Johanna Mikl-Leitner, ÖVP
Faktencheck

Mikl-Leitner will keine neuen Windräder und verdreht dafür die Fakten

ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sagt: Niederösterreich produziert – als einzige Region Europas ohne Kohle- und Atomkraft – seinen gesamten Strombedarf erneuerbar. Diese Behauptung stimmt so allerdings nicht.

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Schon jetzt ist Niederösterreich die einzige Region in Europa ohne Kohlekraft und Atomkraft, die es schafft, 100 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbarer Energie zu produzieren.“

Johanna Mikl-Leitner

ÖVP-Landeshauptfrau Niederösterreich, 14. April 2022, "Kurier"

Falsch

Niederösterreich ist das flächenmäßig größte Bundesland Österreichs – und bietet damit viel Platz für Windräder. Allerdings nur theoretisch, denn wenn es nach der ÖVP-Landeshauptfrau geht, ist die Situation eindeutig: „Ich will keine neuen Windräder mehr in Niederösterreich“, erklärte Johanna Mikl-Leitner im November. Eine Position, die Niederösterreichs zahlreiche Windkraftgegner – von Böheimkirchen bis Sallingberg  – wohl begrüßen. Schließlich gefährde der Bau von Windrädern die heimische Vogelpopulation, zerstöre Wanderwege und beeinträchtige das Landschaftsbild massiv. Angesichts des Krieges in der Ukraine, der Abhängigkeit von russischem Gas und steigender Energiepreise relativierte die ÖVP-Politikerin ihre Aussage jedoch, wie aus ihrem Büro zu hören war: „Es wird nur keine neuen Windzonen mehr geben, Windräder sollen in Zukunft nach wie vor aufgebaut werden.“

Bereits jetzt ist allerdings klar: Die Landeshauptfrau, die sich Anfang 2023 planmäßig einer Wiederwahl stellen müsste, ist mit der Leistung von Niederösterreich in puncto erneuerbarer Energien mehr als zufrieden. Sie attestiert ihrer Heimatregion, der sie seit 2017 vorsteht, sogar eine europäische Vorreiterrolle und sagte am 14. April im „Kurier“: „Schon jetzt ist Niederösterreich die einzige Region in Europa ohne Kohlekraft und Atomkraft, die es schafft, 100 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbarer Energie zu produzieren.“ faktiv hat diese Behauptung einer Prüfung unterzogen. Fest steht: Mikl-Leitners Aussage ist in dreifacher Hinsicht falsch.

Kohlekraftwerk in Niederösterreich

Auf profil-Anfrage heißt es aus dem Büro der Landeshauptfrau zunächst, Mikl-Leitner würde sich in ihrer Behauptung auf Daten der Statistik Austria aus 2018 stützen. Hierbei stellt sich das erste Problem: Niederösterreich war im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern (mit Ausnahme der Steiermark) mit Stand 2018 noch nicht frei von Kohle: Das Kraftwerk in Dürnrohr wurde erst im Jahr 2019 abgeschaltet. Allein dahingehend wäre die Behauptung schon als falsch einzustufen.

Bilanziell mehr Strom erzeugt als verbraucht, aber:

Aus dem Büro der Landeshauptfrau wird profil vorgerechnet: 2018 seien in Niederösterreich etwas über 12 Terawattstunden Strom erneuerbar produziert worden. Der Verbrauch lag jedoch – knapp aber doch – darunter. Die niederösterreichische Energie- und Umweltagentur (eNu) und auch die Österreichische Energieagentur (AEA) bestätigen: „In Niederösterreich wird bilanziell mehr Strom erneuerbar erzeugt als verbraucht“, meint Günter Pauritsch, Energieexperte der AEA. Er hat die Klima- und Energiestrategien der einzelnen Bundesländer 2021 im Rahmen einer Studie genau unter die Lupe genommen. Der Fachmann wirft jedoch ein, dass es in Niederösterreich auch Stromerzeugung aus Erdgas und Öl gebe. Dieser Strom müsse, damit die grüne Bilanz stimmt, exportiert werden. Ein Blick auf die Bundesländerdaten der Statistik Austria zeigt: Im Jahr 2020 erfolgte die Stromerzeugung noch zu 12 Prozent aus fossilen Quellen (davon sieben Prozent Erdgas, fünf Prozent Öl).

Harald Proidl, Leiter der Abteilung Ökoenergie und Energieeffizienz der Regulierungsbehörde E-Control, führt gegenüber profil an: „Die Aussage stimmt einerseits schon, auf der anderen Seite aber auch nicht. Bilanziell weist Niederösterreich einen Überschuss an Strom auf, aber physikalisch kann man das so nicht sagen.“ Zu gewissen Zeiten müsse auch Niederösterreich Strom aus anderen Gebieten beziehen. Und auch kaufmännisch sei eine derartige Betrachtung nicht korrekt, so Proidl: „Ein geförderter Windpark, der zwar in Niederösterreich steht, produziert zum Beispiel nicht ausschließlich für niederösterreichische Kundinnen und Kunden, sondern der Strom wird auf ganz Österreich aufgeteilt.“

Berechnung auf Basis der EU-Richtlinie

Die Statistik Austria, auf deren Energiebilanz sich Mikl-Leitner explizit bezieht, weist darauf hin, dass die Aussage der Landeshauptfrau nur zutreffe, wenn lediglich der Strom-Endverbrauch betrachtet werde. Würde der Transportverlust sowie der Verbrauch des Energiesektors, also was bei der Stromproduktion selbst an Energie benötigt wird, dazu gerechnet werden, ginge die Rechnung nicht mehr auf. So argumentiert auch die Umweltschutzorganisation Global 2000. Johannes Wahlmüller, Klima- und Energieexperte der NGO, meint: „Berechnet man auf Basis der Erneuerbare-Energie-Richtlinie der EU, hat Niederösterreich 2020 einen Anteil erneuerbarer Energien am Strombedarf von 92 Prozent.“ 2018 lag dieser Wert bei 87 Prozent, so die Zahlen der Statistik Austria.

Niederösterreich nicht einmal einziges Bundesland

In einem sind sich aber alle Fachleute einig: Auch andere österreichische Bundesländer schneiden ähnlich ab wie Niederösterreich, mitunter sogar viel besser. So konnten 2018 auch das Burgenland, Kärnten, Salzburg und Tirol ihren gesamten Stromverbrauch mittels erneuerbarer Energie produzieren. Und so sogar mehr als 100 Prozent erzeugen (siehe Grafik) – egal, welche Berechnungsmethode herangezogen wird. Niederösterreich ist somit nicht einmal die einzige Region Österreichs, auf die Mikl-Leitners Behauptung zutrifft.

Solidarität zur Zielerreichung

Damit konfrontiert wird schließlich zurückgerudert: Niederösterreich läge aber jedenfalls als Flächenbundesland mit viel Industrie und hoher Wirtschaftsleistung ganz vorne. Günter Pauritsch von der AEA bestätigt dies zwar. Der Fachmann betont jedoch, dass bilanzielle Betrachtungen auf regionaler Ebene generell wenig Sinn ergeben: „Es gibt manche Bundesländer, die das, was Niederösterreich macht, gar nicht erreichen können.“ In Wien gäbe es beispielsweise nicht ausreichend Platz für den entsprechenden Ausbau von Energie aus Wind, Sonne oder Wasser. Oberösterreich oder auch die Steiermark als Industriestandorte könnten ihren hohen Energiebedarf ebenfalls nicht alleine aus Erneuerbaren decken. Um 2030 über das Jahr gerechnet nur mehr grünen Strom aus Österreich einzusetzen - das Ziel der Regierung -, brauche es die Solidarität aller Bundesländer. Außerdem: In Niederösterreich sei das Potenzial beim Ausbau von Windkraft besonders groß, so Pauritsch. Der österreichische Interessenverband der Windkraft-Betreiber bestätigt: „Niederösterreich ist das wichtigste Bundesland für Windkraftenergie.“

Niederösterreich nicht einzige Region in Europa

Mikl-Leitner geht in ihrer Behauptung schließlich so weit, dass sie Niederösterreich sogar als „die einzige Region in Europa“ bezeichnet, die es schaffe, 100 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbarer Energie zu produzieren. Belege hierfür konnte die Landeshauptfrau keine erbringen. In St. Pölten wird lediglich darauf hingewiesen, dass die meisten anderen europäischen Länder entweder auf Atom- oder Kohlekraft setzen würden. Fraglich ist natürlich, wie der Begriff „Region“ zu definieren ist – darauf gab Mikl-Leitner keine Antwort. Eurostat, das statistische Amt der EU, führt jedenfalls keine Aufzeichnungen nach Regionen gegliedert. Aber: Allein das gesamte Land Norwegen produziert beispielsweise mehr Strom aus erneuerbarer Energie als es verbraucht, wie aus Daten der Statistikbehörde des skandinavischen Landes hervorgeht. Atom- und Kohlekraft gibt es auf dem gesamten norwegischen Festland ebenfalls keine.

Fazit

Die Behauptung von Mikl-Leitner ist also auch hinsichtlich ihrer europäischen Dimension nicht ganz zutreffend und somit insgesamt als falsch einzustufen: Niederösterreich ist nicht „die einzige Region in Europa ohne Kohlekraft und Atomkraft“ die es schafft, 100 Prozent ihres Strombedarfs aus erneuerbarer Energie zu produzieren.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.