Nehammer im Faktencheck: Dieselprivileg und Schlepper-Zahlen

Wäre unser CO2-Verbrauch ohne Tanktouristen geringer und meiden Schlepper Österreich tatsächlich? Die beiden Aussagen des Bundeskanzlers aus dem Sommergespräch haben zwar einen wahren Kern, sind aber irreführend.

Drucken

Schriftgröße

Also was tatsächlich absurd ist, [...] dass es bis jetzt nicht gelingt, die sogenannten Tanktouristen herauszurechnen aus dem österreichischen CO2-Verbrauch, weil dann wäre der österreichische CO2-Verbrauch deutlich geringer.

Karl Nehammer (ÖVP), ORF-Sommergespräch am 2.9.2024

Irreführend

Acht Tankspuren, 16 Zapfsäulen und Bodentanks in der Größe von 400.000 Liter Treibstoff: Als „die Tankstelle Europas“ im Jahr 2015 im Tiroler Wörgl eröffnet wurde, war die reine LKW-Tankstelle die drittgrößte Europas. Dass es solche LKW-Tankstellen in Österreich gibt, hat einen Grund: In kaum einem anderen Land ist Diesel so günstig wie in Österreich. Der Grund dafür liegt im Dieselprivileg: So wird die circa acht Cent große Steuerdifferenz zwischen Benzin und Diesel genannt.

Dass Diesel hierzulande günstiger ist als Benzin, freut nicht nur Autofahrer:innen mit österreichischen Kennzeichen. Auch viele Frächter und PKW aus dem Ausland nutzen österreichische Tankstellen als günstigen Zwischenstopp auf ihrer Durchreise: sogenannte „Tanktouristen“. Ebenjene wirken sich auch auf die österreichische CO2-Bilanz aus. Und das könnte teuer für Österreich werden.

ORF-Moderator Martin Thür sprach im Sommergespräch mit ÖVP-Parteichef Karl Nehammer über die Krux mit dem Dieselprivileg, an dem Nehammer festhalten will: „Das Absurde an der Situation ist ja, dass Österreich diesen ausländischen Frächtern dann den billigen Sprit zahlt, wir selbst dann aber vielleicht doppelt zahlen müssen, weil wir dann die CO2-Ziele nicht erreichen und Strafzahlungen riskieren. Das ist doch eine sehr seltsame Konstruktion?“

Bundeskanzler Nehammer stimmt dem zu und bemängelt, dass es tatsächlich absurd sei, „die sogenannten Tanktouristen nicht herauszurechnen aus dem österreichischen CO2-Verbrauch, weil dann wäre der österreichische CO2-Verbrauch deutlich geringer.“

Aber stimmt das und wenn ja, um wie viel wäre der CO2-Ausstoß geringer?

Wie viel Treibstoff in Österreich getankt und im Ausland verfahren wird, ist bekannt. Ebenso, wie viel CO2-Emissionen dadurch entstehen. Laut Umweltbundesamt waren das im Vorjahr 2,2 Millionen Tonnen CO2 und rund 950 Millionen Liter Benzin und Diesel. Das entspricht rund 11 Prozent aller Emissionen, die im Straßenverkehr verursacht werden. An den österreichischen Gesamtemissionen von 68,2 Millionen Tonnen spielen die 2,2 durch Tanktouristen entstandenen Emissionen eine vergleichsweise geringe Rolle.

Auf diese Daten bezog sich auch Nehammer im Sommergespräch, wie das Team des Bundeskanzlers auf profil-Nachfrage mitteilte. Die Emissionen aus dem Straßenverkehr wären also im Jahr 2023 um zehn Prozent niedriger gewesen, würde man den exportierten Treibstoff aus der Bilanz nehmen. Wieso aber werden diese Emissionen dann nicht aus dem heimischen CO2-Verbrauch herausgerechnet?

Das liegt daran, dass die methodische Vorgehensweise zur Berechnung der Emissionen sowie das Berichtsformat weltweit genau festgelegt sind: „Anzuwenden ist ein vom Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) ausgearbeitetes Regelwerk, das in den IPCC Guidelines dokumentiert ist. Die Emissionsberechnungen des Straßenverkehrs basieren dementsprechend in der Österreichischen Luftschadstoff-Inventur (OLI) auf der in Österreich verkauften Treibstoffmenge“, erklärt das Umweltbundesamt. 

Am Grundthema, nämlich, dass Österreich auch aufgrund des Dieselprivilegs ein beliebter Zwischenstopp zum Tanken ist, soll sich laut Nehammer nichts ändern. Stattdessen sollten, so die Argumentation des Bundeskanzlers, die „Tanktouristen“ aus der heimischen CO2-Bilanz herausgerechnet werden. Wie sich diese berechnet, hat der Weltklimarat allerdings vor fast 20 Jahren weltweit einheitlich festgelegt.

Fazit

Technisch möglich ist es jedenfalls, den in Österreich getankten, aber im Ausland verfahrenen Sprit herauszurechnen. Und tatsächlich wären Österreichs Emissionen dann im Straßenverkehr auch um circa zehn Prozent (im Jahr 2023; Anm.) geringer. Aus der Bilanz streichen und sie nicht mehr als österreichische CO2-Emissionen auszuweisen, ist aber nicht möglich, denn die Parameter dieser Berechnung sind seit 2006 weltweit einheitlich festgelegt. Ein Abweichen davon würde internationale Vergleiche verfälschen. Die Aussage von ÖVP-Parteichef Karl Nehammer ist daher irreführend.

Wir haben zum Beispiel einen enormen Polizeidruck ausgelöst und haben über 700 Schlepper festgenommen, deswegen machen jetzt die Schlepper einen Bogen um Österreich.

Karl Nehammer (ÖVP), ORF-Sommergespräch am 2.9.2024

Irreführend

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat zu Beginn des Sommers eine positive Zwischenbilanz gezogen. Asylanträge würden zurückgehen, die Zahl der an den Grenzen aufgegriffenen Menschen ebenso, außerdem wurden deutlich weniger Schlepper festgenommen. Ein Erfolg, den Karners Parteichef Karl Nehammer im Sommergespräch wiederholte: „Wir haben zum Beispiel einen enormen Polizeidruck ausgelöst und haben über 700 Schlepper festgenommen, deswegen machen jetzt die Schlepper einen Bogen um Österreich.“

2023 wurden tatsächlich mehr als 700 Schlepper festgenommen, das sind in etwa so viele Festgenommene wie 2022. Die Zahl der geschleppten Personen ging dabei stark zurück: Waren es 2022 noch mehr als 70.000 Menschen, so waren es im letzten Jahr nur noch knapp 35.000. 

Nehammer und Karner verbuchen das als ihren Erfolg. Immerhin haben sie beispielsweise mit der Operation Fox die polizeiliche Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Ungarn gestärkt oder die Grenzkontrollen zur Slowakei im Oktober des letzten Jahres verschärft.

Operation Fox

Im Rahmen der Operation Fox wird die Schlepperei durch den Einsatz von österreichischen Polizeibedienstete in Ungarn bekämpft. Die ÖVP macht vor allem den erhöhten Polizei- und Kontrolldruck für die stark gesunkenen Aufgriffe und geänderten Fluchtrouten verantwortlich.

Deshalb machen aber nicht alle Schlepper einen Bogen um Österreich: Am 19. August wurde in Völkermarkt in Kärnten ein Schlepper festgenommen. In seinem Auto befanden sich neun syrische Staatsbürger:innen, darunter drei Kinder. Am 11. August nahm die burgenländische Polizei nach einer Verfolgungsjagd im Bereich Oberpullendorf drei Schlepper fest, Mitte Juni wurde – ebenfalls nach einer Verfolgungsjagd – ein Schlepper in Klagenfurt festgenommen, der neun türkische Staatsbürger transportierte. 

Im ersten Halbjahr 2024 wurden laut Innenministerium insgesamt 117 Schlepper in Österreich festgenommen, im Vorjahr waren es in diesem Zeitraum schon 343.

Liegt das wirklich nur an der Arbeit der österreichischen Polizei?

Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger erklärt im Gespräch mit profil: „Es stimmt, dass mehr Schlepper festgenommen wurden und die Asylanträge zurückgegangen sind. Letzteres beruht aber weniger auf einer bewussten, politischen Migrationssteuerung, sondern unter anderem darauf, dass Serbien seinen Umgang mit Schleppern, wahlkampfbedingt, verändert hat. Auch gegenüber Migrant:innen wird dort sehr hart durchgegriffen. Dementsprechend gelangten weniger Personen über die Grenze nach Ungarn und von dort nach Österreich.“ Und: „Serbien hat seine Visa-Politik gegenüber Ländern wie Indien verändert. Zahlreiche Migranten sind über ein Visum nach Serbien eingereist, anschließend über die grüne Grenze bis nach Österreich gekommen und haben hier einen Asylantrag gestellt. Die fallen nun komplett weg.“

Auch Bundespolizeidirektor Michael Takács bezeichnete den Schlepper-Rückgang im Juli als „Output vieler nationaler und internationaler Maßnahmen“ und Innenminister Karner strich noch im Vorjahr internationale Zusammenarbeit als „entscheidenden Faktor der polizeilichen Ermittlungsarbeit im Kampf gegen Schlepper hervor“.

Die ÖVP hält auf Anfrage an der Argumentation Nehammers fest und macht vor allem den erhöhten Polizei- und Kontrolldruck für die stark gesunkenen Aufgriffe, etwa auch an der ungarisch-österreichischen Grenze, verantwortlich. Gleichzeitig bestätigt Nehammers Team aber, dass viele dieser Polizistinnen und Polizisten, im Ausland tätig sind und andere Länder bei ihren Maßnahmen gegen illegale Migration unterstützen: „Am Westbalkan sind derzeit rund 130 österreichische Polizisten im Einsatz, weitere 50 sind in Ungarn im Einsatz“, so die Volkspartei.

Fazit

Es ist korrekt, dass 2024 bisher eklatant weniger Schlepper in Österreich festgenommen wurden als in den beiden Jahren zuvor. Aber: Die Darstellung, dass Schlepper nur wegen Maßnahmen der österreichischen Polizei einen „Bogen um Österreich“ machen, ist eine politische Verkürzung. Viel eher ist es die Summe der nationalen und internationalen Gemengelage, die zu einer Veränderung der Fluchtrouten geführt hat. Zudem werden, wenn auch weitaus weniger, nach wie vor Schlepper in Österreich festgenommen. Die Aussage ist daher irreführend.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.