Kanzler im Check: Sind Einbürgerungen wirklich so leicht möglich?
Tun wir nicht so, als müsste jeder 20 Jahre auf die Einbürgerung warten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist für einen großen Teil die Einbürgerung nach sechs bis zehn Jahren möglich.
Größtenteils richtig
Wie lange würde es dauern, um alle 1,6 Millionen ausländischen Staatsangehörigen in Österreich einzubürgern? Antwort: Knapp 170 Jahre – bei der aktuellen Einbürgerungsrate von 0,6 Prozent der Nichtösterreicher pro Jahr. Soweit ein Gedankenspiel von Alexander Pollak von SOS-Mitmensch. Schließlich streben die Staatsbürgerschaft nicht alle an – das Interesse bei Menschen aus einem westlichen EU-Land ist besonders gering. Für alle anderen gibt es allerdings große Hürden. Auch Persönlichkeiten, vom Bundespräsidenten abwärts bis zur Arbeiterkammer, machen sich für eine Lockerung des Staatsbürgerschaftsrechts stark. Zum Unmut der ÖVP, die das „höchste Gut“ nicht „aufweichen“ will, wie Generalsekretärin Laura Sachslehner gerne betont. Kanzler Karl Nehammer verteidigt das vorherrschende System ebenfalls: „Tun wir nicht so, als müsste jeder 20 Jahre auf die Einbürgerung warten. Unter bestimmten Voraussetzungen ist für einen großen Teil die Einbürgerung nach sechs bis zehn Jahren möglich.“ Ganz so einfach ist es nicht.
Etwa 600.000 ausländische Staatsangehörige leben seit über zehn Jahren in Österreich und erfüllen damit eine zentrale Bedingung für die Einbürgerung. Aber nur die wenigsten bekommen diese. Wie viele genau nicht wollen oder nicht können, ist schwer zu überprüfen. Für bestimmte Personen ist eine Einbürgerung jedenfalls schon nach sechs Jahren möglich – etwa für Personen mit Geburtsland Österreich oder EU-Bürger, die mehr als die Hälfte aller Ausländer ausmachen.
Menschen bereits länger im Land
Aus dem Kanzleramt heißt es, dass der Anteil an verkürzten Einbürgerungen (sechs Jahre Aufenthalt) 2020 bei über 50 Prozent lag (4.514 von insgesamt 8.996). profil hat nachgerechnet: Auch im Vorjahr wurden laut Daten der Statistik Austria mehr als die Hälfte der Staatsbürgerschaften aufgrund eines Aufenthalts von sechs Jahren erteilt. Laut dem Migrationsexperten Rainer Bauböck zeigen diese Zahlen nicht, dass für die Mehrheit eine Einbürgerung nach wenigen Jahren möglich ist: „Die hohen Hürden für die Staatsbürgerschaft – von Geld bis Bürokratie – wirken im Vorfeld abschreckend, daher beantragen viele die Einbürgerung gar nicht. Von jenen, die das trotzdem tun, erfüllt dann eben ein höherer Anteil die besonderen Bedingungen für vorzeitige Einbürgerung nach sechs Jahren.“ Sein Kollege Gerd Valchars ergänzt: „Die sechs Jahre bedeuten auch nicht, dass die Personen ‚nur‘ sechs Jahre hier leben, sondern mindestens und damit mitunter viel länger.“ Einer Aussage, der auch die Anwältin für Fremdenrecht, Julia Ecker, zustimmt: „Gerade in Wien muss man bedenken, dass man Monate auf einen Termin für die Antragstellung wartet und dann ein Verfahren hat, das locker einmal zwei Jahre dauern kann.“ Hinzukomme ein weiteres, oft langes Verfahren für die Zurücklegung der ursprünglichen Staatsbürgerschaft: „Da kommt man dann auch bei Einbürgerung nach zehn Jahren auf eine tatsächliche Dauer von fast 15 Jahren“, so Ecker. Laut der zuständigen Wiener Behörde MA 35 ließe sich die durchschnittliche Verfahrensdauer „aus EDV-technischen Gründen“ nicht auswerten.
Zu arm für einen Pass
Weitere Voraussetzungen sind – neben einer gewissen Aufenthaltsdauer – auch die Unbescholtenheit sowie ein ausreichendes Einkommen. Für eine Einzelperson liegt die Grenze aktuell bei 1030 Euro netto zusätzlich zu Wohnungs- oder Kreditkosten. Dieses Mindesteinkommen ist für einen Zeitraum von 36 Monaten aus den letzten sechs Jahren nachzuweisen. Daran scheitern in Wien laut MA 35 etwa 14 Prozent der Antragsteller. Es wird jedoch betont, dass sich dies oft bereits in Beratungsgesprächen im Vorfeld zeige und deswegen gar kein Antrag gestellt werde. Aus Berechnungen der Statistik Austria geht hervor, dass selbst 11 Prozent der Österreicher nicht mehr als 1030 Euro zur Verfügung haben. Bei ausländischen Staatsangehörigen trifft das etwa auf ein Drittel zu. Fraglich ist allerdings, wie viele der Menschen betroffen sind, für die eine Staatsbürgerschaft viel interessanter und wichtiger ist: für Nicht-EU-Bürger. Fachleute gehen von einer größeren Anzahl aus.
Fazit
Rein rechtlich ist die Einbürgerung „für einen großen Teil“ nach sechs bis zehn Jahren möglich. Die Praxis birgt jedoch große Hürden. Der Kanzler liegt größtenteils richtig.