Sebastian Kurz (ÖVP) am Samstag, 9. Oktober 2021
Faktencheck

Kurz beschönigt: Strafrechtliche Vorwürfe aktueller als dargestellt

Der ehemalige Bundeskanzler erklärte in seiner Rücktrittsrede, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe aus dem Jahr 2016 stammen, also weit zurückliegen. Das ist irreführend. Ein Faktencheck.

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Sie haben alle mitbekommen, dass in den letzten Tagen strafrechtliche Vorwürfe gegen mich erhoben worden sind. Diese Vorwürfe stammen aus dem Jahr 2016."

Sebastian Kurz, ehemaliger Bundeskanzler (ÖVP), 9. Oktober 2021

Sie ist 104 Seiten lang, gespickt mit Paragraphen, aber auch für Nicht-Juristinnen und -Juristen mehr als lesenswert: Jene „Anordnung der Durchsuchung und der Sicherstellung“ der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die wesentlich dazu beitrug, dass Österreichs Kanzler nicht mehr Sebastian Kurz, sondern Alexander Schallenberg heißt. Ersterer hat sein Amt am Wochenende niedergelegt und dabei seine Unschuld beteuert. Dass es Kurz dabei ein Anliegen war, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als möglichst gering und lange zurückliegend darzustellen, ist verständlich - aber trotzdem nicht ganz korrekt.

„Mein Land ist mir wichtiger als meine Person.“ Mit diesen Worten verkündete Sebastian Kurz (ÖVP) am Samstagabend seinen Rücktritt. Im Zuge seiner knapp siebenminütigen Ansprache erläutert er weiter: „Sie haben alle mitbekommen, dass in den letzten Tagen strafrechtliche Vorwürfe gegen mich erhoben worden sind. Diese Vorwürfe stammen aus dem Jahr 2016. Sie sind falsch.“ Ob sich die Vorwürfe als richtig oder falsch erweisen, sei dahingestellt. Für alle Beschuldigten gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung – wie Kurz auch selbst mehrfach betonte. Dass die gegen den Altkanzler erhobenen Vorwürfe jedoch lediglich aus dem Jahr 2016 stammen, ist so allerdings nicht richtig, wie ein Blick in die vielzitierte Anordnung zur ÖVP-Hausdurchsuchung (HD) der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) zeigt.

Was Kurz vorgeworfen wird

Kurz war von 2013 bis 2017 Außenminister. Seine erste Amtszeit als Bundeskanzler bestritt er von 2017 bis 2019. Nun wird gegen die einstige ÖVP-Nachwuchshoffnung, zusammen mit neun weiteren Personen, ermittelt. Den Akteuren wird Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit vorgeworfen. Thomas Schmid, damaliger Generalsekretär im Finanzministerium, soll ab 2016 laufend in den „Österreich“-Kanälen der Gebrüder Fellner dem Kurz-Lager genehme Umfragen lanciert haben – manche von ihnen frisiert. Die Umfragen sollen dem Finanzministerium, also den Steuerzahlerinnen und –zahlern, über Scheingeschäfte in Rechnung gestellt worden sein. All das soll Sebastian Kurz gewusst und zum Teil sogar veranlasst haben, so der Vorwurf.

Die HD-Anordnung der WKStA

Zunächst einmal heißt es auf Seite zwei der HD-Anordnung, dass Emails „ab 1. Jänner 2016 bis laufend“ sowie sonstige Unterlagen bzw. Gegenstände, aus denen sich insbesondere Informationen „zu den Studien ab dem Jahr 2016“ ergeben, aus Beweisgründen sicherzustellen sind. Von Interesse sind dementsprechend auch Informationen, die über das Jahr 2016 hinausgehen.

Konkret wird Kurz vorgeworfen, er hätte zur Untreue angestiftet. Er soll etwa Thomas Schmid beauftragt haben, gewisse Studien, die im Zeitraum von September bis März 2018 erstellt wurden, zu organisieren. Außerdem bezieht sich Kurz‘ Auftrag an Schmid auf Umfragen, die in den „Österreich“-Kanälen der Gebrüder Fellner veröffentlich wurden. Diese sind zwischen 29. Juni 2016 und 23. März 2018 publiziert worden, wie aus der Anordnung hervorgeht.

Hinsichtlich des Vorwurfs der Bestechlichkeit findet sich auf Seite sieben der Anordnung zur Hausdurchsuchung ein eindeutiger Passus, der die Anschuldigungen den Kanzler betreffend zeitlich klar einordnet:

Übersetzt heißt das: Sebastian Kurz soll Thomas Schmid auch noch als Bundeskanzler, also ab Dezember 2017, zu mutmaßlich kriminellen Handlungen angestiftet haben.

Fazit

Die Aussage von Kurz, die Vorwürfe gegen ihn würden aus dem Jahr 2016 stammen, ist demnach unzutreffend. Es handelt sich auch um Handlungen, die sich in den Folgejahren zugetragen haben sollen. Die Aussage des nunmehr zweifachen Altkanzlers ist daher irreführend.

Für alle Beschuldigten gilt selbstverständlich die Unschuldsvermutung. Hier finden Sie nochmals den Link zur kompletten HD-Anordnung der WKStA. Hier können Sie im Strafgesetzbuch nachlesen, welcher Verbrechen Kurz verdächtigt wird (§ 153 Abs 1 und 3 zweiter Fall StGB iVm § 12 zweiter Fall StGB; § 304 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB iVm § 12 zweiter Fall StGB). Bei einer Verurteilung drohen Kurz bis zu zehn Jahre Haft. Alle Betroffenen haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.