MFG-Kandidat Brunner befeuert mit Falschinfos Zweifel an Umfragen
Der Kampfbegriff „Systemmedien“ gehört seit vielen Jahren zum Wortschatz von Verschwörungsgläubigen. Michael Brunner, Gründer der impfgegnerischen MFG und nunmehr Bundespräsidentschaftskandidat, etablierte am Donnerstag im ZIB 2-Interview einen neuen Begriff: „Systemumfragen“.
Damit versuchte Brunner aktuelle Umfragewerte kleinzureden, die ihm lediglich zwei Prozent Zustimmung bescheinigen. Was Systemumfragen genau sind, das wollte Brunner auf Nachfrage von ORF-Moderatorin Marie-Claire Zimmermann zwar nicht näher ausführen, man kann es sich aber leicht zusammenreimen: Die Umfragen könnten manipuliert sein, um ihm, dem selbsternannten System-Gegner, zu schaden.
Die Glaubwürdigkeit von Umfragen versuchte Brunner auch mit einem weiteren Argument zu untergraben: Meinungsforscher hätten seiner MFG bei den Landtagswahlen in Oberösterreich im Vorjahr einen Sprung über die Vier-Prozent-Hürde nicht zugetraut. Mit diesem Spin wollte Brunner offenbar Zweifel an Umfragen streuen und seinen Anhängern signalisieren: Es ist bei der Präsidentschaftswahl noch alles drinnen.
Aber stimmen seine Behauptungen? Wie glaubwürdig ist die Meinungsforschung in Österreich? Und was unterscheidet eine gute Umfrage von einer schlechten? Ein Faktencheck.
Das glaube ich so nicht, also Umfrageergebnisse sind das eine und Wahlergebnisse sind das andere. (…) Das sind Systemumfragen.
Falsch
Die Umfrage wurde von Unique Research im Auftrag von profil und der Tageszeitung „heute“ durchgeführt und am 17. September 2022 veröffentlicht – sie sieht Amtsinhaber Alexander Van der Bellen bei 59 Prozent, Herausforderer Brunner nur bei zwei. Der FPÖ-Kandidat Walter Rosenkranz kommt auf 13 Prozent, dicht gefolgt von Blogger und ehemaligem FPÖ-/BZÖ-Politiker Gerald Grosz (9 Prozent). Der frühere „Krone“-Kolumnist und Rechtsanwalt Tassilo Wallentin liegt bei acht, Bierpartei-Chef Dominik Wlazny bei sieben Prozent und Schuhfabrikant Heinrich Staudinger bekam ebenso wenig Zustimmung wie Brunner (zwei Prozent).
„Die Kriterien für ein gute Umfrage, egal ob sie von Medien oder politischen Parteien in Auftrag gegeben werden, sind immer dieselben: Die Stichprobe muss repräsentativ sein und die Fragen gut gestellt“, sagt Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik von der Uni Wien. Bei der Fragestellung nach den Hofburg-Kandidaten sei nicht viel falsch zu machen. Und auch hinsichtlich der Stichprobe des Instituts Unique Research meint der Experte: „Das ist eine seriöse Institution mit viel Erfahrung, die Umfragen seit Jahren nach dem Stand der Technik durchführt. Nichts an den aktuellen Ergebnissen bringt mich zu der Vermutung, dass damit etwas nicht stimmen könnte.“ Den gemischten Modus aus Online- und Telefoninterviews begrüßt der Experte. Und auch, dass die Umfrage von profil und „heute“ beauftragt wurde, sieht er als positiv: „Gerade Medien haben ein großes Interesse daran, dass von ihnen veröffentlichte Umfragen akkurat sind – aus Glaubwürdigkeitsgründen.“
Experte Ennser-Jedenastik bilanziert: „Selbst ein größerer Fehler in der Umfrage oder eine größere Abweichung zwischen Umfrage und Wahlergebnis würden Herrn Brunner nicht ausreichend helfen.“ Und mit Abweichungen kennt sich der Politikwissenschafter schließlich aus: Bereits vor dem Bekanntwerden der ÖVP-Inseratenaffäre hatte er Auffälligkeiten in den Umfragen von Research Affairs der Meinungsforscherin Sabine Beinschab bemerkt. Zur Einordnung: In den Jahren 2016 und 2017 (profil berichtete) lässt sich eine auffallende Abweichung von anderen Umfrageergebnissen bei der ÖVP in der Tageszeitung „Österreich“ erkennen. Im Mai 2017 lag die Kurz-ÖVP beispielsweise bei Beinschab bei 35 Prozent, während die meisten anderen Institute die Volkspartei im Durchschnitt bei 30 Prozent sahen.
In der von Brunner kritisierten aktuellen Umfrage von Unique Research wurden insgesamt 1600 Österreicherinnen und Österreicher ab 16 Jahren befragt – ein vergleichsweise großes Sample. 62 Prozent gaben an, ganz sicher zur Wahl zu gehen. Von diesen 993 Befragten gaben zwei Prozent an, Michael Brunner ihre Stimme zu geben. Meinungsforscher und wissenschaftlicher Leiter von Unique Research, Peter Hajek, erklärt, wie die von Brunner in Frage gestellte Umfrage entstanden ist: „Es handelt sich um eine repräsentative Stichprobe. Gewisse Quotenmerkmale der Gesamtbevölkerung müssen immer erfüllt sein: Das sind Alter, Geschlecht, Bildung und Region.“ Und: „Diese Umfrage wurde nach allen Regeln des Standes durchgeführt. Die Auftraggeber, ‚profil‘ und ‚heute‘ sind bekannt. Wir haben sowohl die Rohdaten als auch die Hochschätzung an unsere Kunden.“ profil und „heute“ veröffentlichten die Datensätze.
Die Rohdaten (siehe Screenshot) unterscheiden sich von der veröffentlichten Umfrage insofern, als dass dort auch jene Menschen ausgewiesen sind, die noch „unentschlossen“ sind oder ungültig („weiß“) wählen wollen – insgesamt 16 Prozent der Befragten fallen in diese Kategorien. Für die Erstellung der Umfrage werden diese Gruppen herausgerechnet. Aus den Rohdaten wird so die sogenannte Hochschätzung. Brunner kommt auch in den Rohdaten der Unique Research Befragung nicht über zwei Prozent hinaus. Um die Unentschlossenen und Weißwähler rauszurechnen, muss man ihren Wert (16 Prozent) von allen Befragten (100 Prozent) abziehen. Ergibt: 84 Prozent. Dividiert man nun Brunners Rohdaten von zwei Prozent durch 84 Prozent, ergibt sich ein Wert von 2,38 Prozent. In der Hochschätzung wurden die Kandidaten nur mit vollen Prozentwerten angegeben, Brunners Wert wurde auf zwei Prozent abgerundet. Zusätzlich werden die Werte der Kandidaten danach gewichtet, wie stark ihre jeweilige Anhängerschaft bereit ist, zur Wahl zu gehen. Auch diese Bereitschaft wurde von Hajek abgefragt.
Hajek: „Unsere Umfrage hat vier Wochen vor dem Wahltermin stattgefunden und besagt demnach nicht, dass die Wahl genauso ausgeht. Sie trifft nur eine Aussage über den jeweiligen Zeitpunkt – wenn also am 18. September Bundespräsidentenwahlen wären. Darauf weisen wir immer hin – auch wenn unseren Analysen zufolge der Unterschied nicht mehr allzu groß sein wird.“ Außerdem erklärt er: „Wir haben uns freilich auch die Befragten angesehen, die angegeben haben, sich nicht ganz sicher zu sein, dass sie zur Wahl gehen. Das Ergebnis ist jedoch nicht signifikant anders.“
Wenn es nach den Umfragen gegangen wäre, wären wir in Oberösterreich nie in den Landtag eingezogen.
Falsch
Ein kurzer Blick ins Archiv widerlegt Präsidentschaftskandidat Brunner klar: Gleich mehrere Institute hatten die MFG auf der Rechnung und trauten der neuen Liste ein Überspringen der Vier-Prozent-Hürde und damit einen Einzug in den Landtag zu.
Vier Beispiele
Neun Tage vor der Landtagswahl titelte die Tageszeitung „Standard“ in ihrer Print-Ausgabe: „Corona-Kritiker in Umfrage stark“. Grundlage für die Headline war eine Umfrage des Linzer Market-Instituts. In den Rohdaten von Market kam die MFG damals bereits auf fünf Prozent Zustimmung. Im „Standard“ war zu lesen, „dass ein Landtagseinzug auch tatsächlich erreicht werden könnte“.
Bereits zwei Tage zuvor hatte der Chef des GMK-Instituts, Anton Leinschitz-Di Bernardo, in der oberösterreichischen „Bezirksrundschau“ ein starkes Ergebnis der impfkritischen Bewegung prognostiziert: „MFG könnte es theoretisch in den Landtag schaffen, das würde ich nicht ausschließen – in den Rohdaten der Umfrage sind sie stärker als die Neos.” In der Hochschätzung von GMK wurde die MFG damals mit zwei bis vier Prozent ausgewiesen, Grundlage dafür waren 400 Telefoninterviews im Auftrag der „Rundschau”.
Auch eine Umfrage des Wiener IFES-Instituts im Auftrag der SPÖ, für die 838 Oberösterreicher befragt wurden, kam zu einem ähnlichen Schluss: „Die MFG käme mit vier Prozent als einzige der sechs kandidierenden Kleinparteien zur Wahl am 26. September ebenfalls in das Landesparlament“, wurde die Umfrage von der Austria Presse Agentur (APA) zitiert. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse 13 Tage vor der Wahl.
Und schließlich traute auch Meinungsforscher Peter Hajek im Auftrag der Zeitung „heute“ der MFG zumindest einen Achtungserfolg zu: „Umfrage-Beben: Impfgegner in OÖ im Landtag?“, titelte „heute“ am 10. September 2021. Die MFG wurde in dieser Umfrage allerdings nicht gesondert ausgewiesen, sondern unter „Andere” verbucht. Der Wert für „Andere” wurde allerdings mit fünf Prozent angegeben. In den Erläuterungen zur Befragung, die Hajek an „heute” übermittelte und die profil vorliegen, schrieb der Meinungsforscher damals: „Auffallend stark zeigen sich die anderen Parteien. Es ist anzunehmen, dass insbesondere die impfskeptische Liste MFG einen Achtungserfolg landen könnte, sprechen sich doch die Wählergruppen der ‚anderen Parteien‘ signifikant gegen neue Corona Maßnahmen aus.”
In früheren Umfragen wurde der MFG der Einzug in den Landtag tatsächlich nicht zugetraut. Den Grund dafür erklärte Meinungsforscher David Pfarrhofer vom Linzer Market-Institut bereits vor der Wahl im „Standard”: „Es ist noch keinen Monat her, da hätten wir allenfalls zwei Prozent für die Kleinparteien angenommen. In den letzten Tagen steigt die Bereitschaft, solche Parteien zu wählen, aber stark an.”
Selbstverständlich können auch Meinungsforscher daneben liegen. Beim ersten Durchgang der Bundespräsidentenwahl im Jahr 2016 wurde FPÖ-Kandidat Norbert Hofer deutlich unterschätzt. Politologe Ennser-Jedenastik: „Es ist klar, dass bei Landtagswahlen und Bundespräsidentschaftswahlen, wo seltener Umfragen gemacht werden, die Unsicherheiten größer sind, weil die Erfahrungswerte der Institute kleiner sind.“