Faktencheck

ÖVP und Asyl: Plakolms irreführende Männerquote

Laut Claudia Plakolm (ÖVP) ist Österreichs Asylsystem kaputt. Ihr Beleg: Fast 99 Prozent der Asylwerber unter 18 Jahren seien männlich, so die Jugendstaatssekretärin. Warum das so nicht stimmt.

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Bei den unter 18-Jährigen ist die Situation noch deutlicher: Bei mehr als 11.400 Asylanträgen sind 98,8 Prozent Burschen. Allein an dieser Zahl erkennt man, wie kaputt das Asylsystem ist.

Claudia Plakolm

Jugendstaatssekretärin, ÖVP, 23. Dezember 2022, „Kronen Zeitung”

Irreführend

„Wir müssen die unkontrollierte Migration nachhaltig stoppen.“ So verteidigt Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) den rigiden Asyl- und Migrationskurs der Volkspartei (Stichwort: Schengen-Veto). In der „Kronen Zeitung” lässt die Politikerin aktuell mit folgenden Asylzahlen aufhorchen: „Bei den unter 18-Jährigen ist die Situation noch deutlicher: Bei mehr als 11.400 Asylanträgen sind 98,8 Prozent Burschen.” Dieser Prozentsatz belege, wie „kaputt“ Österreichs Asylsystem sei, sagt Plakolm: „Das geht sich nicht mehr aus.“

In sozialen Medien erntet die ÖVP-Politikerin Kritik: Der Verein „asylkoordination“ wirft Plakolm „künstliches, manipulative Aufblasen von Zahlenspielereien” vor. Die Caritas fordert eine Richtigstellung durch das Innenministerium (BMI), da Plakolms Daten auf dessen Oktober-Statistiken basieren.

faktiv hat sich die Zahlen genauer angesehen. Fest steht: Plakolm hat sich aus der offiziellen Statistik nur jene Daten herausgepickt, die am besten in ihre Erzählung passen.

Betrachtung aller minderjährigen Asylwerber

Die Asylstatistik des Innenministeriums vom Oktober, auf die Plakolm Bezug nimmt, zeigt: Die ÖVP-Staatssekretärin inkludiert in ihrer Rechnung nicht alle Minderjährigen, die 2022 einen Asylantrag gestellt haben. Sie greift vielmehr nur eine Gruppe heraus: nämlich die der Unbegleiteten. Das sind jene Personen unter 18 Jahren, die ohne Familie nach Österreich gekommen sind. Diese Gruppe umfasste von Jänner bis Ende Oktober 11.411 Antragsteller, davon waren 11.280 männlich. Das sind tatsächlich rund 99 Prozent, wie Plakolm sagt.

Aber: Insgesamt gab es bis Ende Oktober über 19.000 Asylanträge von Personen unter 18 Jahren – egal ob mit Familie oder unbegleitet nach Österreich gekommen. Und hier sieht das Verhältnis anders aus: Von den 19.045 minderjährigen Antragstellern waren zwar immer noch eindeutig die meisten männlich: rund 81 Prozent (15.446). Das sind jedoch um 18 Prozentpunkte weniger als Plakolm behauptet – sie geht von 99 Prozent aus.

Kritik vom UN-Flüchtlingshochkommissariat

Vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) hagelt es Kritik an der ÖVP-Betrachtungsweise: „Das ist eine verkürzte Aussage, mit der zudem die Ängste der Bevölkerung geschürt werden.“ Es gelte stets das gesamte Bild zu betrachten, worunter auch begleitete Kinder fallen.

Das Büro der Staatssekretärin kann der Beanstandung nichts abgewinnen. „Minderjährige sind unter 18-Jährige, also ist an der Aussage nichts falsch.“ Auf profil-Anfrage erklärt eine Sprecherin jedoch: „Nimmt man alle unter 18-Jährigen, sind circa 82 Prozent der Antragsteller Burschen.” Betont wird allerdings, dass ein Heranziehen unterschiedlicher Bezugswerte oder Zeiträume die „aktuellen Asylprobleme” nicht löse.

Weniger Antragsteller bleiben in Österreich

NGOs kritisieren im Übrigen, dass sich Plakolm in ihrer Behauptung zum „kaputten Asylsystem” auf die Asylantragszahlen stütze. Laut UNHCR sei das „nicht sinnvoll“, da viele Antragsteller - also auch Kinder und Jugendliche - weiterziehen. Am „aussagekräftigsten” sei viel eher die Anzahl der Menschen in Grundversorgung sowie die der Schutzzuerkennungen, so das UN-Flüchtlingshochkommissariat.

Aus der Grundversorgungsstatistik, die profil vorliegt, ist abzulesen: Ende Oktober haben in Österreich rund 2.200 unbegleitete Minderjährige (also jene Teilgruppe, die Plakolm heranzieht) Unterkunft, Verpflegung und finanzielle Hilfe bekommen. Zum Vergleich: Rund 11.400 Anträge wurden von dieser Personengruppe gestellt. Dass viele Antragsteller ohne Grundversorgung und somit unter dem Radar der Behörden leben, schließen Fachleute aus. Aus den Asylzahlen des BMI geht hervor, dass in den letzten sieben Jahren insgesamt 5.200 unbegleiteten Minderjährigen Schutz in Österreich gewährt wurde.

Fazit

Die Behauptung, 99 Prozent der Asylwerber unter 18 Jahren seien männlich, ist insgesamt als irreführend einzustufen. Hierbei handelt es sich um Angaben zu lediglich einer Teilgruppe, nämlich unbegleiteten Minderjährigen, die ohne Familie nach Österreich gekommen sind. Das stellt Plakolm so nicht klar.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.