Faktencheck

Intransparent und üppig: So vergibt die Regierung Inserate

Nach welchen Kriterien vergibt die Bundesregierung ihre Inserate? Total objektiv und nachvollziehbar – sagt die ÖVP. Stimmt so nicht – ergibt der profil-Faktencheck.

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Es ist höchst transparent, wie die Bundesregierung Inserate vergibt – und zwar nach Auflage und Leserreichweite.

Andreas Hanger

ÖVP, 21. Juni 2021, „Kurier”

Größtenteils falsch

Wieder einmal stehen die Inseratenschaltungen der Regierung im Fokus. Und wieder einmal sieht das nicht besonders gut aus. In der Theorie bekommt ein Kunde für die Buchung einer Annonce nur eine einzige Gegenleistung: die Werbewirkung. In der Praxis sollen Regierende allerdings versucht haben, sich mit Anzeigenbuchungen auch gefällige Berichterstattung bei reichweitenstarken Medien zu erkaufen – bezahlt aus Steuermitteln der Ministerien und des Kanzleramts. Diesem Verdacht geht derzeit die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft nach, sie untersucht die Werbe-Etats des türkisen Ex-Kanzlers Sebastian Kurz in den Blättern „Kronen Zeitung“, „Heute“ und „Österreich“.

Alle Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe vehement. Als Entlastung bringen ÖVP-Politiker vor, dass Anzeigenschaltungen der Regierung nach Reichweite und Auflage der Medien vergeben werden – also nach zwei nachvollziehbaren Kriterien. So rechtfertigte nicht nur Kurz die Inseraten-Praxis des Bundeskanzleramts, auch ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner formulierte 2021 eine ähnliche Formel für sein Ressort. Nationalrat Andreas Hanger behauptete schließlich, die gesamte Bundesregierung vergebe Inserate höchst transparent – „und zwar nach Auflage und Leserreichweite“.

Der profil-Faktencheck „faktiv“ hat die Inseraten-Etats der Regierung analysiert. Ergebnis: Das Kanzleramt hält sich nicht wirklich an seine eigenen Vorgaben. Und die anderen Ressorts folgen beim Inserieren ihren eigenen Regeln. Auffällig: Die grün-geführten Ressorts, die der Regierungs-PR einst skeptisch gegenüberstanden, haben ihre Werbebudgets ordentlich nach oben geschraubt.

Es sind gewaltige Summen, die  Regierung, Bundesländer und staatliche Unternehmen für PR ausgeben: 201 Millionen Euro waren es im Jahr 2022. Nicht jedes Inserat ist gleich ein Korruptionsfall. Wenn es der Polizei an Beamten mangelt, kann es hilfreich sein, eine Rekrutierungskampagne zu starten. Wenn sich die Regierung zu einem Öffi-Ticket durchringt, dann soll sie es auch promoten dürfen. Wenn Nationalratswahlen anstehen, dann macht es Sinn, die Bevölkerung über die Möglichkeit zur Briefwahl zu informieren.
Problematisch wird es dann, wenn der Werbewert der Anzeige zur Nebensache verkommt – und die Buchung dazu dient, Verleger zu umgarnen. Die Chats, die Ermittler auf einer Festplatte des früheren ÖVP-Schlüsselspielers Thomas Schmid fanden, legen solche Praktiken jedenfalls nahe. Problematisch ist auch, dass politische Kabinette über Millionen an Werbebudgets entscheiden – und nicht die dafür zuständigen Fachabteilungen.

Schon Ex-SPÖ-Kanzler Werner Faymann galt als „Inseraten-Kanzler“, Sebastian Kurz und Karl Nehammer haben ihn aber inzwischen locker in den Schatten gestellt. Die Regierung nutzte die Corona-Pandemie, um die Werbebudgets auf einen neuen Rekordwert zu erhöhen. 2020 wurden 47,3 Millionen Euro investiert, so viel wie nie zuvor. 2021 waren es immer noch 45,4 Millionen Euro. 2022 kürzte die Bundesregierung die Werbeausgaben im Vergleich zum Jahr davor um rund 37 Prozent, es handelt sich dennoch um den dritthöchsten Wert seit dem Jahr 2012. Das liegt überraschenderweise auch an den Grünen: Mit dem Klimaschutzministerium und dem Sozialministerium haben zwei grüne Ressorts ihre Werbeausgaben von 2021 auf 2022 am stärksten erhöht – obwohl die Ökos einst zu den schärfsten Kritikern der üppigen Werbeetats galten.

In seiner Forschungstätigkeit am Medienhaus Wien analysiert Medienforscher Andy Kaltenbrunner regelmäßig die Inserate der Bundesregierung. Für 2018 und 2019 kam er zum Ergebnis, dass die von der ÖVP Anfang 2021 skizzierte Formel (also dass Reichweite und Auflage das Inseratenvolumen definieren) in keinem Ministerium tatsächlich zur Anwendung kam: „Die Abweichung von angeblichen Zielwerten und faktischem Einsatz des Inseratenbudgets war besonders groß.“ Kaltenbrunners aktuellste Auswertungen für das Jahr 2021 in Österreichs Tageszeitungen zeigen ebenfalls: In den meisten Ministerien wurde die Formel weiterhin ignoriert; lediglich beim Kanzleramt und teilweise beim Finanzministerium war eine gewisse Annäherung zu erkennen. Vom Kanzleramt wurden aber deutlich über die Richtwerte hinausgehende Ausgaben bei Gratiszeitungen getätigt, insbesondere beim Blatt „Österreich“. Im Innenministerium und im Verteidigungsministerium war diese Mediengruppe 2021 die meist gebuchte, die drei Boulevardzeitungen des Landes erhielten insgesamt bis zu 90 Prozent des Inseraten-Etats.

profil führte die Berechnung von Kaltenbrunner für 2022 fort: Im vergangenen Jahr bekam die Tageszeitung „Österreich“ um rund sechs Prozentpunkte mehr Geld vom Kanzleramt, als ihr nach der von Kurz skizzierten Inseratenformel zustehen würde. Die „Krone“ hingegen wurde um etwa sieben Prozentpunkte geringer bedacht. Im Durchschnitt wich das Kanzleramt um über zwei Prozentpunkte von den selbst gesteckten Kriterien ab. Warum? Auf profil-Anfrage heißt es, dass man sich bei „allgemeinen Informationsinitiativen (...) bei der Auswahl der Medien im Regelfall auf den Printbereich und hier auf die reichweitenstärksten Tageszeitungen“ konzentriere. Bei spezielleren Informationsvorhaben werden Inserate aufgrund eines „zielgruppenorientierten Medienplans“ geschalten.

Auch das ÖVP-geführte Finanz- sowie das Innenministerium betonen – wenig konkret –, sich neben Reichweite und Auflage an Zielgruppen zu orientieren. Die Abweichung von der Inseratenformel der beiden Ministerien lag 2022 bei durchschnittlich knapp drei bzw. sieben Prozentpunkten. „Österreich“ sowie „Heute“ wurden vom Innenministerium im vergangenen Jahr als einzige Blätter stärker mit Inseraten bestückt als die Richtwerte vorgeben (um ganze 23 bzw. 15 Prozentpunkte). Bei großen Unternehmen ist es üblich, die Wirkung von Werbekampagnen hinterher genau zu messen. Macht das die Regierung auch? Dazu gab es wenig konkrete Antworten.

Im grünen Umweltministerium, das im letzten Jahr mit 6,5 Millionen Euro erstmals das Kanzleramt als größten Werber innerhalb der Regierung ablöste, hält man von der Inseratenformel ohnehin nicht viel. „Der Standard“, „Die Presse“ sowie vor allem die „Vorarlberger Nachrichten“ wurden über dem Richtwert berücksichtigt (um sechs, sieben bzw. sogar elf Prozentpunkte mehr als die Formel besagt). Auf profil-Anfrage wird auf externe Werbe- bzw. Medienagenturen verwiesen. Ähnlich im Sozialministerium: „Bei der Konzeption einer Kampagne werden Kampagnenziele und Zielgruppen von unserem Ministerium definiert. Die Mediapläne werden auf dieser Basis von der Mediaagentur erstellt.“ Wichtigstes Kriterium sei „die Erreichbarkeit der spezifischen Zielgruppen in Relation zu den Kosten“.

Medienforscher Kaltenbrunner zweifelt aber ohnehin grundsätzlich an der Sinnhaftigkeit der Kurz’schen Formel, wonach bei der Inseratenbuchung Druckauflagen gleich hoch berücksichtigt werden wie Leserzahlen: „Das ist eine Lex Gratiszeitungen, weil diese im Vergleich zu Kaufzeitungen viel mehr Exemplare drucken müssen, um die gleiche Anzahl an Lesern zu erreichen.“ Auch Sonntagszeitungen mit hoher Auflage wie etwa die „Kronen Zeitung“ würden dadurch besonders gefördert. Professionelle Informationskampagnen bräuchten in jedem Fall klare Kommunikationsziele samt Leser-Streuplan: „Mit diesem kann am Schluss auch geschaut werden, ob die Ziele erreicht werden“, so der Fachmann.

Auf profil-Anfrage konkretisiert der ÖVP-Abgeordnete Hanger schließlich, sich in seiner Aussage lediglich auf das Bundeskanzleramt bezogen zu haben: „Dort wurden und werden Inserate weiterhin streng nach der von Kurz skizzierten Formel vergeben.“ Berechnungen zeigen jedoch anderes; selbst das Kanzleramt weicht von seinen eigenen Kriterien ab. Hangers Behauptung ist insgesamt als größtenteils falsch einzustufen.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.