allerdings auch: „Österreich wird, auch wenn es im Vergleich zu UK und einer Reihe anderer Länder besser dasteht, nicht um Maßnahmen herumkommen, die das Land wieder auf einen nachhaltigen Budgetpfad führen.“

Von den Neos heißt es auf Anfrage, Beate Meinl-Reisinger hätte mit diesem Beispiel auf den unterschiedlichen Umgang mit explodierenden Budgetdefiziten hingewiesen. Und dann, präziser als im Sommergespräch: „Während der neue britische Premier Starmer nach dem Entdecken eines, laut Berichten rund 26 Mrd. Euro großen Finanzlochs, einem damit drohenden Anstieg des Defizits um rund 25 Prozent und nötiger Einsparungen in Höhe von rund 16 Mrd. Euro in den kommenden beiden Jahren, alarmistische Worte fand und klare Maßnahmen ankündigte, löste die Verdoppelung des Budgetdefizits im Jahresvergleich in Österreich in den ersten sechs Monaten 2024 ganz andere Reaktionen aus.“

Fazit

Das Budgetdefizit in Großbritannien wird 2024 weitaus höher sein als die zunächst von Beate Meinl-Reisinger ins Feld geführten 26 Milliarden Euro, die das von der Prognose abweichende, zusätzliche Loch beziffern. Auf Anfrage präzisieren die Neos zwar, der Vergleich des aufgegangenen Budgetlochs in Großbritannien mit dem Gesamtdefizit in Österreich ist jedoch irreführend. 

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.