Meinl-Reisinger im Faktencheck: Wer wie viel Steuern zahlt

Die Neos-Chefin behauptet, dass Durchschnittsverdiener steuerlich genauso belastet sind wie Top-Verdiener. Damit argumentiert sie gegen die Erbschaftssteuer, doch sie liegt falsch. Richtig ist eine andere Behauptung von ihr.

Drucken

Schriftgröße

Die Neos sind gegen neue Steuern. Das macht die wirtschaftsliberale Partei immer wieder klar, nicht zuletzt in der Debatte um die Erbschafts- und Vermögensteuer. Im Ö1-Mittagsjournal Anfang September wurde Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger gefragt, warum sie wenig Freude mit einer Millionärssteuer habe.

Ihre Argumentationslinie baut darauf, dass die Steuerlast in Österreich bereits jetzt sehr hoch ist. Meinl-Reisinger: "Durchschnittsverdiener werden bei uns so belastet wie Spitzenverdiener. Ein kollektivvertraglicher Mindestlohn für Hilfskoch liegt bei 1800 Euro brutto. Dieser Hilfskoch hat in Österreich eine Gesamtsteuerbelastung auf Arbeit von, ich glaube, jetzt sind es 42 Prozent. Das ist eine Belastung, die hatte Mitte der 70er-Jahre eine Ärztin, die in der Höchstbemessungsgrundlage war. Also noch einmal, Durchschnittsverdiener werden belastet wie Spitzenverdiener."

In diesem Faktencheck soll es nicht um die Frage der Erbschaftssteuer gehen, sondern um Meinl-Reisingers Argument dagegen: Kommen Durchschnittsverdiener und Hilfsköche wirklich auf dieselbe Steuerlast wie Spitzenverdiener? Und zahlen Hilfsköche heute soviele Steuern wie Spitzenverdiener in den 1970er-Jahren? Ein Check in zwei Teilen.

Durchschnittsverdiener werden belastet wie Spitzenverdiener.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger

Falsch

Für Margit Schratzenstaller ist der Vergleich nicht nachvollziehbar. Die Ökonomin vom Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) rechnet für profil vor, dass sich die Abgaben für Niedrig-, Durchschnitts- und Spitzenverdienst teils deutlich unterscheiden: "Sowohl die individuelle, als auch die Gesamtabgabenbelastung beträgt für Spitzenverdienste mehr als für Gering- und auch Durchschnittsverdienste."

Mit 1800 Euro brutto im Monat zählt man in Österreich zu den Niedrigverdienern, das Durchschnittsgehalt liegt bei 4100 Euro brutto. Zu den Spitzenverdienern zählen jene Menschen, die es auf 100.000 Euro im Monat brutto bringen.

Die Abgabenlast für Arbeitnehmer  Sozialbeiträge und Lohnsteuer einbezogen  beläuft sich für Niedrigverdiener auf knapp 20 Prozent, für Durchschnittsverdiener auf 33 Prozent und für Spitzenverdiener auf 49 Prozent; immer ausgehend vom Bruttogehalt.

Bezieht man auch die Abgaben ein, die Arbeitgeber abführen müssen, erhält man den sogenannten Total Tax Wedge (zu deutsch: Steuerbelastung). Der macht laut Schratzenstallers Daten 38 Prozent für Niedrigverdiener, 48,3 Prozent für Durchschnittsverdiener und 53,6 Prozent für Spitzenverdiener aus. Ökonomin Schratzenstaller: "Der Spitzenverdienst trägt die höchste Abgabenlast". Wie man es auch dreht und wendet, Meinl-Reisinger liegt also falsch.

Der Lohn eines Hilfskochs aus Meinl-Reisingers Beispiel ist übrigens nicht durchschnittlich, sondern gering. Bei seinem Verdienst von 1800 Brutto kostet er dem Arbeitgeber 32.753 Euro im Jahr, inklusive Arbeitgeberanteil der Lohnnebenkosten. Die jährlichen Dienstgeberabgaben, also die Lohnnebenkosten, betragen 7535 Euro, das sind 29,9 Prozent des Bruttogehalts. Die Gesamtabgaben für Arbeitgeberin und Arbeitnehmer betragen laut der Rechnung 38,4 Prozent - und nicht 42 Prozent.

In einem Punkt stimmt Schratzenstaller aber mit Meinl-Reisinger überein: Die Abgabenlast auf Löhne sei auch im unteren und mittleren Einkommensbereich "relativ hoch": "Es braucht in diesem Bereich eine Entlastung."

profil hat auch mit der Arbeiterkammer (AK) gesprochen. "Hier werden einige Begrifflichkeiten wild durcheinander verwendet", sagt Pascal Schraml, Experte für Steuerrecht. Er weist noch auf ein weiteres Problem bei Meinl-Reisinger Berechnung hin: Die Negativsteuer sei darin gar nicht berücksichtigt also, wenn die Sozialversicherung rückerstattet wird, weil ein Arbeitnehmer nicht genug verdient hat, um Lohnsteuer zu zahlen. Damit würden sich die Durchschnittsabgaben noch weiter reduzieren.

Selbst die Arbeiterkammer gesteht ein, dass die Steuerbelastung in Österreich "sehr hoch" sei. Die Arbeiterkammer begrüßt eine Steuerreduktion, wünscht sich aber einnahmenseitige Alternativen für den Staatshaushalt. Stichwort: Neue Steuern. Denn: "Leistungen wie Kinderbetreuung, Karenz und Pensionen müssen finanziert werden", sagt Schraml. Derzeit finanzieren hauptsächlich Arbeit und Konsum das Budget des Landes, erklärt der AK-Experte.

Auf profil-Anfrage präzisiert ein Sprecher von Beate Meinl-Reisinger: Sie habe den Vergleich im Zeitverlauf gemeint, also dass die Abgaben des Kochs heute ähnlich hoch seien, wie die einer gut verdienenden Ärztin in den 1970er-Jahren. Das führt zum zweiten Teil dieses Faktenchecks.

Ein kollektivvertraglicher Mindestlohn für Hilfskoch liegt bei 1 800 Euro brutto. Dieser Hilfskoch hat in Österreich eine Gesamtsteuerbelastung auf Arbeit von, ich glaube, jetzt sind es 42 Prozent. Das ist eine Belastung, die hatte Mitte der 70er-Jahre eine Ärztin, die in der Höchstbemessungsgrundlage war.

Beate Meinl-Reisinger

Größtenteils richtig

Den Beleg für den Vergleich mit der Ärztin aus den 1970er-Jahren kann Meinl-Reisinger auf Anfrage vorlegen.

Sie bezieht sich auf eine Studie vom wirtschaftsnahen Forschungsinstitut EcoAustria, das die Entwicklung der zu leistenden Abgaben zwischen 1975 und 2022 analysierte. Dabei wurden Dienstnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, die Einkommensteuer, Dienstgeberbeiträge sowie Steuern auf die Lohnsumme berücksichtigt.

Die Erkenntnis der Studie im Auftrag der Wirtschaftskammer: "Aktuell tragen schon vergleichsweise geringe Einkommen mit rund 45 Prozent des Bruttojahreseinkommens eine ähnlich hohe Abgabenbelastung wie sie im Jahr 1975 noch für hohe Einkommen galt." Wären die Abgaben auf dem Niveau der 1970er Jahre, würde das mehr Konsum und damit mehr Wachstum und Beschäftigung in Österreich bedeuten, so die Autoren. 

Das stützt Meinl-Reisingers Behauptung.

Allerdings gibt Michael Reiter, Leiter der Forschungsgruppe Makroökonomik und Konjunktur am Institut für höhere Studien (IHS) zu bedenken, dass die Sozialversicherung keine Steuer an sich ist, sondern in Form von Pension oder Gesundheitsleistungen zurückkommt. Denn: "Auch die Staatsausgaben sind im Zeitverlauf gestiegen."

Insofern liegt Meinl-Reisinger nur größtenteils richtig.

Selbst in der von Neos zitierten Studie steht: "Der Anstieg der Abgabenbelastung fällt bei hohen Einkommen stärker aus als bei geringen Einkommen." Womit nochmals Meinl-Reisingers erste Behauptung falsifiziert wird.

Elena Crisan

Elena Crisan

war bis Oktober 2024 Journalistin im Online-Ressort.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.