Regierungs-Spin ohne Grundlage: Quarantäne-Aus erhöht Testbereitschaft wohl kaum
Wir haben einen schlechten Effekt erlebt damit, dass die Testbereitschaft sogar eher nachgelassen als zugenommen hat, damit eben niemand abgesondert wird. Durch diese Maßnahme (das Quarantäne-Aus, Anm.) wird das jetzt verändert.“
Unbelegt
Die Abschaffung der Quarantänepflicht mit August hat der Regierung weitreichende Kritik eingebracht – selbst vom eigenen Expertengremium Gecko, das die Maßnahme mit einer „Reihe von unkalkulierbaren Risiken“ verbunden sieht. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sowie Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) verteidigen das Ende der Isolation für Corona-Positive jedoch vehement, zuletzt beim Ministerrat Ende Juli. Allerdings mit unbelegten Behauptungen.
Die Regierung geht davon aus, dass wieder mehr Menschen bereit seien, sich auf das Coronavirus testen zu lassen. Kanzler Nehammer: „Wir haben einen schlechten Effekt erlebt damit, dass die Testbereitschaft sogar eher nachgelassen als zugenommen hat, damit eben niemand abgesondert wird. Durch diese Maßnahme (das Quarantäne-Aus, Anm.) wird das jetzt verändert.“ Auch Vizekanzler Kogler argumentierte: „Beim Testen kann man sagen, das ist auch meine Erwartungshaltung, dass jetzt die Bereitschaft sogar wieder steigen wird, weil die Konsequenzen andere sind.“
Experten widersprechen
Fachleute wie der Kommunikationswissenschafter Jakob-Moritz Eberl sehen das differenzierter: „Die Erwartung, dass es mit ‚Quarantäne-Aus‘ und ohne Anpassung der Test-Strategie zu einer vermehrten Testfrequenz in der Bevölkerung kommen sollte, ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar.“ Im Zuge des Austrian Corona Panel Project (ACPP) der Uni Wien beschäftigte sich Eberl intensiv mit der Haltung der Bevölkerung zu den Pandemiemaßnahmen. Zentrale Motivation für deren Befolgung: die sogenannte Risikowahrnehmung. „Durch das Ende der Isolationspflicht wird aber das Narrativ geschaffen, dass die Pandemie vorbei und das Virus nicht gefährlich sei. Dadurch sinkt die Risikowahrnehmung und damit die Testbereitschaft.“
Außerdem fraglich sei, so Eberl, wer sich überhaupt häufiger testen sollte. Ungeimpfte seien sowieso „Testmuffel“. Und: „Vulnerable und ihr enges Umfeld schöpfen die Testmöglichkeiten ohnehin schon aus. Für sie müsste man die Kapazitäten erhöhen.“ Zur Erinnerung: Mit Ende März wurden die kostenlosen Corona-Tests in Österreich weitgehend eingestellt, pro Monat bleiben fünf gratis PCR- und Antigentests. Seither ist auch die Anzahl der gemeldeten Tests gesunken: Im März waren es noch insgesamt rund 16,5 Millionen, im Juli nur mehr knapp drei Millionen.
Die staatliche Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) hält es für plausibel, dass mit dem Ende der Quarantäne ein die Testbereitschaft „drückender Faktor“ weggefallen sei und sich die Anzahl der Tests kurzfristig erhöhen könnte. Langfristig sehe man keine maßgebliche Erhöhung. Die Gründe: „Pandemiemüdigkeit“ und die relativ milde Omikron-Variante. Ein Blick auf internationale Beispiele zeige außerdem, so ein Sprecher, „dass die Anzahl der Testungen dem epidemiologischen Verlauf folgt und sich nicht an einer einzelnen Maßnahme orientiert“. Die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), die im Übrigen dem Gesundheitsministerium untersteht, ist sich hinsichtlich der Prognosen zu einer erhöhten Testbereitschaft durch das Ende der Isolationspflicht sicher: Es lasse sich „keine seriöse Abschätzung“ treffen.
Keine Evidenz für Behauptung
Wie die Regierung dennoch darauf kommt? Vizekanzler und Gesundheitsministerium verweisen auf den Komplexitätsforscher Peter Klimek und den Epidemiologen Gerald Gartlehner. Beide hätten die gesunkene Testbereitschaft auch mit der Sorge vor einer drohenden Quarantäne in Verbindung gebracht. Auf profil-Anfrage erklärt Gartlehner, dass durch das Quarantäne-Ende zwar für viele Menschen ein Grund wegfalle, sich nicht testen zu lassen. Aber: „In Wirklichkeit kann man darüber nur spekulieren, denn es gibt in Österreich keine Studien zum Testverhalten.“ Auch Klimek stellt klar, dass nur Mutmaßungen angestellt werden könnten: „Ich kenne keine Evidenz, die besagt, dass das Quarantäne-Aus zu mehr oder weniger Tests führen wird.“
Fazit
Insgesamt ist die Aussage - das Ende der Isolationspflicht erhöhe die Testbereitschaft - daher als unbelegt einzustufen.