Faktencheck: Warum es bis Jahresende keine 100 Kassen-Ordis geben wird
„Wir sorgen dafür, dass du schneller zu einem fachärztlichen Termin kommst. Noch heuer finanzieren wir 100 neue Kassen-Ordinationen.“
Irreführend
Der Gesundheitsminister wird grantig, sagt er – wenn jemand in Abrede stellt, dass die im Sommerministerrat angekündigte Gesundheitsreform ein „großen Wurf“ sei. Tatsächlich waren die von Johannes Rauch (Grüne) präsentierten Maßnahmen für das Gesundheitssystem sehr ambitioniert: Hundert neue Kassen-Ordinationen sollten bis Ende des Jahres finanziert werden, hieß es in einem von den Grünen ausgesandten Newsletter.
Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) befand das Vorhaben schon im Sommer für unrealistisch – und es scheint aktuell, als würde sie recht behalten.
Die gesetzliche Grundlage für die Gesundheitsreform fehlt nämlich nach wie vor, bis jetzt wurde also noch keine einzige neue Kassenarztstelle geschaffen. Über einen Gesetzesvorschlag wurde noch nicht im Nationalrat abgestimmt, der versprochene Startbonus von 100.000 Euro für neue Ärzte soll aber zumindest rückwirkend ab dem 1. August 2023 gelten, so das Gesundheitsministerium, das außerdem davon ausgeht, „dass die Verkündung des Startbonus bereits eine entsprechende Anreizwirkung auf Ärztinnen und Ärzte hatte.“
Ein Rundruf bei den neun Landes-Ärztekammern zeigt: Der Effekt, den das Gesundheitsministerium vermutet, ist derzeit nicht unbedingt ersichtlich. Mit Anfang Oktober haben beispielsweise in Vorarlberg sieben neue Kassenärzte einen Vertrag unterschrieben, bei allen handelt es sich um Nachbesetzungen. In Niederösterreich gab es am 1. Oktober genau gleich viele Kassenordinationen wie am 1. Juli – die Verträge werden in der Regel zum Quartalsbeginn geschlossen – und in Oberösterreich gab es im Oktober fünf Kassenärzte mehr als noch im Juli.
Das sind aber nicht die versprochenen „neuen Stellen“. Ausschreibungen und Besetzungen von Kassenarztstellen erfolgen nämlich nach einem zwischen ÖGK und Ärztekammer vereinbarten Plan, in dem die Anzahl der Arztstellen nach regionalem Bedarf festgehalten werden. Laut Ärztekammer waren mit Stand Ende Juni gut 280 dieser Stellen unbesetzt. In den Bundesländern kamen nun zwar einige dazu, die hundert neuen Stellen des Gesundheitsministers sollen jedoch außerhalb dieses Plans geschaffen werden. Heißt: Zu den ohnehin schon aktuell unbesetzten Stellen kommen noch einmal hundert dazu, wie Günter Atzl, der Kammeramtsdirektor der Ärztekammer Tirol, kritisiert: „Wir brauchen keine neuen offenen Stellen, davon haben wir genug.”
Denn nur weil eine Stelle auf Papier existiert und ausgeschrieben wird, stehen die Ärzte noch nicht in den Ordinationen. Mitunter bleiben Stellen, die beispielsweise bei Pensionierungen frei werden, Jahre unbesetzt. In Sankt Johann in Tirol gibt es eine Facharztstelle, die schon sechzig Mal ausgeschrieben wurde.
Aus dem Ministerium heißt es, das Gesetz soll im November im Nationalrat beschlossen werden. Und: „Die Stellen werden jedenfalls noch 2023 ausgeschrieben.” Wann die Österreicherinnen und Österreicher dann „schneller zu einem Facharzttermin kommen“, wie Rauch und Kogler es für „noch heuer“ versprechen, ist damit aber nicht gesagt: Die ÖGK schätzt den Zeitaufwand für den Vergabeprozess auf circa drei Monate. Und hält sich dabei eine Hintertür offen: „Inwiefern die ausgewählten Bewerberinnen und Bewerber dann schon Ordinationsräumlichkeiten, Infrastruktur und Personal zur Verfügung haben, können wir nicht abschätzen. Das ist regional sicherlich verschieden.“
Das heißt: Wenn aus heutiger Sicht alles schnellstmöglich abläuft, wird es allerfrühestens im Februar zusätzliche Kassenärzte geben. Dass es hundert sein werden, ist aus heutiger Sicht aber höchst unrealistisch.
Im Newsletter suggerieren Rauch und Kogler, dass es noch heuer hundert zusätzliche Kassen-Ordinationen geben wird – das wird nicht der Fall sein, die Aussage ist irreführend. Auch wenn die Stellen bis Ende des Jahres ausgeschrieben werden, wird es erheblich länger dauern, bis hundert neue Ordinationen öffnen.