Nein, die aktuellen Asyl-Zahlen sind nicht mit 2015 vergleichbar
Maurer (Sigrid Maurer, Klubchefin, Grüne, Anm.) verbreitet das Märchen, dass viele der Menschen, die über die Grenze kommen in andere EU-Länder weiterziehen.
Falsch
Steigende Asylantragszahlen sorgen für Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen: Es gibt nicht genügend Quartiere. Der Aufbau erster Zelte zur Versorgung - ein Plan des Innenministeriums - stößt in betroffenen Gemeinden auf massive Proteste. Wie ist die aktuelle Situation einzuschätzen? Ein Faktencheck.
Rund 3000 Menschen passieren derzeit jede Woche die burgenländisch-ungarische Grenze: Die SPÖ warnt vor einer Fluchtbewegung wie 2015. Das ÖVP-geführte Innenministerium ist in Alarmbereitschaft. FPÖ-Parteichef Herbert Kickl wittert eine „Asylkrise“, die bald Ausmaße von 2015 übersteige. Droht eine Situation wie vor sieben Jahren, als bis zu 10.000 Personen pro Tag ins Land kamen? Wenn es nach den Grünen geht, lautet die Antwort Nein. Auch wenn die Asylanträge mehr werden: Bis Mitte Oktober wurden bereits 73.000 Anträge gestellt. Im gesamten Jahr 2015 lag die Zahl nicht viel höher – konkret bei 88.000. Dennoch drohe kein Szenario wie 2015, sagt die grüne Klubchefin Sigrid Maurer in der „Presse“: „Das ist falsch. (…) Wir haben trotz steigender Asylantragszahlen eine gleichbleibende Zahl an Menschen in Grundversorgung. Das liegt daran, dass die Leute weiterziehen.“ Stimmt das?
Zur Grundversorgung: Ende 2015 haben fast 79.000 Menschen Unterkunft, Verpflegung und finanzielle Hilfe in Österreich bekommen, 57.000 davon waren Asylwerber. In den Folgejahren entspannte sich die Situation. Doch Anfang Oktober 2022 waren sogar mehr Menschen in Grundversorgung als 2015 – etwa 90.000. Allerdings fallen in die Statistik auch rund 57.000 Ukrainer, denen via Kriegs-Vertriebenenrichtlinie Schutz außerhalb des Asylsystems zukommt. Ungefähr 20.000 Menschen sind „normale“ Asylwerber, also ein Drittel von 2015. Warum ist diese Zahl – anders als Asylanträge – so stabil geblieben? Ziehen die Menschen weiter, obwohl sie hier um Schutz ansuchen?
Roland Fürst, Landesgeschäftsführer der SPÖ Burgenland, bezeichnet das als „Märchen“. Auf profil-Anfrage erklärt er, dass es eine „hohe Dunkelziffer an sogenannten U-Booten“ gebe. Ähnlich das Innenministerium: Bis Ende August hätten sich rund 15.000 Menschen dem Verfahren entzogen. Dass so viele Menschen unter dem Radar der Behörden leben, kann das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) nicht nachvollziehen: Die meisten Asylanträge stammen aktuell von Indern, die visumfrei nach Serbien einreisen und den Weg in die EU suchen. Im August waren das mit etwa 3500 Anträgen 25 Prozent. Auch immer mehr Pakistani und Marokkaner beantragen Schutz in Österreich – anders als 2015. „Diese Menschen wollen meist nicht hierbleiben. Sie ziehen nach Spanien, Italien und Frankreich weiter“, sagt Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich. Das zeigt auch die Statistik des Innenministeriums vom August – und die Differenz zwischen Asylanträgen und Menschen in Grundversorgung. Bei Indern ist diese mit rund 4300 Personen besonders hoch. Dass alle diese Menschen als „U-Boote“ hier leben, scheint unwahrscheinlich. Sie hätten keinen Anspruch auf ein Quartier, könnten nur über illegale Beschäftigung Geld verdienen. 2022 gab es laut Finanzministerium dazu 2300 Strafanträge gegen mutmaßlich illegal aufhältige Personen.
Warum viele Menschen in Österreich um Schutz ansuchen, obwohl sie weiterziehen, erklärt Pinter so: „Damit sie nicht nach Ungarn zurückgeschickt werden, wo es keine Möglichkeit gibt, einen Asylantrag zu stellen: Es kommt regelmäßig zu Abschiebungen nach Serbien.“ Generell sei die Situation „nicht mit 2015 vergleichbar“. Über das Jahr betrachtet sind Afghanen (23 Prozent) und Syrer (18 Prozent) zwar weiterhin antragsstärkste Nationen (gefolgt von Indern mit 14 Prozent). Jedoch scheinen selbst afghanische Staatsangehörige nicht mehr hierzubleiben, auch wenn sie höhere Chance auf Asyl haben als Inder: Rund 62 Prozent der Verfahren wurden bisher eingestellt – etwa weil die Personen nicht ausfindig gemacht werden können.
Nach dem Dublin-System der EU ist grundsätzlich das Land für das Asylverfahren zuständig, in dem eine Person registriert wurde. Österreich müsste künftig jene Menschen aufnehmen, die hier um Asyl ansuchten und weiterzogen. So argumentiert zumindest Fürst von der SPÖ. „Das EU-Verteilungssystem funktioniert in der Praxis aber nicht. Die Zahl überstellter Menschen ist verschwindend gering“, erklärt Lukas Gahleitner-Gertz vom Verein „asylkoordination“. Das zeigt auch die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der NEOS vom Innenministerium: Bis Anfang September gab es rund 8400 Aufnahmegesuche von anderen EU-Staaten. Weniger als zehn Prozent der Menschen wurden nach Österreich überstellt.
Fazit
Auch wenn die Asylantragszahlen jene von 2015 bald überschreiten könnten, unterscheidet sich die aktuelle Situation deutlich – aufgrund der Anzahl an Menschen in Grundversorgung und ihrer Herkunftsländer. Asylstatistiken und Einschätzungen von Fachleuten legen nahe: Viele Menschen ziehen tatsächlich weiter. Die Aussage von Fürst ist als falsch einzustufen.