Faktencheck: NÖ-Wahlspezial

Niederösterreich: Mikl-Leitners Landarzt-Garantie war ein Flop

Vor der Landtagswahl 2018 versprach Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner eine „Landarzt-Garantie“. Ärzte aus Spitälern sollten in Kassen-Praxen aushelfen. Eine faktiv-Analyse zeigt: Die Zahl unbesetzter Praxen versiebenfachte sich seither.

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Die Landarztgarantie greift.

Johanna Mikl-Leitner

Landeshauptfrau Niederösterreich, ÖVP, 8. Jänner 2019

Größtenteils falsch

Eine „Katastrophe“. So nennt Bernhard Brunner, ÖVP-Bürgermeister in Aspangberg-St. Peter, die unbesetzte Kassenordination in seiner Gemeinde im südlichsten Niederösterreich. Sechs Jahre schon findet sich niemand, der dort ordinieren will – keine Praxis im Bundesland steht länger leer.

Mangelnde Initiative kann man Ortschef Brunner jedenfalls nicht vorwerfen: Die Gemeinde hat neue Ordinationsräumlichkeiten fertiggestellt, wäre bereit, einem Jungarzt 50.000 Euro für medizinische Geräte zuzuschießen und würde für eineinhalb Jahre auf die Miete verzichten.

Für Extremfälle wie Aspangberg-St. Peter war die „Landarzt-Garantie“ gedacht, ein fünf Jahre altes Versprechen von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Als sie ihre „Garantie“ im Jahr 2018 bei einer Pressekonferenz präsentierte, war sie – wie heute – gerade im Landtagswahlkampf. Die Idee: Gemeinden, deren Kassenordinationen seit über einem Jahr leerstehen, sollten vom Land durch angestellte Spitalsärzte unterstützt werden. Sie sollten dann für längstens ein Jahr den Ordinationsbetrieb führen. Soweit die Theorie. Wie wirksam war die Aktion?

Landarzt-Garantie half nicht

In Aspangberg-St. Peter hat man von der Landarzt-Garantie nichts mitbekommen: „Uns ist gesagt worden, wir haben keinen Arzt für euch“, berichtet Bürgermeister Berger über seinen Termin beim Land Niederösterreich. Die Versuche, einen Spitalsarzt für die Praxis zu motivieren, scheiterten.

Mit dem Mangel an Kassenärzten steht Niederösterreich nicht allein da. Auch wenn Österreich eine sehr hohe Ärztedichte hat, gilt unter Jungmedizinern das Jobprofil des Kassenarztes als unattraktiv – Selbstständigkeit, ein hohes Maß an Eigenverantwortung und die Arbeitsbelastung passen nicht mit dem Grundbedürfnis vieler Junger nach Work-Life-Balance zusammen. Mit Gruppenpraxen und Versprechen nach weniger Bürokratie versucht die Gesundheitskasse gegenzusteuern. Sie verhandelt die Verträge mit den niedergelassenen Ärzten und rechnet die Honorare ab.

Immer mehr leerstehende Ordinationen

Mikl-Leitners Landarzt-Garantie war nie als Dauerlösung gedacht, sie sollte als Provisorium dienen, bis längerfristige Maßnahmen greifen. Als die Landeshauptfrau ihre Garantie präsentierte, waren niederösterreichweit gerade einmal drei Kassenpraxen länger als ein Jahr unbesetzt. Fünf Jahre später stehen 20 Ordinationen seit über einem Jahr leer (siehe Grafik), Tendenz stark steigend. Die Fehlannahme des Landes war, dass dieser Trend schnell umkehrbar sein würde – und dass die Bereitschaft der Spitalsärzte höher sein würde, zwischenzeitlich aufs Land zu wechseln.

Zur Bilanz der Aktion befragt, ließ Mikl-Leitner eine profil-Anfrage unbeantwortet und verwies auf die Landesgesundheitsagentur. Dort hieß es, mit der Maßnahme habe man für fünf Gemeinden „temporär Ärzte gestellt“. Derzeit seien jedenfalls alle Landarztgarantie-Fälle beendet und es gebe auch „keine offenen Anträge“ mehr, sagt die Landesgesundheitsagentur. Die Aktion laufe aber noch.

Im Dezember 2017 waren drei Kassenarzt-Stellen länger als ein Jahr unbesetzt. Fünf Jahre später ist die Zahl auf 20 angestiegen.

Wenigen Gemeinden wurde geholfen

Laut Informationen der Ärztekammer Niederösterreich bekamen bestenfalls zwei Gemeinden zwischenzeitlich einen Spitalsarzt für ihre leerstehenden Praxen vermittelt – nämlich Gresten-Land (Bezirk Scheibbs) und Mauer bei Amstetten. Das deckt sich mit einer Auswertung von profil auf Grundlage aller Regionalzeitungsberichte und Presseaussendungen zum Thema Landarzt-Garantie. Auch in den Tätigkeitsberichten des Landes-Gesundheitsfonds scheint im Zusammenhang mit der Garantie nur die Ordination in Gresten-Land auf. 

Andere Gemeinden, die für die Garantie im Gespräch waren, machten schlechte Erfahrungen: „Es wurde über ein Jahr sehr intensiv gesucht, aber es hat sich aus den Landeskliniken kein Arzt gemeldet“, berichtet Bürgermeister Christoph Haselsteiner (ÖVP) aus St. Georgen am Ybbsfelde. Ihm gelang es in der Zwischenzeit, dass der Arzt aus der Nachbargemeinde nun tageweise in St. Georgen ordiniert. Für die Zukunft plant Haselsteiner ein Ärztezentrum, aber fix ist das noch nicht. Pikanterweise scheint St. Georgen am Ybbsfelde in der Liste jener Gemeinden auf, die laut Landesgesundheitsagentur angeblich in den Genuss der Landarzt-Garantie kamen.

Selbst in Bezirkshauptstädten wie Mistelbach fehlen Kassenärzte, trotzdem bekam die Stadt anstelle eines Spitalsarztes eine Absage: Weil das Land in der Gemeinde eine Klinik betreibt, sei die Versorgung ohnehin gesichert, hieß es in einem Schreiben an den Bürgermeister.

Der Fall Gresten-Land zeigt anschaulich eine weitere Schwäche des Konzepts: Ab April 2018 halfen in der Praxis ein Jahr lang Spitalsärzte aus. Seit April 2019 ist die Stelle nun wieder unbesetzt. Die Garantie hatte keinen nachhaltigen Effekt.

Ärztekammer: „Hat nicht funktioniert"

Die Bilanz des niederösterreichischen Ärztekammerpräsidenten Harald Schlögel zur Garantie fällt daher deutlich aus: „Es war vorhersehbar, dass das Projekt scheitern würde.“ Denn: „Die Situation im niedergelassenen Raum ist komplex und wurde leider nicht ganz richtig eingeschätzt. Wohnortfremde Ärzte für eine ,Garantie’ einzusetzen, hat nicht funktioniert.“

Im Jänner 2019 äußerte sich Mikl-Leitner das letzte Mal öffentlich zu ihrer Initiative. Im Interview mit dem ORF Niederösterreich erklärte sie: „Die Landarztgarantie greift.“ Die vielen leerstehenden Ordinationen sind der traurige Gegenbeweis. Ihr Versprechen stellte sich als größtenteils falsch heraus.

Bessere Lösung: Landarzt-Stipendium

Eine andere Idee Mikl-Leitners ist dagegen deutlich erfolgversprechender: Das Landarzt-Stipendium. Das Land unterstützt heuer erstmals 20 Medizin-Studierende mit 923 Euro monatlich. Dafür verpflichten sich die angehenden Mediziner, dass sie nach Ende der Ausbildung für mindestens fünf Jahre als Kassenärzte in Niederösterreich arbeiten. Einziges Problem der Maßnahme: Sie wirkt frühestens in sechs Jahren und eignet sich daher nicht so gut als Wahlkampfhit.

faktiv-Spezial

Dieser Text ist Teil einer Faktencheck-Serie zur Landtagswahl in Niederösterreich am 29. Jänner 2023. Dabei deckt die faktiv-Redaktion gebrochene Versprechen, Dirty Campaigning und rechtswidrige Vorschläge auf.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.