Infraschall, Amazonasholz, Vogelmord: Drei Fake News über Windkraft

Sie sind leicht zu widerlegen, tauchen jedoch immer wieder in Online-Foren und Flugblättern auf: Die fragwürdigen Argumente der Windkraftgegner.

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Der Windkraftausbau in Österreich stockt, die meisten Bundesländer zögern, neue Flächen für Windparks zu widmen. Aktuell deckt die Windkraft rund 12 Prozent des Stromverbrauchs des Landes. Das Potenzial wäre viel größer, Fachleute sehen die Windkraft als Schlüssel für die Energiewende - weil sie im Gegensatz zu Wasserkraft und Sonnenstrom auch im Winter verlässlich Energie liefert.

Doch für einige Gruppierungen wurde das Windrad zum schlimmsten Feindbild – darunter die niederösterreichische Interessensgemeinschaft (IG) Waldviertel, über die profil vergangenen November berichtete. In Niederösterreich darf auf 99 Prozent der Landesfläche kein Windrad gebaut werden – innerhalb des einen Prozents kann eine Gemeinde Flächen für Windkraftanlagen widmen. Das wollen die Windkraftgegner mit aller Anstrengung verhindern und suchen politischen Zuspruch.

profil beleuchtet drei wiederkehrende Falschinformationen.

1. Wird Amazonas Regenwald für österreichische Windräder gerodet?

In den Rotoren stecken oft große Mengen von tropischem Balsa-Holz. In Ecuador werden dafür die Regenwälder geplündert.

IG Waldviertel

Unbelegt

Auch Energiequellen, die als grün gelten, haben umstrittene Komponenten. In der Kritik stehen seltene Erden wie Lithium in E-Auto-Batterien oder Silizium in Photovoltaik-Anlagen. Bei Windrädern wird gerne das Balsaholz problematisiert, das teilweise im Inneren der Rotorblätter verbaut wird. Vergangenen Juni warnte der deutsche Ableger der Umweltschutzorganisation WWF vor einem „gefährlichen Boom“ in Ecuador. Das Land in Südamerika gilt als wichtigster Lieferant der besonders leichten Holzart. Weil die Nachfrage boomte, fürchtete der WWF eine Goldgräberstimmung, die zu Übernutzung und sozialen Verwerfungen für die indigene Bevölkerung führen könnte.

Die Kritik an der Nutzung von Balsaholz liefert den Windkraftgegnern willkommene Munition. Christoph Dolna-Gruber von der österreichischen Energieagentur (AEA) erklärt jedoch, dass Balsaholz „immer seltener“ bei der Herstellung von Windrädern in Einsatz kommt. Das flexible Tropenholz wird auch beim Bau von kleinen Flugzeugen, Surfbrettern, Booten und Skiern verwendet.

Doch auch wenn sich das Balsaholz immer weniger in den Rotorblättern der Windräder auffindet: Wird der Regenwald Amazonas, wie Windkraftgegner behaupten, wirklich zugunsten des Klimaschutzes gerodet?

„Für ein Windrad wird kein einziger Baum aus dem Amazonas Regenwald geschlägert“, kontert Martin Jaksch-Fliegenschnee von der Interessensgemeinschaft (IG) Windkraft, und verweist auf technologische Fortschritte: „Durch eine technische Weiterentwicklung wird darüber hinaus in den meisten neuen Windradflügeln kein Balsaholz mehr verwendet.“ Außerdem werde pro Rotorblatt bis zu 6 Kubikmeter Holz benötigt, während Windkraftgegner von 50 Bäumen pro Flügel rechnen. Das für österreichische Windräder verwendete Balsaholz stamme ausschließlich aus zertifizierter Waldwirtschaft.

Die Gewährleistung von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit ist bei der Gewinnung und Verarbeitung jeglicher Rohstoffe zentral“, weist Dolna-Gruber darauf hin, dass das auf alle Produkte zutreffe und „kein Thema“ sei, „das nur Komponenten der Energiewende betreffen würde.“ Zertifizierungen, Kontrollen und Transparenz in der Lieferkette seien wesentlich, um gute Bedingungen und einen möglichst geringen Fußabdruck sicherstellen zu können. 

Ganz ausschließen kann zwar niemand, dass in einem Windrad nicht vielleicht doch illegal geschlägertes Holz verarbeitet wird. Umgekehrt gibt es dafür aber auch keine Belege - und der Anteil an Holz nimmt, wie erwähnt, ab.

2. Warnungen vor den gesundheitlichen Schäden durch Infraschall

Kann ein Windrad bzw. ein Windpark in der Nähe die Gesundheit gefährden? Diese Frage ist mit einem eindeutigen JA zu beantworten

IG Waldviertel

Falsch

„Kann ein Windrad bzw. ein Windpark in der Nähe die Gesundheit gefährden?“, fragt die IG Waldviertel auf ihrer Webseite. „Diese Frage ist mit einem eindeutigen JA zu beantworten, wenn die WKA zu nahe an Wohngebiete heranreichen“, folgt die Antwort prompt. Es gehe um den Lärm, den eine Windkraftanlage (WKA) produziert, welches „nichts anderes als hörbarer Schall“ sei, der das Hörorgan des Menschen belasten und in weiterer Folge zu „Schmerzen, permanentes Ohrensausen (Tinnitus) oder bleibende Gehörschäden“ führen würde. Weitere Folgen seien Herzrhythmusstörungen und Depressionen

Das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des deutschen Bundeslandes Nordrhein-Westfallen stellt in einem Factsheet fest, dass extrem hohe Infraschall-Pegel über 140 Dezibel zwar zu Ohrendruck und Gehörschäden führen können, jedoch der Infraschall-Pegel von Windenergieanlagen weit unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Menschen liegt. „Nach dem derzeitigen Kenntnisstand konnte unterhalb dieser Schwelle bisher kein Nachweis einer negativen gesundheitlichen Auswirkung von Infraschall erbracht werden“, lautet das Resümee.

Ein Vergleich: Eine Infraschalluntersuchung der EWS Consulting hat ergeben, dass der Infraschall in der Umgebung einer laufenden Windkraftanlage in 1300 Meter Abstand so hoch ist wie wenn sich ein Kühlschrankmotor einschaltet.

Diese Schallemissionen nehmen naturgemäß mit der Entfernung ab. Dolna-Gruber weist auf den gesetzlichen Mindestabstand von Windrädern zu Wohnbauten hin:

„Durch Genehmigungsverfahren schaffen es ohnehin nur jene Windkraftanlagen, von denen keine Lärmbelästigung ausgeht. Diese Anforderung ist unabhängig vom vorgegebenen Mindestabstand zu Wohnbauten, der in Niederösterreich bei 1200 Meter liegen muss. Sollten Lärmvorschriften trotz Mindestabstand nicht eingehalten werden können, müssen die Windräder noch weiter von den Wohnhäusern entfernt aufgestellt werden.“

Ob nah oder fern: Es gibt derzeit keinen wissenschaftlichen Beweis, dass Infraschall unter der Hörschwelle körperliche oder psychische Krankheiten hervorruft.

3. Schaden Windräder der Biodiversität?

Pro Jahr sterben 20.000 Vögel durch Windräder, für jedes Windrad müssen zig-tausende Quadratmeter Wald gerodet werden.

IG Waldviertel

Größtenteils falsch

Die IG Waldviertel warnt auf der Webseite vor den Auswirkungen von Windkraftanlagen und verweist dabei auf Gefahren für die Biodiversität. Schätzungen zufolge würden “20.000 Vögel pro Jahr durch Windräder sterben”. Auch der Wald sei gefährdet, für jedes Windrad müssten “zig-tausende Quadratmeter Wald gerodet werden”, Zu- und Abfahrtswege ausgenommen.

Der Artenschutz ist einer der Hauptgründe, den Kritiker gegen die Errichtung neuer Windräder vorbringen. Großvögel wie der Seeadler würden sich in den Rotorblättern verfangen und sterben. Internationale Studien gehen davon aus, dass pro Windkraftanlage zwischen 0,2 und sieben Vögel pro Jahr sterben - das ist stark abhängig vom Standort des Windrades. 

Selbst wenn man vom ungünstigsten Fall ausgeht, fallen den knapp 1400 Windräder in Österreich jährlich unter 10.000 Vögel zum Opfer.

Ökologe Franz Essl von der Universität Wien erklärt, warum Windräder und Biodiversität kein Widerspruch sind: „Auch wenn Windparks nahe an Nationalparks stehen, halten sich die Auswirkungen für Großvögel meist in Grenzen“, sagt er. „Der Großteil der Seeadler brütet in der Nähe von Windrädern – das sind die östlichen Gebiete um den Seewinkel, Neusiedlersee und die Donau-Auen. Der Seeadler war vor 20 Jahren noch fast ausgestorben, heute hat sich sein Bestand auf 60 Brutpaare vervielfacht.“ Das zeige: „Die Erholung dieser Vogelarten und die Nutzung von Windrädern ist kompatibel.“

Dazu kommt: Autos, Hochspannungsleitungen Fensterscheiben oder jagende Katzen töten deutlich mehr Vögel als Windräder.

Dolna-Gruber erklärt außerdem, dass bereits vor der Errichtung von Windparks untersucht wird, ob bestimmte Vogelarten oder Populationen gefährdet werden würden. Wenn ja, so wird ein Windpark nicht genehmigt. 

Und wie steht es um die Waldrodungen? Dolner-Gruber rechnet die dauerhaft genutzte Waldfläche pro Windrad vor: 

0,05 Hektar Betonfundament (Fläche von 22 mal 22 Meter)
+ 0,15 Hektar Kranstellfläche für Wartungsarbeiten und Zufahrten


= 0,2 Hektar pro Windrad

Statt den angeprangerten „zig-Tausenden Quadratmeter“ (die Abkürzung “zig” bedeutet: mindestens zwanzig) braucht ein Windrad bloß 2000 Quadratmeter. Während der Bauphase kommen temporär noch bis zu 0,4 Hektar dazu, das ist insgesamt etwas mehr als ein halbes Fußballfeld. Die erforderlichen Zuwege seien in Form von Forststraßen teilweise ohnehin schon vorhanden.

Auch Anhänger der fossilen Energie schieben das Sterben von Wald und Vögeln gerne vor. Das Ganze sei laut Dolna-Gruber jedoch in einen größeren Kontext zu sehen: „Wir brauchen Windkraftanlagen, um fossile Energien loszuwerden und mit diesem Ausstieg die biodiversitätsgefährdende Klimakrise zu bewältigen.“ Der Status-Quo, also die Produktion von Kohle, Öl und Gas, reduziert den Lebensraum für Tiere. Das seien Schäden, die „in keinem Verhältnis zu den Auswirkungen durch Windkraft“ stünden.

Elena Crisan

Elena Crisan

war bis Oktober 2024 Journalistin im Online-Ressort.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.