Propaganda für Pensionisten: Wie „Die ganze Woche“ desinformiert
Wer glaubt, dass Falschinformationen ein reines Online-Phänomen sind, irrt: Manchmal kommen sie auch mit der Post, und zwar in Gestalt des Magazins „Die ganze Woche“. Jeder fünfte über 70-Jährige liest das Blatt, das wöchentlich mehr als eine halbe Million Menschen erreicht. Zu den Kolumnistinnen zählt seit dem Vorjahr auch die konservative Publizistin Gudula Walterskirchen. Die Historikerin war in der Medienszene einst wohlgelitten, schrieb Bücher über Adelsfamilien, war Redakteurin und später Kommentatorin für „Die Presse“ und stieg zur Herausgeberin der „Niederösterreichischen Nachrichten“ auf.
Dann kam Corona. Walterskirchens „Presse“-Kolumne zeigt in der Rückschau, wie sie sich immer mehr ins Thema verbiss und ins Lager der Impfgegner und Maßnahmenskeptiker driftete. Sowohl die „NÖN“ als auch „Die Presse“ trennten sich im Vorjahr von Walterskirchen. Ihre Verschwörungsmythen darf sie nun zweiwöchentlich an die Leserschaft der „Ganzen Woche“ adressieren. Bezeichnender Titel der Kolumne: „Der ganz normale Wahnsinn“. Ein Faktencheck zu ausgewählten Falschbehauptungen.
Hinter dem ,Krisensicherheitsgesetz’ steckt ein massiver Anschlag auf die Demokratie. Was eine ,Krise’ ist, legt die Regierung selbst fest: ,Die Bundesregierung ist ermächtigt (…) [Auslassung von Walterskirchen], das Vorliegen einer Krise festzustellen.
Falsch
Walterskirchen wähnt Österreich „auf dem Weg in die Regierungsdiktatur“. Der Grund: Das Krisensicherheitsgesetz. Das sieht vor, dass beim Vorliegen einer Krise Maßnahmen, wie beispielsweise eine Bevorratung durch das Bundesheer, in Kraft treten. Das Vorliegen einer Krise soll, wenn gesetzlich festgelegte Voraussetzungen erfüllt sind, mit einer Verordnung, festgestellt werden. Walterskirchen stößt sich an diesem Punkt und fühlt sich – historisch fragwürdig – an Engelbert Dollfuß erinnert, der 1933 das Parlament ausschaltete.
Walterskirchen zitiert zwar aus dem aktuellen Gesetzesentwurf, lässt aber ein wichtiges Detail aus: Die Bundesregierung kann eine Krise nämlich nur „im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrats“ feststellen, wie es im Originalentwurf heißt – diesen Teil hat Walterskirchen in ihrer Kolumne herausgekürzt. Das Innenministerium hält auf profil-Anfrage fest: „Die Informationen des Mediums können wir nicht bestätigen.“ Das Parlament habe ein Mitspracherecht. Außerdem würden die Verordnungen der nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof unterliegen.
Die Behauptung, die Regierung könne im Alleingang eine Krise ausrufen, ist jedenfalls falsch, Österreich befindet sich nicht auf dem Weg in die Regierungsdiktatur. Und: Das Gesetz selbst ist noch gar nicht in Kraft – es muss erst im Parlament beschlossen werden.
Beschlossen werden soll der [WHO-Pandemievertrag] nämlich von Beamten des Gesundheitsministeriums und Diplomaten in Genf. [...] Der Pakt soll auch nicht öffentlich diskutiert und im Parlament abgestimmt werden, sondern automatisch in Kraft treten. Künftig soll der Generaldirektor [der WHO] nach Gutdünken [...] Quarantänen anordnen.
Falsch
Der Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist – obwohl noch nicht einmal fertig ausformuliert, geschweige denn beschlossen – heißes Thema in Corona-Leugner-Kreisen.
Auch Walterskirchen warnt in ihrer Kolumne vor einer „Weltdiktatur“ und einem „Anschlag auf Demokratie und Menschenrechte“.
Die Verschwörungserzählung lautet folgendermaßen: Der WHO-Generaldirektor soll durch den Pandemievertrag unter anderem das Recht bekommen, im Alleingang eine Quarantäne anzuordnen. Und weiter: Der Vertrag solle einfach so, ohne Zustimmung des österreichischen Parlaments, in Kraft treten.
Aktuell steht noch gar nicht fest, ob der Vertrag verbindliche Regeln für die 194 WHO-Mitgliedsstaaten festlegen wird. Sollte der Vertrag Verbindlichkeit enthalten, müsste er aber jedenfalls vom österreichischen Nationalrat ratifiziert werden. Das bestätigt das Gesundheitsministerium. Außerdem hält das Ressort von Minister Johannes Rauch (Grüne) fest: „Es wird nicht diskutiert, dass der/die Generaldirektor: in ,Quarantäne anordnen kann’.“
Wo Walterskirchen diese Informationen aufgeschnappt hat, bleibt unklar.
Erst im Oktober hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschiedet. Es wurden bereits Bürger verurteilt, weil sie dem Westen eine Mitschuld am Ukraine-Krieg gegeben hatten.
Unbelegt
Der Fall klingt dramatisch: Wurden deutsche Bürger sanktioniert, die dem Westen Mitschuld für den Ukraine-Krieg gaben? Beim deutschen Justizministerium kennt man keinen derartigen Fall, wie auf Anfrage versichert wird.
Worauf Walterskirchen wohl anspielt: Im Oktober 2022 wurde in Deutschland eine Neufassung des Straftatbestandes der Volksverhetzung beschlossen. „Klargestellt werden soll, dass das das Leugnen oder Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen unter bestimmten Voraussetzungen strafbar sein kann“, heißt es aus dem deutschen Justizministerium.
Auf profil-Anfrage konnte Walterskirchen keine Belege zu den angeblichen Verurteilungen übermitteln. Sie schrieb nur kryptisch, sie „empfehle eine kurze Internet-Recherche“, und zwar „nicht nur mit Google, sondern auch mal mit einer anderen Suchmaschine“.
Und was sagt „Die Ganze Woche“ zu den Falschmeldungen ihrer Kolumnistin? Nichts. Eine profil-Anfrage blieb unbeantwortet.
In einer früheren Version des Artikels haben wir die Ausschaltung des österreichischen Parlaments fälschlicherweise ins Jahr 1934 verlegt. Wir bedauern den Irrtum.