Faktencheck: War U-Ausschuss zu „rot-blauem Machtmissbrauch“ verfassungswidrig?

Wann ein U-Ausschuss tatsächlich verfassungswidrig ist und welche Ereignisse bei Corona-Demonstrationen nicht „erfunden“ wurden.

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„Dieser U-Ausschuss (zum rot-blauen Machtmissbrauch; Anm.) ist eine ganz eigene Sache, weil er letztendlich verfassungswidrig war.“

Herbert Kickl (FPÖ) im ORF-Sommergespräch, 19. August 2024

Unbelegt

Herbert Kickl ist ein Bergfex. Dass sich der FPÖ-Bundesparteiobmann in seiner Freizeit gerne im hochalpinen Gelände aufhält, ist bekannt. Spätestens seit seiner zweiten Vorladung in den U-Ausschuss zum „Rot-Blauen Machtmissbrauch“ Anfang Mai dieses Jahres wissen das auch breite Teile der Öffentlichkeit. Denn: Herbert Kickl kam der Vorladung nicht nach, sondern verwies auf eine bereits geplante Bergtour. Im ORF-Sommergespräch am Montag wiederholte er den Grund fürs Nichterscheinen. Die Bergtour sei länger geplant gewesen, Kickl sei bereits im Rahmen seiner ersten Ladung viel länger im U-Ausschuss anwesend gewesen als geplant und generell sei der U-Ausschuss verfassungswidrig gewesen. Aber stimmt das?

Ein entsprechendes Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) darüber, ob der Untersuchungsausschuss per se verfassungswidrig ist, gibt es nicht. Worauf bezieht sich Herbert Kickl also in seiner Argumentation?

„Rot-Blauer Machtmissbrauch-U-Ausschuss“

Ende November verlangten FPÖ und SPÖ die Einrichtung des COFAG-Untersuchungsausschusses, der unter anderem klären sollte, ob einzelne Milliardäre von der Finanzverwaltung bevorzugt behandelt wurden. Am selben Tag initiierte die ÖVP im Gegenzug den „Rot-Blauen Machtmissbrauch-U-Ausschuss“. Festgestellt werden sollte, ob öffentliche Gelder unter SPÖ- und FPÖ-Regierungsbeteiligungen (zwischen 2007 und 2020) zu falschen Zwecken verwendet wurden. Beide U-Ausschüsse endeten am 3. Juli 2024.

profil hat bei der FPÖ nachgefragt. Die Freiheitlichen verweisen in der Antwort auf ihren Abschlussbericht des U-Ausschusses. Darin moniert die FPÖ vor allem, dass die zu untersuchenden Inhalte – darunter Inseratenschaltungen, Umfragen, Gutachten und Studien sowie die Besetzung von Leitungspositionen in der Bundesverwaltung und bei ausgegliederten Rechtsträgern, aber auch die Einflussnahmen von roten oder blauen Regierungsmitgliedern auf staatsanwaltliche Ermittlungen im Zeitraum 2007 bis 2020 – inhaltlich nicht zusammenhängen.

Doch rechtlich muss es sich beim Untersuchungsinhalt eines solchen Ausschusses „um einen abgeschlossenen Vorgang der Bundesvollziehung handeln“, sagt Verfassungsjurist Peter Bußjäger. Zudem seien der FPÖ zufolge mehrere Formulierungen im Verlangen nach einem U-Ausschuss mehrdeutig.

„Auch wenn der Untersuchungsgegenstand sicherlich nicht das beste Beispiel für einen konzisen und präzisen Text ist, kann man nicht von einer gesamthaften Verfassungswidrigkeit sprechen.“

Peter Bußjäger, Verfassungsjurist

Geurteilt hat der Verfassungsgerichtshof jedenfalls nie darüber, ob der U-Ausschuss zum „rot-blauen Machtmissbrauch“ verfassungswidrig sei oder nicht. Aber: SPÖ und FPÖ wollten dies in Folge eines anderen Antrags an den VfGH erwirken. In diesem Antrag wollten die beiden Parteien erreichen, dass dem Untersuchungsausschuss staatsanwaltliche Akten aus dem Justizministerium übermitteln werden. Der Antrag wurde in Summe jedoch abgewiesen, da SPÖ und FPÖ nicht näher ausgeführt haben, inwieweit sich diese Akten auf Handlungen beziehen, die vom Untersuchungszeitraum (11. Jänner 2007 bis 7. Jänner 2020) erfasst sind. Im selben Antrag wollten SPÖ und FPÖ vom VfGH außerdem geprüft wissen, ob der Ausschuss an sich den verfassungsrechtlichen Anforderungen widerspreche. Dies hatte der VfGH in diesem Verfahren aber nicht zu prüfen. Insofern gibt es auch kein verfassungsrechtliches Urteil darüber.

Wie aber bewerten Experten die Argumentation? Verfassungsjurist Bußjäger etwa meint: „Auch wenn der Untersuchungsgegenstand sicherlich nicht das beste Beispiel für einen konzisen und präzisen Text ist, kann man nicht von einer gesamthaften Verfassungswidrigkeit sprechen.“

Wie kann festgestellt werden, ob ein Untersuchungsausschuss verfassungswidrig ist?

Generell sei es – als Minderheit im Geschäftsordnungsausschuss – schwierig, vom Verfassungsgerichtshof bestätigt zu bekommen, ob ein U-Ausschuss verfassungskonform ist oder nicht. Beim Ibiza-Untersuchungsausschuss beispielsweise war die Mehrheit im Geschäftsordnungsausschuss der Meinung, der Untersuchungsgegenstand sei verfassungswidrig und hat ihn anschließend neu formuliert. Dagegen ist die Minderheit vor den VfGH gezogen (in diesem Fall kann sie das) – und hat Recht bekommen.

Der U-Ausschuss, den Herbert Kickl als verfassungswidrig bezeichnet, wurde von der ÖVP eingesetzt. Die Mehrheit im Geschäftsordnungsausschuss war offenbar der Meinung, dass dieser verfassungskonform ist. Dagegen kann die FPÖ als Minderheit nicht direkt vor den VfGH ziehen. Eine Befassung des VfGH wäre etwa dann vorgesehen, wenn sich ein Ministerium mit der Argumentation, der Untersuchungsausschuss sei verfassungswidrig, geweigert hätte, Akten zu liefern.

Fazit

Ein Urteil des Höchstgerichts zur Frage, ob der U-Ausschuss per se verfassungskonform ist oder nicht, gibt es nicht. Insofern ist die Aussage von Herbert Kickl als unbelegt zu bewerten. Die Zuschreibung „verfassungswidrig“ stammt von der FPÖ selbst. Zwar könne man den inhaltlichen Zusammenhang laut Verfassungsjurist Bußjäger tatsächlich bemängeln, „von einer gesamthaften Verfassungswidrigkeit kann man aber nicht sprechen.“

„Man hat [...] Dinge erfunden, die es gar nicht gegeben hat – einen Sturm auf ein Versicherungsgebäude und um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, einen angeblichen Sturm auf das Parlament. Es ist kommuniziert worden in allen Medien, auch vom ORF [...].“

Herbert Kickl (FPÖ) im ORF-Sommergespräch, 19. August 2024

Falsch

Kritik an den Corona-Maßnahmen ist ein blauer Dauerbrenner und findet sich auch prominent im jüngst präsentierten Wahlprogramm der FPÖ wieder. „Entschädigung für alle Corona-Schäden“ und „vollständige Amnestie und Rückzahlung von Coronastrafen“ lauten etwa zwei Punkte darin. 

Auch im Sommergespräch bespielte Kickl dieses Thema. Er sprach die „Jahre des Corona-Regimes“ an und führte aus, wie sehr Menschen, die bei Corona-Demonstrationen „für die Grund- und Freiheitsrechte eingetreten sind“, kriminalisiert wurden. Dabei seien „Dinge erfunden worden, die es gar nicht gegeben hat“, sagt Kickl, und führt einen „Sturm auf ein Versicherungsgebäude“ sowie einen „angeblichen Sturm auf das Parlament“ an. 

Zunächst zu den beiden Ereignissen, die Kickl aufzählt: Es handelt sich jeweils um Geschehnisse bei Demonstrationen von Corona-Maßnahmengegnern Anfang 2021. Im gesamten Jahr 2021 erstattete die Polizei etwa 19.000 Verwaltungsanzeigen und mehr als 500 Strafanzeigen.

Für den 31. Jänner 2021 waren mehrere Versammlungen im Raum Wien angekündigt, zwölf davon wurden untersagt, dennoch versammelten sich Tausende Menschen in Wien. Die Polizei griff ein und löste die Versammlung auf. In einer noch am gleichen Abend einberufenen Pressekonferenz erklärten der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl und der damalige Innenminister Karl Nehammer: „Es gab sogar den Versuch, die Parlamentsrampe des alten Parlaments zu stürmen und zu besetzen.“ In einer parlamentarischen Anfragebeantwortung führte Nehammer außerdem an: „Von den den Demonstrationszug begleitenden Kriminalbeamten wurde wahrgenommen, dass aus einer Gruppe von Demonstrationsteilnehmern heraus offensichtlich spontan artikuliert wurde, dass die Rampen des Parlaments als konkretes Ziel anzustreben wären.“

„Die Informationen von damals sind natürlich nach wie vor gültig und es hat sich weder am Inhalt der damaligen Presseaussendung noch der Pressekonferenz etwas geändert.“

Landespolizeidirektion Wien

über das Eindringen von Demonstrationsteilnehmer in ein Versicherungsgebäude am Donaukanal

Am 6. März 2021 wurden laut Polizei 37 Versammlungen in Wien angezeigt, von denen im Vorfeld wiederum 12 untersagt wurden. „Trotz der Aufforderung der Wiener Polizei, nicht an den untersagten bzw. an den nicht angezeigten Versammlungen [...] teilzunehmen, versammelten sich im innerstädtischen Bereich tausende Personen“, heißt es in der zugehörigen Aussendung der Polizei. Und: „Es bildeten sich zwei größere spontane Demonstrationsmärsche, die sich schließlich bei einer angezeigten Kundgebung im Bereich des Praters eingliederten. Nachdem der Veranstalter diese Kundgebung für beendet erklärt hatte, strömte ein Großteil der Teilnehmer ab, wobei [...] eine größere Gruppe [...] im Bereich Untere Augartenstraße durch die Polizei angehalten wurde.[...] Einige Demonstrationsteilnehmer drangen zeitgleich gewaltsam in die Tiefgarage eines nahegelegenen Gebäudes ein. Dabei wurde ein Sicherheitsmitarbeiter des Gebäudes verletzt. Bei der Durchsuchung der Tiefgarage konnten 22 Personen angetroffen und wegen des Verdachts diverser strafrechtlicher Delikte festgenommen werden.“ Ein Kameramann des „Kurier“ hielt auf Video fest, wie Demonstrierende in das Gebäude eindrangen. Auch Wärmebildkameras der Polizei zeigten das Geschehen.

profil hat bei der Polizei gefragt, ob sich an den in der Pressekonferenz sowie in der Aussendung kommunizierten Informationen etwas geändert hätte. Die Antwort: Nein. „Die Informationen von damals sind natürlich nach wie vor gültig und es hat sich weder am Inhalt der damaligen Presseaussendung noch der Pressekonferenz etwas geändert. Der Sicherheitsmann wurde damals verletzt, als Personen in die Garage des Versicherungsgebäudes am Donaukanal eindrangen“, so die Polizei. Die Ereignisse vom 31. Jänner und vom 6. März 2021 sind also keine Erfindungen der Medien, wie auch „Der Standard“ bereits richtigstellte. 

Warum behauptet Herbert Kickl dann, mit den beiden „Stürmen“ seien Dinge erfunden worden, die es gar nicht gegeben hat?

Von der FPÖ heißt es dazu auf Anfrage: „Der sogenannte Sturm war der verzweifelte Versuch von Kundgebungsteilnehmern aus dem Polizeikessel zu entkommen. Ein Angriff auf das Versicherungsgebäude war nicht die Absicht dieser Menschen und fand auch nicht statt.“ 

Außerdem pocht die FPÖ auf genaue Begriffsanwendung: „Wie Sie wissen, war das Parlament damals eine Baustelle. Ein ‘Sturm auf das Parlament’ hätte sodann lediglich auf das Ausweichquartier in der Hofburg stattfinden können, alles andere wäre der ‘Sturm auf eine Baustelle’ gewesen. Außerdem ist die Interpretation der Wahrnehmung, ‘dass die Rampen des Parlaments als konkretes Ziel anzustreben wären’, als ‘Sturm’ schon sehr eigenwillig.“

Fazit

Die FPÖ kritisiert vor allem die ihrer Ansicht nach „eigenwillige Interpretation“ des Wortes „Sturm“. Fest steht, ungeachtet der Wortverwendung, dass Personen am 6. März in ein Versicherungsgebäude eingedrungen sind und einen Sicherheitsmann verletzt haben. Fest steht auch, dass Pläne für eine Stürmung und Besetzung der Rampe des Parlamentsgebäudes, das damals gerade renoviert wurde, bei einer Demonstration am 31. Jänner 2021 kursierten, die die Polizei dann zur Auflösung derselbigen bewegten. Die Aussage, es seien Dinge „erfunden“ worden, die es „gar nicht gegeben hat“, ist falsch

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.