Faktencheck

Ist unser Trinkwasser bei Knappheit gesichert, Herr Landwirtschaftsminister?

Für ÖVP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig steht außer Zweifel, dass die Trinkwasserversorgung in Österreich bei Trockenheit Vorrang hat. Warum das in der Praxis – laut Fachleuten und Gesetz – nicht ganz so einfach ist.

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Wenn Grundwasserspiegel örtlich sinken, können Gemeinden eingreifen. Das Wasserrecht sieht klar vor, dass Trinkwasserversorgung Vorrang hat.

Norbert Totschnig

Landwirtschaftsminister (ÖVP), 2. April 2023, „Der Standard”

Größtenteils richtig

Traditionell beginnt am ersten April-Wochenende die Segel- und Surfsaison am Neusiedler See: Hunderte bunte Segel tummeln sich am Wasser, Schaulustige winken den Booten zu, knipsen Fotos. Dieses Jahr ist das anders. Der Pegel des burgenländischen Steppensees ist weiter gesunken, liegt auf dem Tiefststand seit 1965 – und lässt viele Besitzerinnen und Besitzer mit dem zu-Wasser-Lassen ihrer Schiffe zögern. Aufgrund miserabler Bedingungen geht man teils davon aus, dass dieses Jahr nur 20 bis 30 Prozent der Boote auf dem See unterwegs sein werden.

Die Wassernot stellt nicht nur Naturschutz und Tourismus vor massive Probleme. Mit dem Klimawandel einhergehende Trockenphasen lassen die Grundwasserspiegel in ganz Österreich sinken, die Ernten karg und das Trinkwasser weniger werden. Noch reicht das Wasser für alle, aber Spannungen sind vorprogrammiert: Wer muss im Zweifel eher auf die kostbare Ressource verzichten – Landwirtschaft oder Industrie? Wie steht es bei massiver Trockenheit um bestehende Wassernutzungsrechte und vor allem um unser Trinkwasser? Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) gibt sich in einem aktuellen Zeitungsinterview sicher: Wenn Grundwasserspiegel örtlich sinken, können Gemeinden eingreifen. Das Wasserrecht sieht klar vor, dass Trinkwasserversorgung Vorrang hat. Aber ist das wirklich so? Ein Faktencheck zeigt: Die Praxis birgt jedenfalls Hürden.

Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörden

Wer eine größere Menge an Wasser verbraucht, benötigt eine Bewilligung nach dem Wasserrechtsgesetz (WRG). Das gilt beispielsweise für Industrie-Unternehmen oder landwirtschaftliche Betriebe. Per Bescheid wird – nach eingehender Prüfung – die Wassermenge zugesichert, die etwa ein Landwirt pro Sekunde, Tag oder Jahr für die Bewässerung seiner Felder nutzen darf.

Zentrale Instanz für das Wasserrecht ist jedoch nicht die Gemeinde, auf die der Landwirtschaftsminister in seiner Behauptung Bezug nimmt, sondern meist die Bezirksverwaltungsbehörde (bzw. in gewissen Fällen der Landeshauptmann oder der Minister selbst). Gemeinden selbst verfügen nur über sehr eingeschränkte wasserrechtliche Behördenkompetenzen, erklärt Gerhard Braumüller, Anwalt und Wasserrechtsexperte: Im Notfall – etwa bei Gefahr im Verzug nach einem Tankwagenunfall – kann auch der Bürgermeister Verfügungen treffen. In der Praxis spiele das für die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung eine untergeordnete Rolle, so der Fachmann.

Vorrangstellung von Trinkwasser

Die „klare” Vorrangstellung von Trinkwasser, die der Landwirtschaftsminister anführt, ordnet Braumüller so ein: „Aus dem Gesetz (§ 13 Abs 3 WRG, Anm.) ergibt sich eine besondere Wertigkeit, vor allem wenn zugunsten der Trinkwasserversorgung eine Enteignung nötig wird oder auch dann, wenn die Trinkwasserversorgung mit anderen Bedürfnissen konkurriert. Die Trinkwasserversorgung hat aber nicht immer und nicht automatisch Vorrang.” Deren Sonderstellung umfasse im Übrigen auch Wasser, das Haushalte zum Waschen und Duschen oder Zähneputzen benötigen.

Das heißt: Grundsätzlich sieht das Gesetz vor, dass Haushalte zu bevorzugen sind. Einfach kappen lässt sich die Wasserversorgung von Bauern oder Industriebetrieben jedoch nicht.

Einschränkung bestehender Wasserrechte

Denn: Bereits existierende Wasserrechte können auf Dauer nicht so leicht eingeschränkt werden, wie Roman Neunteufel von der Universität für Bodenkultur erklärt: Wenn zwei bestehende Wasserrechte einander gegenüberstehen – auf der einen Seite die landwirtschaftliche Bewässerung eines Feldes und auf der anderen Seite die Trinkwasserversorgung einer Gemeinde –, gibt es bei Knappheit keinen geeigneten Mechanismus, das Wasser in der Landwirtschaft  zugunsten der Trinkwasserversorgung automatisch abzudrehen.

Es gibt zwar Möglichkeiten, auch längerfristig in bestehende Wasserrechte einzugreifen, sollte es zu einem Wassermangel kommen (etwa §§ 21a, 25 WRG). Allerdings können solche Verfahren anspruchsvoll und langwierig sein: Die Behörde muss ihre Vorgangsweise sorgfältig begründen und die Interessen aller Berechtigten berücksichtigen, erklärt Anwalt und Agrarrechtsexperte Michael Komuczky gegenüber profil. Fest steht: Die Trinkwasserversorgung wird in den Abwägungen der Behörden freilich eine wichtige Rolle spielen.

Schwierig zu rechtfertigen seien außerdem Vorsorgemaßnahmen, also rein präventiv die Nutzung der zugesicherten Wassermenge zu untersagen, wenn etwa Grundwasserspiegel niedrig sind, argumentiert Ferdinand Kerschner, Umweltrechtsexperte und Autor eines zentralen Nachschlagewerks zum Wasserrecht.

Kein Grund zur Sorge

Sorgen muss man sich – bei allen juristischen Details – um die Trinkwasserversorgung in Österreich dennoch nicht machen. Sollte es tatsächlich einmal akut kritisch werden, sieht das Wasserrechtsgesetz noch immer die Möglichkeit von Sofortmaßnahmen vor. Bei Gefahr im Verzug kann die Bezirksverwaltungsbehörde etwa eine einstweilige Verfügung (§ 122 WRG) treffen und so in bestehende Wassernutzungsrechte eingreifen. Doch das ist freilich keine Dauerlösung, derartige Maßnahmen sind zeitlich beschränkt.

Notfall- und Vorsorgeplan bis Sommer

Im Regierungsprogramm 2020-2024 der türkis-grünen Koalition ist schließlich die Verankerung einer gesetzlichen Vorrangstellung der Trinkwasserversorgung bei Nutzungskonflikten niedergeschrieben. Die Frage stellt sich: Warum dieses Vorhaben, wenn der Vorrang von Trinkwasser laut Landwirtschaftsminister Totschnig ohnehin bereits rechtlich festgelegt ist? Diskussionen hätten gezeigt, dass die geltenden gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Lösung von Nutzungskonflikten derzeit ausreichen, heißt es gegenüber profil. Lediglich die Anwendung der Regelungen soll unterstützt werden, bis Sommer soll ein Notfall- und Vorsorgeplan dafür vorliegen. Dessen Inhalt? Präventionskonzepte sowie Maßnahmen für den unwahrscheinlichen Fall eines regionalen Trinkwassermangels; eine gesetzliche Änderung sei nicht geplant.

Fazit

Fest steht: Österreich ist ein wasserreiches Land, um die Trinkwasserversorgung müssen wir uns derzeit keine Sorgen machen. Um diese bei Wasserknappheit zu garantieren, gibt es jedenfalls gesetzliche Möglichkeiten. Ein einfacher Mechanismus, um dafür längerfristig in existierende Wasserrechte einzugreifen, besteht allerdings nicht. Insgesamt ist die Behauptung von Landwirtschaftsminister Totschnig als größtenteils richtig einzustufen.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.