Kickl vs. Kogler: Ist die Regierung schuld an der Preislawine? Nope.
Um die aktuelle Teuerung zu erkennen, muss man kein Wirtschaftswissenschafter sein. Ein Supermarkteinkauf genügt: Um ganze 127 Prozent ist der Preis für Mehl im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Ein Kilo kostet nun 92 statt 41 Cent, auch der Benzinpreis liegt mittlerweile bei über zwei Euro. Die Inflation bringt aber nicht nur private Haushaltsbudgets unter Druck, sondern auch die türkis-grüne Bundesregierung, die sich von der Opposition tagtäglich „Untätigkeit“ vorwerfen lassen muss.
Aber ist die Regierung auch mitverantwortlich für die massiven Preisanstiege? Das behauptet zumindest FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl. In einer Aussendung gab er der Regierung die Schuld für die Inflation: „Die Teuerungswelle und die hohe Inflation sind hausgemacht. Sie sind das Ergebnis der Lockdown-Politik in der Corona-Zeit.“ Der grüne Vizekanzler Werner Kogler wies im Gespräch mit profil Ende Mai seinerseits jegliche Verantwortung von sich: „Diese Inflation ist importiert. Das hat mit der Pandemie zu tun, mit globalen Lieferkettenengpässen, und der Krieg tut das Seinige dazu.“ Auch Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) spricht im aktuellen profil-Interview von einer „importierten“ Teuerung. Zwei Positionen, die konträrer kaum sein könnten: Ist die Inflation nun „hausgemacht“ oder „importiert“? Ein Faktencheck.
Kickl macht Regierung verantwortlich
Die Teuerungswelle und die hohe Inflation sind hausgemacht. Sie sind das Ergebnis der Lockdown-Politik in der Corona-Zeit.
Falsch
Konjunktur-Experte Sebastian Koch vom Institut für Höhere Studien (IHS) erklärt: „Wenn die Inflation hausgemacht wäre, dann müsste es nur in Österreich hohe Inflationsraten geben und in anderen Ländern nicht.“ Mit einer Inflation von 7,7 Prozent im Mai liegt Österreich im europäischen Vergleich freilich im unteren Drittel. Schweden, das von Kickl wiederholt als Musterland im Umgang mit der Pandemie angeführt wurde, weil es dort kaum coronabedingte Einschränkungen gab, hat eine ähnliche hohe Teuerungsrate wie Österreich (7,5 Prozent). Ökonom Stefan Ederer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) meint dazu: „Das liegt daran, dass die Corona-Politik des jeweiligen Landes kaum einen Einfluss auf die Inflation hat.“ Freilich habe die Pandemie trotzdem zur Preisspirale beigetragen: „Weil die Einschränkungen weltweit die Produktionen und auch die Lieferketten stillgelegt haben.“ Das heißt: Selbst wenn die türkis-grüne Regierung lockerer auf Corona reagiert hätte, müsste sie sich jetzt mit der Inflation herumschlagen.
Regierung weist Verantwortung von sich
Diese Inflation ist importiert. Das hat mit der Pandemie zu tun, mit globalen Lieferkettenengpässen, und der Krieg tut das Seinige dazu.
Fakt
Haupttreiber der Teuerung ist jedoch der Krieg – und nicht das Virus. Die beiden Forschungsinstitute WIFO und IHS erklärten in einer gemeinsamen Stellungnahme im Juni: „Die starke Preisdynamik ist zu hohen Anteilen auf gestiegene Weltmarktpreise von importierten fossilen Brennstoffen und zunehmend auch von Agrarrohstoffen zurückzuführen.“ Auf Rückfrage betonen beide Forschungseinrichtungen, dass Koglers Einschätzung zu einer „importierten“ Teuerung zutreffend sei: „Die Energie- und die Industriegüterpreise sind die treibenden Faktoren der Inflation“, heißt es etwa vom IHS. Dies geht auch aus einer Analyse der Österreichischen Nationalbank (OeNB) vom Mai hervor. Zum genauen Ursprung der einzelnen Komponenten – ob Krieg oder Pandemie – erläutert Fabio Rumler, Inflationsexperte von der OeNB: „Die hohen Energiepreise sind hauptsächlich durch den Krieg bedingt. Auch die Teuerung von Lebensmitteln basiert größtenteils auf dem Krieg.“
Keine Belege für eine „hausgemachte“ Inflation
Belege, weshalb die Teuerung „hausgemacht“ sei, also auf nationale Maßnahmen wie „die Lockdown-Politik in der Corona-Zeit“ zurückzuführen sei, konnte Herbert Kickls Büro auf Anfrage keine liefern. Allerdings zitierten die FPÖ-Mitarbeiter Experten (etwa vom deutschen statistischen Bundesamt), die die Corona-Pandemie als Ursache der Inflation identifizierten. Tatsächlich dürften Preissteigerungen bei Industriegütern vornehmlich auf die Pandemie und die damit einhergegangenen Einschränkungen zurückzuführen sein, wie auch die OeNB analysiert. Damit sind aber die Corona-Maßnahmen auf der ganzen Welt, insbesondere in Asien gemeint – und nicht nur jene in Österreich.
Wie sich die Teuerung entwickelt hätte, wenn Lockdowns ausgeblieben wären, können Fachleute nicht so einfach beantworten. Vor der Pandemie lag die Inflationsprognose für Österreich jedenfalls bei unter zwei Prozent. Doch auch im Dezember vergangenen Jahres – also mitten in der Pandemie und vor dem Ukraine-Krieg – prognostizierte das IHS noch eine Inflationsrate von vergleichsweise geringen 2,8 Prozent für 2022 und 1,9 Prozent für 2023. IHS-Konjunktur-Experte Koch erklärt: „Die preistreibenden Tendenzen, die sich bis zum Jahresende 2021 aufgebaut haben, hätten sich unserer Meinung nach ab dem ersten Quartal 2022 deutlich abgeschwächt. Das heißt: Der Großteil der Inflation, die wir jetzt sehen, ist auf den Krieg zurückzuführen.“ Einen minimalen „hausgemachten“ Aspekt kann Koch aber doch ausmachen – im Auslaufen der Mehrwertsteuerbegünstigung für die von der Covid-19-Pandemie besonders betroffenen Sektoren wie etwa Gastronomie und Hotels Ende 2021. Er analysiert für profil: „Die Weitergabe des Steuereffekts an die Konsumenten bei Auslauf der Begünstigung könnte man als hausgemachte Inflation im Ausmaß von 0,25 Prozentpunkten verstehen. Diesen Effekt hätte es ohne die hiesigen Maßnahmen wohl auch nicht gegeben.“ Das WIFO geht in einem im Mai veröffentlichten Bericht ebenfalls von „einem zusätzlichen Inflationsbeitrag von voraussichtlich 0,4 Prozentpunkten“ aus. Auch nach Abzug dieses Anteils läge die Teuerungsrate im Mai allerdings weiterhin bei über sieben Prozent.
Fazit
Der grüne Vizekanzler Kogler liegt also richtig. Fachleute bestätigen seine Argumentation der „importierten“ Inflation. Dass die Teuerung „hausgemacht“ sei, können Experten hingegen nicht nachvollziehen. Die Pandemie und Lockdowns in aller Welt sind jedenfalls für die Inflation mitverantwortlich, nicht jedoch die Maßnahmen in Österreich allein – wie FPÖ-Chef Kickl behauptete. Er liegt somit falsch.
Bis die Teuerung abflacht, könnte es im Übrigen noch viele Monate dauern: Nach der aktuellsten Prognose der OeNB vom Juni wird 2022 noch ein Anstieg der Jahresinflationsrate auf sieben Prozent erwartet. 2023 folge ein Rückgang auf 4,2 Prozent. 2024 soll die Teuerung schließlich „nur mehr“ drei Prozent betragen.