Gewesslers Plan für Gas-Unabhängigkeit von Russland geht nicht auf
Mit dem Geld werden wir eine Idee umsetzen, die sehr simpel ist, und ich glaube jedes Kind in Österreich verstehen kann: Mit der Hilfe von erneuerbaren Energien - von Wind, von Sonne, von Wasserkraft, von Biomasse, von Geothermie - machen wir Österreich unabhängig von russischem Öl und von russischem Gas.
Irreführend
Umweltministerin Leonore Gewessler hat es nicht leicht: Die grüne Politikerin muss die Suppe ihrer Vorgänger auslöffeln – und die hat es besonders in puncto Gas in sich: 80 Prozent werden aus Russland importiert. Nicht umsonst hat Österreich am Mittwoch die Frühwarnstufe im Gas-Notfallplan ausgerufen, mit der die Überwachung des Gasmarktes verschärft wurde. Auch wenn das kein Grund zur Sorge sei, wie das Umweltministerium beteuert, braucht es dringend einen Plan zur langfristigen Unabhängigkeit von Russlands Energielieferungen. Dabei helfen solle eine Investitionsoffensive von 250 Millionen Euro für Windkraft und Photovoltaik, wie die Umweltministerin zuletzt bekannt gab: „Mit dem Geld werden wir eine Idee umsetzen, die sehr simpel ist, und ich glaube jedes Kind in Österreich verstehen kann: Mit der Hilfe von erneuerbaren Energien – von Wind, von Sonne, von Wasserkraft, von Biomasse, von Geothermie – machen wir Österreich unabhängig von russischem Öl und Gas.“ Gemeinsam mit der jährlichen Klimamilliarde stehe dafür ein Rekordbudget zur Verfügung.
Doch lässt sich Österreichs Abhängigkeit von Russland so einfach bekämpfen? Von heute auf morgen jedenfalls nicht, kritisieren Fachleute. Und: Auch längerfristig gibt es größere Hürden zu überwinden.
„Tropfen auf den heißen Stein"
Bis 2030 soll es in Österreich nur grünen Strom geben, so der Plan von Gewessler. Laut entsprechendem Gesetz soll der Strom aus erneuerbaren Energien dafür um insgesamt 27 Terawattstunden ausgeweitet werden. Karl Steininger, Klimaökonom am Wegener Center der Universität Graz, rechnet für profil nach: „Mit 250 Millionen Euro kann ich, wenn ich diese in Photovoltaik einsetze, die zu den billigsten erneuerbaren Energien gehört, ein Anlagevolumen auslösen, das jedes Jahr zwei bis fünf Terrawattstunden zusätzlich erzeugt.“ Es handle sich um „einen Tropfen auf den heißen Stein“, urteilen Umweltschutzorganisationen. Zudem steigt durch die Elektrifzierung, also etwa den Umstieg auf E-Autos, künftig auch der Strombedarf: „2030 brauchen wir zwischen 17 bis 20 Terawattstunden mehr Strom“, meint Steininger. Um den Mehrbedarf auch langfristig erneuerbar herstellen zu können, bedürfe es einer Halbierung des gesamten Energiebedarfs, was durchaus machbar sei, aber ebenso gezielter Anstrengung bedürfe.
Sorgenkind: Wärmesektor
Österreichs „größte Problemzone“, wie es Greenpeace ausdrückt, ist allerdings nicht der Strom, dessen Erzeugung Gewessler mit Hilfe der 250 Millionen Euro umkrempeln will, sondern das Heizen: Der Wärmesektor macht fast die Hälfte des gesamten Energieverbrauchs in Österreich aus und besteht nur zu einem Drittel aus erneuerbaren Energien – mehr als 900.000 Heizungen funktionieren mit Erdgas. Umweltschutzorganisationen fordern daher den raschen Beschluss des seit Monaten angekündigten Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das den Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas im Neubau und in Bestandheizungen bis 2040 regelt. Gewesslers neuer Zeithorizont für den Rechtsakt: Mai 2022.
Gasabhängigkeit der Industrie
Während es für das Heizen in Haushalten bereits gute, wettbewerbsfähige Technologien zum Ersatz von Gasthermen gibt, werde die heimische Industrie auch in Zukunft von Gas abhängig sein, wie der Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur, Franz Angerer, erklärt: „Viele Produktionen brauchen hohe Temperaturen, die nicht mit Strom erzeugt werden können.“ Woher das Gas kommen soll, wenn nicht aus Russland? „Kurzfristig müssen wir andere Quellen anzapfen, etwa verflüssigtes Erdgas aus anderen Lieferländern. Mittelfristig werden wir in Österreich mehr Biogas erzeugen und grünen Wasserstoff importieren,“ so Angerer. Auch nach Einschätzungen des Instituts für Höhere Studien (IHS) brauche es künftig noch „komplementäres“ Gas, sei es nun Wasserstoff, Mischgas, synthetisches Methan oder Biogas, um Spitzenlasten auszugleichen.
Hans Auer von der Energy Economics Group der Technischen Universität Wien fasst zusammen: „Auch wenn die Politik in die richtige Richtung geht – aus Russlands Gas komplett auszusteigen ist blauäugig und geht vor allem nicht von heute auf morgen.“ Ein Anpassungsprozess könne bis zu 15 Jahre dauern.
Fazit
Insgesamt ist Gewesslers Aussage als irreführend einzustufen. Durch den Ausbau von Ökostrom alleine kann die Unabhängigkeit von Russlands Öl und Gas nicht erreicht werden. Vor allem beim Heizen und in der Industrie braucht es zusätzliche Maßnahmen.