Ist Strom in Österreich weltweit am teuersten?
Mit 43,1 Cent pro Kilowattstunde (kWh) war der Strompreis für österreichische Haushalte im Juni 2023 weltweit am teuersten.
Falsch
Energiepreis, Netzkosten, Steuern und Abgaben sowie etwaige Lieferanten-Rabatte oder Zuschüsse der öffentlichen Hand: Das sind die Komponenten, aus denen sich der Strompreis zusammensetzt. Und je nach Versorger und Verbrauch variiert dieser auch. Laut einer Grafik von globalpetrolprices.com, die vor einigen Tagen auf der Kurznachrichtenplattform X zigfach geteilt wurde, soll der Strompreis im vergangenen Juni in Österreich mit 43,1 Cent pro Kilowattstunde weltweit am teuersten gewesen sein. Bezahlte man hierzulande wirklich den weltweit höchsten Preis für Haushaltsstrom?
Verantwortlich für die Daten und diese Statistik ist die Plattform www.globalpetrolprices.com, hinter der der US-amerikanische Ökonom Neven Valev steht. Er leitet ein Team von Wirtschaftswissenschaftern, die wirtschaftliche Trends in der ganzen Welt verfolgen, darunter Kraftstoffpreise, Bankkredite oder Produktionskosten. Und eben auch Strompreise.
Verwertet werden die Daten anschließend von der Nachrichtenagentur Reuters oder Medienhäusern wie der Washington Post, New York Times oder Bloomberg. Welche Zahlen beim Strompreis-Vergleich herangezogen wurden, gibt die Plattform allerdings nicht an. Auf Nachfrage sagt Valev gegenüber profil, dass es oft schwierig sei, an diese Daten zu kommen. Nicht alle Regierungen würden vollständige Datensätze inklusive Preisnachlässe zur Verfügung stellen. Außerdem „ist die Höhe des Stromverbrauchs, auf der der Durchschnitt berechnet wird, oft nicht angegeben, die Gewichtung zwischen den Preisen in langfristigen Verträgen und den aktuellen Preisangeboten manchmal nicht klar und oft werden wichtige Steuern und Gebühren weggelassen”, sagt der Ökonom.
Ein Problem, das auch Christoph Dolna-Gruber von der österreichischen Energieagentur (AEA) kennt. „Prinzipiell sind Strom- aber auch Gaspreisvergleiche zwischen Ländern immer mit Skepsis zu betrachten und eine transparente und solide Methodik der Erhebung – wie auch die Reputation und Seriosität der Ersteller – sehr wichtig.“ Schwierig seien solche Vergleiche, da es je nach Produkt (zum Beispiel Ökostrom oder fossil; Anm.) oder der Art des Vertrages – Fixpreis oder Floatingtarife, wo Preisschwankungen an den Energiemärkten schnell an die Kunden weitergegeben werden – zu großen Bandbreiten in puncto Preis komme.
Das Team von Neven Valev hat den Datensatz nach profil-Rückfrage und Veröffentlichung des Artikels neu durchgerechnet, mit der Annahme, dass die Strompreisbremse nicht entsprechend berücksichtigt wurde. Diese Annahme hat sich bestätigt, der von globalpetrolprices.com errechnete Wert für Juni 2023 wurde von 0,431 Euro auf 0,301 Euro pro kWh korrigiert. Aufgrund der aktualisierten Zahlen wurde der Faktencheck von zuvor unbelegt auf falsch geändert.
Ein weiteres Problem ist zudem, dass es allein in Österreich regelmäßig zu starken regionalen Schwankungen kommt. So hat beispielsweise eine Kilowattstunde Strom (exklusive Strompreisbremse und Wechselrabatten, aber inklusive Steuern und Netzkosten; Anm.) bei einem Durchschnittsverbrauch von 3.500 kWh am 1. Jänner 2024 in Linz 28 Cent gekostet, – in Graz waren es 30 Cent und in Klagenfurt 32.
Wie mit ebenjenen Schwankungen im von www.globalpetrolprices.com erstellten österreichweiten Durchschnitt umgegangen wurde, geht aus der Statistik nicht hervor. Valev sagt dazu: „Wir versuchen, den Markt und die Preisstruktur in jedem Land zu verstehen, die wichtigsten Stromanbieter zu ermitteln und die Daten länder- und zeitübergreifend zusammenzustellen. Wie Sie sich vorstellen können, ist das eine ziemliche Herausforderung.”
Für heimische Experten in puncto Strompreis ist jedenfalls nicht klar, wie das Team um Neven Valev auf einen österreichweiten Preis von 43,1 Cent pro kWh Strom im Juni 2023 kommt. Weil die Preise von Netzbereich zu Netzbereich variieren, werden hierzulande eher einzelne Preise anstatt eines Durchschnittspreises erhoben und veröffentlicht. Einen aussagekräftigen Vergleich bietet der Europäische Energiepreisindex für Haushalte (HEPI) der E-Control. Er vergleicht jedoch nur die jeweiligen Hauptstädte. Und demnach lag der angesprochene Gesamtpreis im Juni 2023 in Wien bereits bei unter 40 Cent pro kWh Strom. Wien war damit zwar im oberen Durchschnitt der EU, im europäischen Hauptstädtevergleich aber nicht am teuersten. Höhere Preise gab es beispielsweise in Berlin, Rom, aber auch in Prag.
„Die Daten sind nicht seriös, und auch nicht nachvollziehbar. Sie widersprechen für Österreich publizierten Daten der Eurostat und der E-Control“, sagt Christoph Dolna-Gruber von der AEA. Auch die angesprochene E-Control kann die genannte Statistik insgesamt „nicht ganz nachvollziehen“, wenngleich es sicher Staaten gegeben habe, „in denen die Strompreise seit der Krise etwas schneller nach unten gegangen sind als in Österreich.“ Wie aber kommt das Team von Neven Valev nun zu dieser Statistik und der daraus folgenden Aussage, dass man in Österreich im Juni 2023 den weltweit höchsten Haushaltsstrompreis bezahlte?
„Vielleicht haben wir eine politische Änderung oder etwas anderes übersehen”, sagt der Ökonom. „Wir sind uns der Strompreisbremse für den Stromverbrauch von Privathaushalten bis zu 2.900 kWh pro Jahr bewusst, aber wir haben sie nicht auf unsere Datenreihe angewandt, da wir einen höheren Jahresstromverbrauch der Haushalte verwenden. Wir werden das noch einmal überprüfen”, sagt Valev.
Fazit
Renommierte heimische Strommarktexperten widersprechen den Zahlen von Valev. Nachdem Valev zuerst selbst eingeräumt hatte, dass ein Berechnungsfehler passiert sein könnte, hat sich diese Annahme nach neuerlicher Berechnung bestätigt. globalpetrolprices.com hat den Wert für Juni 2023 von 0,431 Euro auf 0,301 Euro pro kWh korrigiert. Die ursprüngliche Aussage, dass man in Österreich im Juni 2023 den weltweit höchsten Haushaltsstrompreis bezahlt habe, ist somit falsch.