Kogler im Faktencheck: Viel grüne Energie, kaum grüne Posten?

Grünen-Chef Werner Kogler lobte im ORF-Sommergespräch Österreichs Energiewende. Dass es 2030 nur noch erneuerbaren Strom gibt, ist aber irreführend. Und: Die Regierung setzte laut Kogler „zu 99 Prozent“ keine Grünen in hohe Posten. Belegen lässt sich diese Aussage nicht.

Drucken

Schriftgröße

100 Prozent Strom aus Erneuerbaren bis 2030

Bis 2030 wird es in Österreich nur mehr Strom aus erneuerbaren Quellen geben, jetzt sind es schon fast 90 Prozent – das ist einmalig in Europa.

Werner Kogler im ORF-Sommergespräch, 12. August 2024

Irreführend

Es ist ein Vorhaben der türkis-blauen Regierung, das Schwarz-Grün nun zu Ende bringen möchte: Österreich soll 2030 über das gesamte Jahr gesehen so viel erneuerbaren Strom in Österreich erzeugen, wie im Land verbraucht wird. Festgeschrieben in der österreichischen Energie- und Klimastrategie aus dem Mai 2018 startete Österreich diese #mission2030 auch von hohem Niveau aus: „Strom stammt bereits zu rund 72 % aus erneuerbaren Quellen“, steht in den Aufzeichnungen einer parlamentarischen Enquete des Nationalrates der ehemaligen Regierungsmitglieder Elisabeth Köstinger (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ).

Sechs Jahre später sind es laut Werner Kogler „schon fast 90 Prozent“ - diese Zahl stimmt, wie Zahlen des Verbandes der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) und des deutschen Fraunhofer-Instituts belegen. Koglers Gesamtaussage, dass es bis 2030 in Österreich „nur mehr Strom aus erneuerbaren Quellen geben“ wird, ist aber irreführend, denn: Es wird auch nach 2030 noch fossil erzeugten Strom in Österreich geben.

Das erklärt Christoph Dolna-Gruber von der Österreichischen Energieagentur gegenüber profil: „Insbesondere in der kalten Jahreszeit werden die bestehenden gasbefeuerten Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen auch 2030 noch einen signifikanten Teil des Strom- und auch Fernwärmeverbrauchs decken. Durch ein Mehr an Strom aus Erneuerbaren in den Sommermonaten gleicht sich die Bilanz über das Jahr gesehen wieder aus“, so der Energieexperte. Speist Österreich also an manchen Tagen mehr Strom aus Erneuerbaren in das Stromnetz ein, kann im Gegenzug an anderen Tagen fossiler Strom in Anspruch genommen werden.

Fast 90 Prozent und einmalig in Europa?

Falsch ist der Wert, den Werner Kogler im Sommergespräch angeführt hat, nicht. Er bezieht sich auf die Daten, die ENTSO-E publiziert und das Fraunhofer-Institut hochrechnet. Sie umfassen aber nur das öffentliche Stromnetz – nicht aber den selbst erzeugten und verbrauchten Strom von Unternehmen und Haushalten. Weil das Ziel aber vorsieht, dass 2030 in Österreich bilanziell so viel erneuerbarer Strom erzeugt wird, wie im gesamten Land (also inklusive Haushalte und Unternehmen) verbraucht wird, wäre es laut Dolna-Gruber treffender, sich die Stromerzeugung in Bezug auf den gesamten Verbrauch anzusehen.

Das Problem bei Vergleichen dieses Bruttostromverbrauchs ist aber folgendes: Die letzten offiziellen EU-weit vergleichbaren Zahlen dazu stammen aus dem Jahr 2022. Und da lag Österreich mit 74,4 Prozent hinter Schweden (83,3) und Dänemark (77,2) auf dem dritten Platz. Neuere Eurostat-Zahlen soll es erst im Spätherbst geben. Nähert man sich aber dennoch über die ENTSO-E-Werte an – wie es Werner Kogler getan hat – deckte Österreich im laufenden Jahr bisher rund 100 Prozent des Verbrauchs mit Strom aus Wasser, Wind, Sonne und Co. Auf der Erzeugerseite waren es mit 92,3 sogar mehr als 90 Prozent.

Welche Werte nun auch herangezogen werden: Österreich befindet sich bei Strom aus Erneuerbaren definitiv im europäischen Spitzenfeld. „Einmalig in Europa“, wie Kogler im Sommergespräch sagte, ist das aber nicht, wie das Team des Vizekanzlers auf profil-Anfrage einräumt: Europaweit liege man den Werten des Europäischen Übertragungsnetzbetreibers zufolge nämlich hinter Norwegen, aber: In der EU sind wir mit diesen Zahlen Nummer eins. Im aktuellsten Eurostat-Vergleich aus dem Jahr 2022, der auch die Strom-Erzeugung und den -Verbrauch privater Haushalte und Unternehmen berücksichtigt, befinden sich Schweden und Dänemark vor Österreich.

Fazit

Die Zahlen, die Werner Kogler im Sommergespräch anführt, sind korrekt. Tatsächlich weist Österreich überdurchschnittliche hohe Anteile aus erneuerbaren Energien sowohl bei der Stromproduktion als auch beim -verbrauch auf. Damit liegt Österreich zwar im absoluten europäischen Spitzenfeld, „einmalig“ in Europa ist das jedoch nicht. Zudem unterschlägt Kogler im Sommergespräch, dass Strom in Österreich auch nach 2030 fossil erzeugt werden wird. In der Gesamtjahresbilanz soll sich das aber durch ein Mehr an erneuerbarem Strom ausgleichen. Die Aussage ist somit insgesamt irreführend.

Grüne Postenbesetzungen

Wir haben ganz viele Besetzungen vorgenommen, wichtigste Positionen, wo [...] von einem grünen Parteibuch weit und breit keine Rede ist. Und das sind 90 oder 99 Prozent, um Gotteswillen.

Werner Kogler im ORF-Sommergespräch, 12. August 2024

Unbelegt

In Opposition haben die Grünen politische Postenbesetzungen stets kritisiert, in der Regierung mit der ÖVP haben sie sich dennoch rasch und im Geheimen darauf eingelassen: Ein Sideletter regelte, welche Partei sich Verfassungsrichter, Finanzmarktaufsichts-Vorstände oder ORF-Spitzenposten aussuchen durfte. Der Löwenanteil inklusive ORF-Generaldirektor und VfGH-Präsident wurde der ÖVP überlassen. Die Grünen durften dafür etwa laut Geheimpapier einen VfGH-Vizepräsidenten, die ORF-Programmdirektion oder einen Vorstand der Finanzmarktaufsicht nominieren.

Der Sideletter wurde bereits 2022 publik, aber erst vor wenigen Wochen wieder relevant: Mit Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) nominierte die Regierung wie im Sideletter vereinbart einen Kandidaten der Volkspartei für die EU-Kommission. Dass der türkise Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher Gouverneur der Nationalbank wird, passt ebenfalls zur Vereinbarung aus 2020. Für die Grünen zieht Josef Meichenitsch, ehemals enger Berater von Grünen-Chef Kogler, ins Direktorium der Nationalbank. Kein Wunder also, dass Martin Thür auch im ORF-Sommergespräch nachbohrte. Koglers Antwort: Vorrang habe die Qualifikation, bei 90 oder 99 Prozent aller Bestellungen sei „von einem grünen Parteibuch weit und breit keine Rede“.

Sideletter der schwarz-grünen Regierung

Zusätzlich zum Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien ÖVP und Grüne einen sogenannten Sideletter abgeschlossen in dem unter anderem auch Personalentscheidungen vereinbart wurden.

Genaue Zahlen dazu, wie viele Posten die Regierung mit grünen Parteimitgliedern besetzt hat, gibt es nicht. Eine Erhebung würde allein schon daran scheitern, dass die Mitgliedschaft bei einer Partei nicht zwingend offengelegt werden muss und nicht alle, die sich im Umfeld einer Partei engagieren, ihr auch beitreten.

So galt etwa der Co-Geschäftsführer der Corona-Finanzierungsagentur des Bundes (Cofag), Marc Schimpel, als Grüner. Immerhin war Schimpel zwischen 2016 und 2017 als Büroleiter im grünen Parlamentsklub beschäftigt und wurde von den Grünen auf den Posten als Cofag-Geschäftsführer gehievt. Allerdings: Schimpel ist weder bei den Grünen, noch bei einer Vorfeldorganisation der Partei Mitglied, wie er im Cofag-U-Ausschuss unter Wahrheitspflicht angab. „Er war nie ein grünes Mitglied und ist gleichzeitig höchst kompetent – eine seltene Kombination“, fasste das Grünen-Chef Kogler im U-Ausschuss zusammen.

Die grüne Handschrift ist bei vielen Postenbesetzungen jedenfalls klar erkennbar: Der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats, Lothar Lockl, war etwa von 2006 bis 2009 Bundesparteisekretär der Grünen. Die ehemalige grüne Bezirksrätin Karin Tausz wurde von Gewessler zunächst 2020 als Vorsitzende des Aufsichtsrats der Flugsicherheitsbehörde Austro Control bestellt, seit 2023 ist sie Co-Geschäftsführerin der Forschungsförderungsgesellschaft FFG. Die Präsidentin des staatlichen Straßenbaukonzerns Asfinag, Christa Geyer, ist die Frau des früheren Grün-Politikers Wolfgang Geyer, im Aufsichtsrat sitzt mit Ana Simic eine IT-Expertin, die 2020 auf der grünen Liste für die Bezirksvertretungswahl Wien Alsergrund kandidierte.

Die Autobahngesellschaft ist aber auch ein Beispiel für grüne Personalpolitik ohne grünes Parteibuch: Herbert Kasser tauschte etwa am 1. Juni seinen Posten als Gewesslers Generalsekretär gegen den Finanzvorstand des staatlichen Straßenbaukonzerns Asfinag – obwohl er schon im Ministerium für das Beteiligungsmanagement zuständig war. Allerdings gilt Kasser als Roter, wurde er doch 2007 von Werner Faymann (SPÖ) ins Verkehrsressort geholt. 

Das könnte natürlich auch daran liegen, dass die Grünen mit 6687 Mitgliedern im April 2024 eine besonders kleine Partei sind. Nicht einmal ein Promille der Bevölkerung hat folglich ein grünes Parteibuch. Zum Vergleich: Die ÖVP hatte 2017 rund 600.000 Mitglieder, die FPÖ rund 60.000 und die SPÖ 2023 rund 150.000.

„Für uns Grüne stellt(e) Parteizugehörigkeit in keinem Fall ein Kriterium da“, heißt es vom Vizekanzler auf Anfrage mit Verweis auf diverse Postenbesetzungen von Bundesdenkmalamt bis zu Sektionsleitungen in grün-geführten Ministerien. Die Nominierung von Ex-SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner zur neuen Direktorin des Europäische Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) nennt Kogler etwa als Beispiel dafür, dass eine Parteizugehörigkeit auch keinen Ausschlussgrund darstelle. Die Aussage der 90 bis 99 Prozent habe dies illustrativ darstellen sollen.

Fazit

Eine Auswertung aller Postenbesetzungen der Regierung nach politischer Gesinnung ist nicht möglich, da die Parteimitgliedschaft einzelner Personen nicht öffentlich ist. Fest steht, dass sich bei der politischen Besetzung von Spitzenpositionen eine grüne Handschrift erkennen lässt – diese ist jedoch nicht unbedingt an eine Parteimitgliedschaft gebunden. Die konkrete Aussage von Vizekanzler Werner Kogler, 90 bis 99 Prozent aller Bestellten hätten kein grünes Parteibuch gehabt, sollte laut dem Grünen-Chef illustrativ darstellen, dass Parteizugehörigkeit kein Kriterium bei der Personalauswahl sei. Konkret belegen lässt sich der Prozentsatz nicht.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und chattet für den Newsletter Ballhausplatz. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.