Ist Österreich wirklich das einzige Land in Europa ohne Messenger-Überwachung?

Nach den abgesagten Taylor-Swift-Konzerten erklärte die ÖVP die Messenger-Überwachung zur Koalitionsbedingung. Denn: Laut Innenminister Karner (ÖVP) und DSN-Chef Haijawi-Pirchner ist Österreich das einzige europäische Land, das diese Befugnisse nicht hat. Aber stimmt das?

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„Das (die Messenger-Überwachung; Anm.) ist mittlerweile internationaler Standard. Alle anderen europäischen Länder dürfen das, nur die österreichische Polizei darf das nicht.”

Gerhard Karner (ÖVP) Ö1 Morgenjournal, 19.8.2024

Unbelegt

All jene, die sich über Messenger-Dienste wie WhatsApp, Telegram und Co. austauschen, kennen diesen Satz: „Nachrichten, die du in diesem Chat sendest, sowie Anrufe, sind jetzt mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung geschützt.“ Für Nutzerinnen und Nutzer bedeutet das, dass die Inhalte von niemandem mitgelesen werden. Auch nicht von den jeweiligen Messenger-Diensten selbst. Möglich ist das den Geheimdiensten oder Ermittlungsbehörden weltweit – etwa in den USA, Deutschland oder Frankreich – aber dennoch. Bei potenziellen Gefährdern dürfen sie sich über vorhandene Sicherheitslücken einhacken und mitlesen. In Österreich ist das den Ermittlungsbehörden nicht erlaubt.

Doch spätestens seit den wegen Terrorgefahr abgesagten Taylor-Swift-Konzerten im Wiener Ernst-Happel-Stadion will die ÖVP dies ändern und eine alte Forderung umsetzen: die Überwachung von Messenger-Diensten. Laut ÖVP-Innenminister Gerhard Karner könnte das Risiko, das von potenziellen Gefährder ausgeht, damit frühzeitig minimiert werden. Zudem argumentiert der Innenminister, dass Österreich das einzige Land in Europa sei, in dem den Ermittlungsbehörden die Chat-Überwachung verboten ist. Aber ist das wirklich so?

Eine Aufstellung, in welchen europäischen Ländern die Messenger-Überwachung erlaubt ist, gibt es nicht. Zwar hat sich der Untersuchungsausschuss zum Pegasus-Skandal im EU-Parlament mit einer ähnlichen Frage beschäftigt, nämlich in welchen Ländern Überwachungsspähsoftware eingesetzt wird. Die Zusammenfassung über diesen Einsatz von Spähsoftware – die notwendig ist, um bei verschlüsselten Nachrichten mitzulesen – umfasst allerdings nur acht europäische Staaten.

Pegasus-Affäre

Im Jahr 2020 haben internationale Recherchen von Forbidden Stories und mehr als 15 anderen internationalen Medien die „Pegasus“-Affäre aufgedeckt. Mit der israelischen Software „Pegasus“ sollen zehntausende Handys ausgespäht worden sein - teils in staatlichem Auftrag. Ein Jahr lang hat ein Ausschuss des EU-Parlaments die Fälle untersucht.

Auch wurden alle EU-Mitgliedstaaten vom Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments angefragt, ob und in welcher Form Überwachungssoftware eingesetzt wird. „Allerdings haben nicht alle Mitgliedsstaaten geantwortet beziehungsweise wenn, dann nur wenig erschöpfend geantwortet“, heißt es aus dem Büro des EU-Abgeordneten Hannes Heide (SPÖ), der als Mitglied im Ausschuss saß. Abschließend habe der Ausschuss die EU-Kommission aufgefordert, einen geeigneten Rechtsrahmen für den Einsatz einer solchen Software zu schaffen. Bisher ist das nicht geschehen.

Das EU-Parlament weiß also nicht, in welchen Ländern eine Spähsoftware eingesetzt wird. Und auch die Kommission weiß nicht, ob in allen europäischen Ländern außer Österreich eine solche Messenger-Überwachung stattfindet: „Wir bei der Europäischen Kommission sind nicht in der Lage, einen solchen Überblick über nationale Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu geben“, heißt es vonseiten der EU-Kommission zu profil. Weiß das Innenministerium (BMI) mehr?

profil hat im Innenministerium nachgefragt. Dort verwies man auf die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN). Denn die Information für die Aussage Karners im Ö1-Morgenjournal, dass Österreich das einzige Land in Europa sei, wo den Ermittlungsbehörden die Messenger-Überwachung verboten ist, habe man von dort. 

Die DSN wiederum übermittelte auf Nachfrage, ob eine solche Aufstellung beim staatlichen Nachrichtendienst vorhanden sei, und der Verfassungsschutz mit Sicherheit sagen könne, dass Österreich das einzige europäische Land ohne Chat-Überwachung ist, eine lange Antwort. Die derzeit bestehenden Befugnisse würden die technische Realität und Geschwindigkeit, in der Gefährder kommunizieren, nicht mehr abbilden. Und, dass man sich an Ländern wie Deutschland und Frankreich orientiere, die „denselben grund- und datenschutzrechtlichen Schranken unterliegen“.

DSN-Chef wünscht sich Messenger-Überwachung

Der Chef der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) Omar Haijawi-Pirchner bemängelt, dass die derzeitigen Ermittlungsmöglichkeiten nicht mehr zeitgemäß seien und sprach sich im ZIB2-Interview für eine Messenger-Überwachung aus. Und: Auch Haijawi-Pirchner behauptete, dass Österreich das einzige europäische Land sei, indem das nicht erlaubt sei. Belege dafür gibt es keine.

Auf die Frage, ob Österreich wirklich das einzige Land ohne Überwachungsmöglichkeit sei, geht der Verfassungsschutz nicht ein. Dennoch wiederholte DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner Karners Aussage wenige Tage später im reichweitenstarken ZIB2-Interview.

„Wir in Österreich sind das einzige Land in ganz Europa, das diese Möglichkeit derzeit nicht hat.“

Omar Haijawi-Pirchner (Chef der Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst), im ZIB2-Interview am 27.8.2024

Unbelegt

Auf nochmalige Nachfrage beim Innenministerium heißt es, dass dem BMI „aus unterschiedlichsten Quellen Informationen darüber vorliegen, wie die Gesetzeslage bezüglich gesetzlich vorgegebener Befugnisse in anderen europäischen Ländern ist“. Zudem stellt das BMI klar, dass sich Vergleiche primär auf Länder beziehen, in denen dieselbe Standards in puncto Grund- und Datenschutzrechte bestehen. Und „bestätigt werden kann, dass ein laufender Austausch zwischen den europäischen (und auch internationalen) Sicherheitsbehörden und Nachrichtendiensten stattfindet und innerhalb des Verfassungsschutzes auch entsprechende Kenntnisse zu den verschiedenen Ermittlungsmöglichkeiten bestehen“.

Fazit

Einen Überblick, wie Messenger-Überwachung europaweit rechtlich geregelt ist, gibt es nicht. Die EU-Kommission, die nach dem Pegasus-Skandal vom EU-Parlament aufgefordert wurde, eine rechtliche Grundlage für den Einsatz von Spähsoftware zu schaffen, bestätigte auf Nachfrage, nicht über die gesetzlichen Rahmenbedingungen in allen Mitgliedsstaaten Bescheid zu wissen. Aus dem Innenministerium heißt es, dass man von rechtlichen Befugnissen in anderen europäischen Ländern Kenntnis habe. Ob Österreich das einzige Land sei, in dem eine Messenger-Überwachung nicht erlaubt ist, ließ das Innenministerium unbeantwortet. Die Aussagen von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und DSN-Chef Haijawi-Pirchner bleiben somit unbelegt.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.