Faktencheck

NEOS-Kritik: Ist die Regierung für die hohe Inflation verantwortlich?

Die Teuerung in Österreich klettert auf Rekordhöhe – während sie im restlichen Euroraum zurückgeht. Die Erklärung der NEOS: Die Regierung sei mit ihrer Förderpolitik der „größte Inflationstreiber“. Türkis-Grün widerspricht. Ein Faktencheck.

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ÖVP und Grüne sind die größten Inflationstreiber. Sie gehen mit der Gießkanne durchs Land und schütten Steuergeld als Förderungen aus.

Beate Meinl-Reisinger

Vorsitzende NEOS, Facebook, 2. Februar 2023

Größtenteils falsch

Strompreisbremse, Klimabonus, Energiekostenzuschuss – im vorigen Jahr hat die türkis-grüne Regierung beinahe jeden Monat eine neue Finanzspritze gegen die Teuerung auf den Weg gebracht. „Wir liegen damit im EU-Spitzenfeld“, rühmt sich Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Studentin Zeynep S. kann diesem Eigenlob wenig abgewinnen. Die Zahlungen haben der Wienerin in den vergangenen Monaten zwar kurzfristig geholfen, ihren Alltag finanziell zu meistern; aber nur „einmalig“. Denn: „Die Preise gehen ja weiter nicht runter“, klagt die 25-Jährige. Jeder Einkauf im Supermarkt wird schwierig, das Gehalt vom Teilzeitjob als Kellnerin reicht gerade für das WG-Zimmer im 17. Wiener Gemeindebezirk. Und auf Freizeitaktivitäten muss die junge Frau seit Längerem verzichten: „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal im Kino oder ein Bier trinken war.“

Die Inflation hierzulande ist eklatant, im letzten Jahr erreichte sie den höchsten Wert seit 70 Jahren. Und liegt mit etwa elf Prozent im Februar deutlich über dem Schnitt in der Eurozone – um rund zweieinhalb Prozentpunkte. Und während die Teuerungsraten in Frankreich oder Spanien seit einigen Monaten - langsam, aber stetig - zurückgehen, kletterte die Inflation in Österreich im Jänner auf 11,2 Prozent und war damit noch einmal höher als im Dezember 2022 (10,2 Prozent). Für Februar geht die Statistik Austria von einer Inflationsrate von elf Prozent aus; ein endgültiger Wert steht noch aus. Angesichts dieser Entwicklungen spart die Opposition nicht mit Kritik: „ÖVP und Grüne sind die größten Inflationstreiber. Sie gehen mit der Gießkanne durchs Land und schütten Steuergeld als Förderungen aus“, moniert NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger in einem Facebook-Video im Februar. Doch: Stimmt das? Hat der Staat mit Geldregen die Nachfrage und damit die Inflation derart befeuert?

Aus einer Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF) geht hervor: Österreich gehört tatsächlich zu den Staaten mit den höchsten Hilfszahlungen. Laut IWF belaufen sich die zugesagten Hilfen für 2022 und 2023 auf vier Prozent der heimischen Wirtschaftsleistung; im EU-Schnitt summieren sich die Zusagen auf 2,4 Prozent des BIP. Unumstritten ist: Die heimischen Antiteuerungsmaßnahmen hätten zielgerichteter ausfallen können. Durch die viel zitierte „Gießkanne“ gab es Geld für alle, finanzstarke Haushalte profitierten ebenso wie finanzschwache. Bis Sommer werde Florian Tursky, ÖVP-Staatssekretär für Digitalisierung, ein Konzept zur Behebung der „Datenschnittstellenproblematik“ vorlegen, heißt es von der ÖVP. Aktuell sei nämlich unklar, wer staatliche Unterstützungen gegen die steigenden Preise benötige. Kritik kommt von der Opposition: Das Problem sei seit Pandemiebeginn bekannt.

Als „größten Inflationstreiber“ sieht man sich weder im ÖVP-geführten Finanz- noch im Wirtschaftsministerium. „Unwissenschaftlich“ nennt man die Aussage der NEOS; die inflationstreibende Wirkung der Hilfen sei geringer als vermutet. Eine Einschätzung, die Finanzexperten teilen: „Nein, die Regierung ist nicht der größte Inflationstreiber. Das sind schon die Energie- und Lebensmittelpreise, die immer noch von Vorgängen auf den Weltmärkten getrieben sind“, meint etwa Gabriel Felbermayr, Direktor des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO). Auch Christoph Badelt, Chef des Fiskalrates, analysiert: „Ich gebe den NEOS zwar insofern recht: Geld aus dem Fenster zu schmeißen ist nie gut. Die hohe Inflationsrate in Österreich geht aber nicht überwiegend auf das Konto der Regierung. Das ist nicht fair und sachlich falsch.“ Beide Experten sind sich einig: Ohne Gießkanne wäre für die Teuerungsstatistik besser gewesen; der inflationstreibende Effekt der Hilfsmaßnahmen sei jedoch „nur“ mit einem bis eineinhalb Prozentpunkten einzuschätzen. Darüber hinaus habe eine politische Lenkung der Inflationsrate eine Reihe von anderen Nachteilen: „Ein allgemeiner Benzinpreisdeckel kommt zum Beispiel auch reichen Autofahrern zugute. Und ist überdies umweltpolitisch falsch“, meint Badelt. „Das Wirtschaftswachstum - 2022 betrug es fünf Prozent - wäre außerdem spürbar kleiner ausgefallen“, ergänzt Felbermayr. Die Strategie von Türkis-Grün sei demnach, alles in allem, zu begrüßen.

Kurt Bayer, Ökonom und ehemaliger Direktor der Weltbank, geht mit den „Kuschelkurs der Regierung“ härter ins Gericht: Durch einen Eingriff in Gas- und Energiepreise hätte die Inflation teilweise abgefedert werden können – oder wäre gar nicht erst in diesem Ausmaß entstanden. Auch eine Mehrwertsteuersenkung für Lebensmittel stellt der Experte in den Raum. Um den Preis bestimmter Produkte trotz hoher Inflation dauerhaft niedrig zu halten, greifen andere Staaten viel stärker in das Preisgeschehen ein. Ein Beispiel ist der ungarische Benzinpreisdeckel. Die Maßnahme von Ministerpräsident Viktor Orbán führte jedoch zu Problemen - es fehlte an Sprit, die Versorgung von Tankstellen brach teilweise zusammen - und musste Ende des letzten Jahres abgeschafft werden; die Teuerungsrate in Ungarn liegt bei über 25 Prozent.

Spanien hingegen wird mit einer Inflationsrate von 6,1 Prozent im Februar gerne als Paradebeispiel genannt: Der Gaspreis zur Stromerzeugung wurde gedeckelt, die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom gesenkt. Bei einem Ländervergleich mahnt Sebastian Koch, Konjunktur-Experte vom Institut für Höhere Studien (IHS), allerdings zur Vorsicht. „Es muss stets die Geschwindigkeit der Preisweitergabe berücksichtigt werden.“ Spaniens Haushalte folgen etwa viel schneller Entwicklungen an Großhandelsmärkten, während Energieerzeuger in Österreich Preisgarantien von mitunter mehr als einem Jahr zusichern. Das führte dazu, dass Spaniens Inflationsrate zunächst stärker stieg als die österreichische, jetzt kehrt sich das um. Und: „Gerade in östlichen Ländern ist bzw. war die Abhängigkeit von Putins Gas viel größer als etwa auf der iberischen Halbinsel“, erklärt Koch. Auch einer Mietpreisbremse - ähnlich wie in Spanien - steht man im IHS skeptisch gegenüber: „Es fehlt der kausale Zusammenhang zwischen dieser Maßnahme und der niedrigeren Inflation“. Die heimische Regierung erklärt nüchtern: Derartige Ansätze würden die Inflationsproblematik ohnehin nur nach hinten verschieben.

Die Unterschiede in den Warenkörben eines jeden Landes beeinflussen die ermittelten Inflationsraten im Übrigen sehr stark, sagt Josef Baumgartner, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO): „Die Gastronomie- und Hotelleriedienstleistungen haben bei uns zum Beispiel ein vergleichsweise hohes Gewicht.“ In etwa dreimal so hoch wie in Deutschland, das im Februar eine Teuerungsrate von 9,3 Prozent aufwies. Laut Baumgartner hat die finanzielle Unterstützung zur Abfederung der Teuerung in Österreich jedoch auch dazu geführt, dass vor allem in der Energiewirtschaft die Gewinne stark angestiegen sind. Für die sechsthöchste Inflation im Euroraum, die Österreich aktuell aufweist, sind die breiten Förderungen der Regierung aber nicht der ausschlaggebende Grund: „Der größter Inflationstreiber ist importiert und wirkt über die Treibstoffe und die Haushaltsenergie“, sagt der Experte. Die Statistik Austria kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: „Die weiterhin hohe Teuerungsrate ist unter anderem auf Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln, Haushaltsenergie und Bewirtung zurückzuführen“, so Generaldirektor Tobias Thomas.

Auf profil-Anfrage konkretisieren die NEOS schließlich ihre Behauptung: Der Abstand zwischen Österreich und der Eurozone bei der „Kerninflation“ sei noch nie so groß gewesen wie aktuell. Hierbei werden Energie- und Lebensmittelpreise ausgeklammert, da diese in stärkerem Maße Schwankungen unterworfen sind. Auch hierfür ist die Politik der aktuellen Regierung jedenfalls mit- aber nicht allein verantwortlich, sagen Fachleute; durch das Zulassen höherer Energiepreise waren auch Überwälzungseffekte auf Waren und Dienstleistungen größer. Insgesamt stehen die Zeichen aber auf Besserung: Für das aktuelle und das kommende Jahr erwartet das WIFO eine Abschwächung der Inflation auf rund sieben bzw. dreieinhalb bis vier Prozent.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.