Stadt Wien gab 57 Prozent mehr für Werbung aus als angekündigt
Spätestens seit der Beinschab-Affäre weiß Österreich, dass Anzeigengeld nicht nur dazu dient, die Öffentlichkeit zu informieren. Der Generalverdacht lautet: gekaufte Berichterstattung. Vor allem regierende Parteien pumpen Millionen Euro in Öffentlichkeitsarbeit. Welche Medien von den Annoncen profitieren, entscheiden Kabinette nach Gutdünken. Umgekehrt werden manchen Verlegern aus dem Boulevard erpresserische Methoden gegenüber Politikern nachgesagt: Wer nicht inseriert, wird runtergeschrieben.
Die Stadt Wien zählt zu den größten Anzeigenkunden im Land, sie gibt mehr für TV-Spots, Facebook-Werbung und Printinserate aus, als alle anderen Bundesländer zusammen – und steht deshalb unter besonderer Beobachtung. Der frühere Bundeskanzler Christian Kern bezeichnete die Abermillionen an Werbegeldern, die an Boulevardzeitungen fließen und flossen, einmal als „Erbsünde der SPÖ“.
Mit der rot-pinken Stadtregierung sollte vieles anders werden. Versprochen wurden: Einsparungen beim Werbebudget und transparente Kriterien zur Inseratenvergabe. Werbebuchungen sollten sich auch an journalistischer Qualität orientieren. Passiert ist bisher: nichts davon. Drei Behauptungen von Rot-Pink stellen sich als – größtenteils – falsch heraus.
Versprechen 1: Weniger Werbung
Das eingesetzte Werbebudget des Rechtsträgers Stadt Wien (…) im Jahr 2021: rund 20,3 Millionen Euro.
Falsch
Eigentlich wollte die rot-pinke Wiener Stadtregierung sparen. Das Werbebudget der Stadt Wien sollte sich im Jahr 2021 um 3,9 Millionen Euro verringern – auf 20,3 Millionen Euro.
Das erklärte SPÖ-Finanzstadtrat Peter Hanke dem Wiener Gemeinderat Ende 2021 in Reaktion auf einen Antrag der FPÖ – die eine Halbierung der Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit forderte. Hanke schmetterte das Ansinnen der Freiheitlichen mit dem Hinweis darauf ab, dass die Stadt ihr Werbebudget ohnehin reduziere.
Aus der Ankündigung des Stadtrats wurde allerdings nichts. Tatsächlich gab die Stadt im Jahr 2021 knapp 32 Millionen Euro für Werbung und Kommunikationsmaßnahmen aus, das geht aus dem erstmals veröffentlichten Transparenzbericht zur Stadtkommunikation hervor. profil und Ö1-doublecheck verglichen die Zahl mit dem Budgetvoranschlag. Ergebnis: Die Stadt gab fast zwölf Millionen Euro mehr aus als versprochen – eine Kostensteigerung von 56,6 Prozent.
In den 32 Millionen-Euro-Ausgaben sind alle Inserate, TV-Spots und Facebook-Schaltungen enthalten. Sie machen insgesamt etwa 24,2 Millionen Euro aus – und damit genau so viel wie im Vorjahr. Die restlichen acht Millionen Euro entfallen auf Agenturkosten, Plakatwerbung und die Produktion von Werbemitteln wie Flyern.
Wie konnte die Stadt Wien das Budget derart sprengen? Jedes Inserat, jedes Plakat, jede Facebook-Anzeige wird vom Presse- und Informationsdienst (PID) der Stadt Wien abgewickelt. Der PID ist so etwas wie die Inhouse-Werbeagentur der Stadt, dem dafür ein Jahresbudget zur Verfügung steht – die erwähnten 20,3 Millionen Euro.
Die zusätzlichen Kosten von zwölf Millionen Euro wurden nicht vom PID getragen – sondern von anderen Abteilungen wie dem Gesundheitsdienst der Stadt. PID-Chef Martin Schipany: „Die Diskrepanz des Werbebudgets des Presse- und Informationsdienstes und der Summe im Transparenzbericht von 31,8 Millionen Euro ergibt sich aus Themen, die zusätzlich auf Projektbasis dazu gekommen sind. Das betrifft beispielsweise ‚Alles gurgelt!‘ oder die Corona-Massentests. Das sind Summen, die dem jeweiligen Projektbudget des Wiener Gesundheitsdienstes zugeordnet wurden, nicht dem PID.“ Die Coronapandemie alleine ist übrigens keine Ausrede für die Kostenexplosion: Fünf der zwölf Millionen Euro an Mehrkosten entfielen auf Magistratsabteilungen wie Wiener Wohnen, die Stadtgärten oder die MA48. Auffällig ist: Alle Werbekosten, die über das ursprüngliche Werbebudget hinausgingen, wurden von Magistratsabteilungen getragen, die SPÖ-Stadträten unterstellt sind.
Was wurde aus der früheren Forderung der Neos, das Werbebudget zu halbieren? Vizebürgermeister Wiederkehr zu profil und Ö1-doublecheck: „Es ist uns beim Doppelbudget für 2022 und 2023 gelungen, das Inseratenvolumen für das kommende Jahr unter die 20 Millionen Euro zu bringen, das ist eine Einsparung von 800.000 Euro. Das ist das, was bisher möglich war mit dem Koalitionspartner.“
Wiederkehr kann allerdings nicht verhindern, dass die SPÖ-Stadträte zusätzliche Werbung aus ihren eigenen Budgets finanzieren. Und damit das Inseratenvolumen der Stadt konstant halten. Es wirkt fast so, als wären die Neos ausgetrickst worden.
Versprechen 2: Qualitätskriterien
Bei Medienkooperationen und Inseraten legt die neue Stadtregierung fest, dass sie bevorzugt mit jenen Medien zusammenarbeiten wird, bei denen journalistische Sorgfalt, Innovation sowie Aus- und Weiterbildung der Journalist_innen einen hohen Stellenwert haben.
Die Kriterien sollen im neuen Jahresbericht 2021 drinstehen.
Falsch
Die Wiener Terrornacht im November 2020 löste eine heftige Debatte über die Verantwortung von Medien aus. Ein islamistischer Attentäter hatte vier Menschen in der Innenstadt erschossen, Medien wie die „Kronen Zeitung“ und „oe24“ veröffentlichten Videos und Bilder von der Szene.
Der Presserat sah darin die Persönlichkeitsrechte und die Intimsphäre der Opfer verletzt und stellte einen Verstoß gegen den Ehrenkodex fest. Geht es nach den Plänen der Wiener Neos, sollen medienethische Grenzüberschreitungen wie jene der Terrornacht künftig sanktioniert werden. Zum Beispiel durch die Kürzung von Anzeigenschaltungen.
Nachvollziehbare Kriterien zur Vergabe von Werbegeld würden auch das intransparente Feilschen zwischen Politik und Medien unterbinden. Solche Kriterien wurden oft gefordert, aber nie umgesetzt. Das liegt daran, dass es gar nicht so einfach ist, Qualität im Journalismus zu definieren, wie Neos-Vizebürgermeister Wiederkehr zugibt: „Ich möchte nicht, dass Politiker urteilen, welches Medium qualitativ ist oder nicht. Wenn die Politik das selber entscheiden kann, kann es sehr schnell zu Willkür oder auch Zensur von Medien kommen, die einem nicht genehm sind.“
Wo stehen die Verhandlungen zu den Kriterien, die im rot-pinken Koalitionsvertrag versprochen werden? Die Arbeitsgruppe hat Verspätung, aus der ursprünglichen Ankündigung, die Kriterien mit dem Transparenzbericht für 2021 zu veröffentlichen, wurde nichts. Laut profil-Informationen wurden die heikelsten Punkte noch gar nicht diskutiert. Darunter die Frage, was bei einem medienethischen Verstoß passiert. Welches Gremium soll entscheiden, ob sanktioniert wird? Wie lange wird sanktioniert?
Es ist aus heutiger Sicht fraglich, ob diese Qualitätskriterien jemals beschlossen werden. Auch weil die SPÖ wenig Freude damit hat.
Versprechen 3: Transparenz
Ab Anfang 2019 soll ein 'neues transparentes Konzept für die Informationspolitik der Stadt Wien' in Kraft treten.
Größtenteils falsch
Transparente Informationspolitik? Da war doch was! Lange bevor die Neos den Sprung in die Rathauskoalition schafften, hatte SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig bereits eine nachvollziehbare Inseratenpolitik versprochen. Es wurden zwar wirklich neue Kriterien eingeführt – nachvollziehbar sind sie aber nicht.
PID-Chef Schipany erklärt, wie die Kampagnenplanung der Stadt Wien läuft: „Jede Zielgruppe hat unterschiedliche Mediennutzungsgewohnheiten. Gleichzeitig kann sich ein und dieselbe Zielgruppe zu zwei unterschiedlichen Themen in unterschiedlichen Medien informieren.“ Das Mediennutzungsverhalten der Wiener lässt die Stadt seit zwei Jahren über eine Studie erforschen. Dadurch weiß das Rathaus, welche Medien die Wiener konsumieren – und orientiert ihre Werbeschaltungen daran. Soweit die Theorie. Für Außenstehende ist das aber nicht nachvollziehbar. Ein Beispiel: Laut der Mediendiskursstudie, auf die sich die Inseratenbuchungen der Stadt angeblich stützen, lesen inzwischen mehr Wiener die Zeitung „Der Standard“ als „Österreich/oe24“ – sowohl gedruckt als auch online. Trotzdem erhielt „Österreich“ mehr Inserate von der Stadt. Anderes Beispiel: Für eine Kampagne über Fake News wollte die Stadt Wien „speziell die junge, soziale Medien-affine Zielgruppe sowie ältere Personen“ erreichen. Allerdings wurde nur ein Prozent des Anzeigenbudgets dieser Kampagne in soziale Medien investiert.
Schipany vom PID: „Das ist keine Einheits-Schablone, die wir da anwenden. Das lässt sich im Nachhinein auch schwer nachrechnen, wenn man nicht die Zielgruppenbriefings kennt.“
Das Versprechen der Nachvollziehbarkeit kann man also kaum als erfüllt ansehen.
Der Wiener Medienwissenschafter Andy Kaltenbrunner kennt das Dilemma der Politik: „Es wäre tatsächlich fatal für Österreichs Verlage, wenn die Inseratenbuchungen von der gesellschaftlichen Nutzungsrealität ausgehen. Was derzeit an Campaigning stattfindet, hat immer weniger mit der Kommunikationsrealität zu tun. Drei Viertel der Werbebudgets gehen in Tageszeitungen. Ist das noch logisch, wenn 50 Prozent gar keine Zeitung mehr lesen? Würden die Regierungen diese Summen abziehen und in Richtung von Digitalkonzernen verschieben, würden alle schreien: ‚Ihr bringt den Medienstandort Österreich um.‘“
Das ist für Kaltenbrunner aber keine Ausrede für Intransparenz: „Wenn ich als Regierung den Medienstandort Österreich unterstützen will, dann ist das ja legitim. Ich kann den Gedanken nur nirgends nachvollziehen, weil ihn niemand öffentlich ausspricht und Medienpolitik in Österreich so intransparent läuft.“ Aus Sicht des Medienwissenschafters sollte die Politik stärker zwischen legitimem Informationsbedürfnis und der Förderung von qualitativem Journalismus unterscheiden. „Die Förderung von Medien sollte nicht über Inserate, sondern mittels klarer Kriterien erfolgen.“
Ein frommer Wunsch.