Faktencheck: Warum Corona-Maßnahmengegner vor Spitälern demonstrieren dürfen
Es ist bereits geltendes Recht, dass die Landespolizeidirektion bzw. die zuständige Bezirkshauptmannschaft Demonstrationen vor Krankenanstalten untersagen können.“
Irreführend
„Es geht um Leben und Tod, es geht um die Sicherheit.“ Mit diesen Worten urteilt ÖVP-Innenminister Gerhard Karner über die jüngsten Handlungen von Corona-Maßnahmengegnern – wie etwa eine Demonstration von Impfkritikern vor dem Klinikum Wels. Rund 600 Personen nahmen an der Kundgebung am 16. November teil. Weitere Versammlungen von Maßnahmengegnern und Corona-Skeptikern folgten: Am 24. November gab es Kundgebungen vor acht Spitälern in Oberösterreich, am 27. November eine Demonstration Nahe eines Krankenhauses im niederösterreichischen Baden. ÖVP, Grüne und SPÖ bringen neue Gesetze ins Spiel, um effektiv gegen solche Aktionen vorzugehen. Die FPÖ hingegen meint, derartige Versammlungen könnten auch ohne Novellierung des Versammlungsgesetzes untersagt werden. Haben die Freiheitlichen damit Recht?
Innenminister Karner: Neuer Vorschlag „sehr bald im neuen Jahr“
ÖVP-Innenminister Karner wolle entschieden vorgehen, wenn Menschen attackiert werden, „die uns schützen", also etwa Gesundheits- und Pflegepersonal. Diverse Maßnahmen seien aus diesem Grund in Vorbereitung. In einer Pressekonferenz Ende Dezember präzisierte der Minister, dass es einen entsprechenden Vorschlag „sehr bald im neuen Jahr" geben werde. In der jüngsten Sitzung des Nationalrats hat es außerdem einen Entschließungsantrag von ÖVP, Grünen und SPÖ diesbezüglich gegeben. Auch aus den Bundesländern Wien, Niederösterreich und Kärnten wurde der Ruf nach einer Gesetzesänderung laut. Die SPÖ Kärnten brachte „Schutzzonen um Einrichtungen der kritischen Infrastruktur, insbesondere des Gesundheitswesens“ ins Spiel. Die Kärntner Freiheitlichen haben dem Vorstoß von SPÖ, ÖVP und Team Kärnten nicht zugestimmt. Denn Klubobmann Gernot Darmann bezeichnet den Antrag als „Alibiantrag“. Seine Erklärung: „Es ist bereits geltendes Recht, dass die Landespolizeidirektion bzw. die zuständige Bezirkshauptmannschaft Demonstrationen vor Krankenanstalten untersagen können.“
Darmann: „Keine Novelle des Versammlungsgesetzes“
Auf profil-Anfrage konkretisierte der FPÖ-Politiker, dass sich die von ihm getätigte Aussage auf § 6 Abs 1 Versammlungsgesetz beziehen würde, wonach „Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde zu untersagen sind.“ Bei einer geplanten Versammlung unmittelbar vor Krankenanstalten müsse die Behörde eine Güterabwägung durchführen. Sollte eine Gefährdung des öffentlichen Wohles („in diesem Fall: Schutz der Gesundheit“) festgestellt werden, könne eine Versammlung bereits jetzt nach dem geltenden Gesetz untersagt werden – deswegen benötige es dafür „auch keine Novelle des Versammlungsgesetzes“. Hervorgehoben wird, dass die FPÖ keine Demos vor Gesundheitseinrichtungen „brauche“.
Verfassungsexperte: „Nicht so einfach, wie Herr Darmann schildert.“
Laut Verfassungsjurist Peter Bußjäger habe die Aussage der FPÖ „nur einen bedingten Wahrheitsgehalt“. Schließlich brauche es „immer konkrete Hinweise in Richtung einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder des öffentlichen Wohles, um eine Demonstration zu verbieten“. Das läge etwa vor, wenn konkret zu befürchten wäre, dass die Ein- und Ausfahrten von Rettungsfahrzeugen behindert werden. Bußjäger: „An sich ist das Ganze also nicht so einfach, wie Herr Darmann das schildert.“ Denn bei der Versagung einer Demonstration müsse die Gefährdung des öffentlichen Wohles und der öffentlichen Sicherheit genau begründet werden: „Wenn man zum Beispiel ‚nur‘ die Situation hat, wie etwa jetzt, dass das Gesundheitspersonal angepöbelt wird, dann ist das natürlich bedauerlich. Aber ob es rechtlich hält, eine Demonstration deswegen zu untersagen, ist in Zweifel zu ziehen.“
Verfassungsjurist Heinz Mayer schätzt die aktuelle Rechtslage ähnlich ein: „Die Gefährdung des öffentlichen Wohles muss im Einzelfall geprüft werden. Ich kann nicht sagen, dass es zum Beispiel für alle Wiener Krankenhäuser eine Schutzzone braucht.“ Der Verfassungsexperte führt dabei die relevante Bestimmung zur Versammlungsfreiheit in der Europäischen Menschenrechtskonvention ins Treffen: „Die Versagung einer Demonstration ist nur möglich, wenn sich im Einzelfall zeigt, dass die Schutzgüter nach Art 11 Abs 2 EMRK gefährdet sind.“ Nach dieser Bestimmung sind dies etwa die nationale und öffentliche Sicherheit oder der Schutz der Gesundheit, deren Einschränkung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein muss. Wenn sich aus der Anmeldung einer Demonstration zum Beispiel ergebe, dass die Zufahrt zu einem Spital behindert werden würde, sei dies ein gerechtfertigter Versagungsgrund, so Mayer. Seine Einschätzung zur FPÖ-Behauptung: „Die Aussage ist schon richtig, aber eben nur für den Einzelfall.“
„Bannmeilen“, „Schutzzonen“ und „Platzverbote“
Für Bernd-Christian Funk, Verfassungsexperte und ehemaliger Professor für öffentliches Recht, erinnern die bisherigen Vorstöße zum Demoverbot vor Spitälern an das Konzept der „Bannmeile“: Derzeit sind Versammlungen unter freiem Himmel im Umkreis von 300 Metern vom Parlamentsgebäude verboten, wenn der Nationalrat, der Bundesrat oder ein Landtag Sitzungen abhalten. Diese Regelung im Versammlungsgesetz gibt es seit 1953, in den 1960ern wurde sie von 38 Kilometern auf 300 Meter reduziert. „Man kann diese Bestimmung aber nicht so einfach nur auf Krankenhäuser ausdehnen“, meint Experte Funk. Wenn man mit dem Schutz von Gesundheit argumentiere, müssten auch Arztpraxen, Impfstraßen oder Teststationen in die Überlegungen miteingeschlossen werden. In jedem Fall müsste eine Regelung gefunden werde, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht und frei von Diskriminierungen ist.
Die vom Innenminister wörtlich genannten „Schutzzonen“ gibt es bislang vor Schulen und Kindergärten, verankert im Sicherheitspolizeigesetz (§ 36a). Auch daran könnte laut Funk angeknüpft werden, der Experte sieht hier aufgrund des speziellen Schutzes von Minderjährigen aber eher einen anderen Kontext. „Eine mögliche Änderung wird in jedem Fall relativ kompliziert“, so das Fazit von Bernd-Christian Funk. Und: „Man muss sich überlegen, ob bestehende Regelungen ausreichend sind, um einen effizienten Schutz zu gewährleisten.“
Nach dem Sicherheitspolizeigesetz kann im Übrigen bereits jetzt auch ein sogenanntes „Platzverbot“ verhängt werden (§ 36). Bei den Protesten gegen den Akademikerball in Wien wurde so das Betreten großflächiger Bereiche der Innenstadt verboten. Auch hier braucht es jedoch, ähnlich wie bei der Regelung des Versammlungsgesetzes, konkrete Hinweise, dass an einem bestimmten Ort eine Gefahr entsteht.
„Pauschale Untersagung nicht möglich“
Wie aber verlief es mit den bisherigen Demonstrationen vor Krankenhäusern? Nach der ersten, entsprechenden Demo vor der Klinik Wels-Grieskirchen, bei der die Demonstrierenden mit Megafonen und Trillerpfeifen aufmarschierten, beschwichtigte die Polizei: Es sei weder zu Behinderungen, noch zu Straftaten oder sonstigen Übertretungen gekommen, schrieb die LPD Oberösterreich auf Twitter.
Eine Kundgebung vor einem Spital in Freistadt am 24. November sei nicht angemeldet gewesen, aber „ruhig und geordnet“ verlaufen, teilt Bezirkshauptfrau Andrea Ausserweger profil mit: „Grundsätzlich habe ich überhaupt kein Verständnis für Versammlungen vor Krankenhäusern. Dennoch ist aus unserer Sicht eine pauschale Untersagung von Versammlungen vor Gesundheitseinrichtungen nach der geltenden Rechtslage nicht möglich. Wenn eine neuerliche Versammlung angemeldet werden würde, wäre im Einzelfall genau zu prüfen, ob es etwa Störfaktoren durch Lärm oder durch die Verwendung von Lautsprechern gibt, ob die Zugänge und Zufahrten zum Krankenhaus gewährleistet sind, ob ein ausreichender Abstand zum Krankenhaus gegeben ist, inwieweit es Kooperationsmöglichkeiten mit der Versammlungsleitung zur Gewährleistung des ordnungsgemäßen Krankenhausbetriebes gibt.“
Eine Demo in Baden am 27. November sei vom Krankenhaus „durch eine mehrspurig zu befahrende Straße“ getrennt gewesen, sagt Bezirkshauptfrau Verena Sonnleitner zu profil. „Aufgrund der gewählten Mittel war nicht davon auszugehen, dass von einer wesentlichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder des öffentlichen Wohles auszugehen war, weshalb kein Grund zur Versagung der Versammlung vorgelegen hat.“
Aus Wien, der Steiermark, Vorarlberg und Kärnten konnten seitens der Landespolizeidirektionen keine konkreten Demonstrationen vor Spitälern genannt werden. „Für den Zuständigkeitsbereich der LPD Wien kann ich aber sagen, dass es im Jahr 2021 zu keiner konkreten Gefahr (oder auch Blockaden der Eingänge etc.) vor Krankenhäusern durch Versammlungen gekommen ist“, teilt ein Sprecher mit. In Salzburg, Oberösterreich und Tirol weist man auf Kundgebungen vom 11. November und 15. Dezember hin, bei denen es sich jedoch um offizielle Protestaktionen des Spitalspersonal handelte, um auf die prekäre Lage der Branche aufmerksam zu machen.
Fazit
Die Aussage der FPÖ ist insgesamt als irreführend einzustufen. Nach der derzeitigen Rechtslage können Demonstrationen vor Gesundheitseinrichtungen zwar im Einzelfall untersagt werden. Es bedarf jedoch stets einer konkreten Gefährdung, die ein Verbot rechtfertigt. Diese bereits im Vorhinein festzustellen, ist in der Praxis oft schwierig. Eine spezielle Regelung für Gesundheitseinrichtungen existiert im Übrigen nicht. Ein generelles Demoverbot vor Krankenhäusern ist nach der aktuellen Rechtslage jedenfalls nicht möglich. Hierfür bedürfte es einer Gesetzesänderung.