Wahlbetrug mit Briefwahlkarten: Was steckt hinter den Vorwürfen?

In alternativen Rechtsaußen-Medien wie „AUF1“ und „Report24“ wird seit Monaten behauptet, dass mit Briefwahlkarten Wahlbetrug stattfindet – auch bei der jüngsten Nationalratswahl stellten die beiden Medien Unregelmäßigkeiten in den Raum. Was steckt hinter den Vorwürfen?

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Viele (Anm.: Wahlkarten) sind auch am Postweg verloren gegangen, haben wir in den letzten Tagen festgestellt.

Florian Machl, Chefredakteur bei Report24.news

im TV-Sender AUF1 am 29.9.2024

Unbelegt

Geht es nach Florian Machl, dem Chefredakteur des verschwörungstheoretischen Onlinemediums „Report24“, dann wohnen Briefwahlkarten ein „Zaubertrick“ inne. Nämlich jener, Wahlergebnisse mit Briefwahlstimmen zugunsten der „Altparteien“ zu drehen. Am vergangenen Sonntagnachmittag, zum Zeitpunkt der dritten Hochrechnung der Nationalratswahlergebnisse, räumte Machl als Studiogast beim Online-Sender „AUF1“ dem Zaubertrick aber keine guten Chancen mehr ein. „Drei Prozent zwischen ÖVP und FPÖ auszutauschen, das wird sich aber nicht mehr ausgehen“, so der „Report24.news“-Chef. In der Sendung bemängelte Machl, dass nicht überprüfbar sei, wer Briefwahlkarten ausfüllt und sie dann abgibt. Und: „Viele sind auch am Postweg verloren gegangen. Das haben wir in den letzten Tagen festgestellt.“

Was meint Machl mit „Zaubertrick“? Und sind Briefwahlkarten wirklich am Postweg verloren gegangen?

Die Kritik ist nicht neu. Und sie reiht sich in eine Fülle an Aussagen, in denen Machl Unregelmäßigkeiten mit Briefwahlstimmen in den Raum stellt und potenziellen Wahlbetrug dabei nicht ausschließt. Machl beschätigte sich bereits nach der EU-Wahl im Juni dieses Jahres ausführlich mit dem „Zaubertrick“, auf der Website seines Portals findet sich eine Vielzahl an Beiträgen, die den Verdacht des Wahlbetrugs mit Briefwahlkarten nähren. Dazu sät Machl Zweifel an der korrekten Auszählung der Briefwahlkarten: „Stimmen, die so auf nicht überprüfbare Weise zustande gekommen sind, werden dann – so befürchten viele – im stillen Kämmerchen ausgezählt und dort – oder am Weg dorthin – könnte viel passieren.“

„Die Kritik an der Briefwahl zielt meist nicht auf eine echte Diskussion über das Wahlsystem ab, sondern darauf, gezielt Misstrauen in die demokratischen Institutionen und Wahlen zu schüren.“

Jakob-Moritz Eberl, Wahlforscher an der Universität Wien

Mitte Juni verkündete Machl auf Sendung dann, ein großes Rätsel der Statistik gelöst zu haben: „Quer durch Österreich, von der Metropole bis zum hintersten Dorf, verhalten sich Briefwähler auffällig außerhalb jeder statistischen Erklärbarkeit. Dies geht massiv zulasten der FPÖ, diesmal etwas zulasten der ÖVP – und die großen Gewinner sind Grüne und NEOS.“ 

Diese Unterschiede, die unter Wahlforscher:innen und Politikwissenschafter:innen hierzulande seit jeher bekannt sind, kann sich Machl mathematisch nicht erklären, denn, so argumentiert er: Je größer so eine Menge, desto unwahrscheinlicher sei es, dass sich ihr Verhalten von der Grundgesamtheit unterscheidet. „Auf Basis der vorliegenden Zahlen wäre in Einzelfällen ein Konfidenzintervall von plus/minus 4,5 Prozent Abweichung im Wählerverhalten akzeptabel. Beobachtet wurden aber Abweichungen von 50 bis 150 Prozent und fallweise sogar noch mehr.“

Machl sieht die Briefwahl also als Stichprobe für die Wahl an der Urne – das ist seine Grundgesamtheit. Dieser Rechenweg würde aber nur dann funktionieren, wenn alle Personen, die in Österreich wählen, über dieselben Voraussetzungen verfügen und die gleich hohe Wahrscheinlichkeit haben, per Brief zu wählen. In der Wahlforschung ist aber hinlänglich bekannt, dass Alter, Wohnort, Beruf, Bildungshintergrund, Hobbys am Wochenende und zahlreiche weitere Merkmale maßgeblich mitentscheidend dafür sind, ob Personen vor Ort im Wahllokal oder per Briefwahl wählen.

„Zaubertrick“ beim Auszählen?

Zurück zu ebenjener Hochrechnung vom Wahlsonntag: Ein „Zaubertrick“, bei dem fast drei Prozent der Stimmen „ausgetauscht“ wurden, hat nicht stattgefunden. Viel mehr hat sich vom Zeitpunkt der dritten Hochrechnung, auf den sich Machl in der Sendung bezieht und zu diesem die FPÖ bei 29 Prozent und die ÖVP bei 26,2 Prozent gelegen ist, nicht mehr viel verändert. Zwar brachten die restlichen Wahlkarten am Montag und Donnerstag geringfügige Mandatsverschiebungen. Wesentliche Veränderungen brachte das endgültige Ergebnis mit 28,85 Prozent der Stimmen für die FPÖ und 26,27 Prozent für die ÖVP seit Sonntagnacht aber nicht mit sich.

Wieso lässt sich dieses Wahlergebnis aber so genau vorhersagen? „Die Briefwahl-Verschiebungen sind absolut schlüssig aus Sozialstruktur und Vorlieben der Wähler der einzelnen Parteien zu erklären und vorherzusagen“, sagt Christoph Hofinger, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstitutes „Foresight“ und verantwortlich für die Hochrechnung für APA und ORF am vergangenen Sonntag. Briefwahleffekte seien laut Hofinger heute deutlich geringer als in der Periode von 2008 bis 2022. Der Grund dafür liegt in der Wahlrechtsänderung im Vorjahr, die dafür sorgte, dass der Großteil der Briefwahlkarten noch am Wahltag ausgezählt wird.

Wahlen anzweifeln hat System

Dass die Briefwahl vor allem für Verschwörungsmythen herhalten muss, beobachtet auch der Wahlforscher Jakob-Moritz Eberl von der Universität Wien: „Die Kritik an der Briefwahl zielt meist nicht auf eine echte Diskussion über das Wahlsystem ab, sondern darauf, gezielt Misstrauen in die demokratischen Institutionen und Wahlen zu schüren“, sagt Eberl. Das Ziel: Bei Wahlen, bei denen eine Niederlage befürchtet wird, „werden solche Vorwürfe gestreut, um später den Mythos einer ,gestohlenen Wahl‘ zu verbreiten – siehe Trump in den USA. Dieser Mythos dient dazu, Wahlergebnisse in Frage zu stellen und lässt sich leicht mit populistischen Narrativen verknüpfen“. Im Ergebnis dieser Erzählung geht es laut dem Experten um eine „bewusste Schwächung des Vertrauens in das Fundament der Demokratie – nämlich freie und faire Wahlen“.

Und diese sehen die Rechtsaußenmedien „AUF1“ und „Report24“ in Österreich bereits heute nicht gänzlich gegeben. „Demokratische Wahlen, zu denen wir uns bekennen – ich zumindest – leben von folgenden Prinzipien: eigenhändig, unbeobachtet und unbeeinflusst“, all das sei bei der Briefwahl nicht gegeben, schreibt Machl an profil.

Eine berechtigte Kritik, wie Eberl meint, aber: „Der Gesetzgeber hat sich für eine Abwägung zwischen praktischer Zugänglichkeit und der Sicherstellung von Geheimhaltung und Freiheit der Wahl entschieden. Beweise für eine systematische Manipulation der Briefwahl gibt es keine“, sagt Eberl.

Sind Briefwahlkarten verloren gegangen?

Rund 1,4 Millionen Briefwahlkarten wurden für die Nationalratswahl ausgestellt. Meldungen darüber, dass diese nicht oder nicht richtig zugestellt wurden, gab es auch bei dieser Wahl wieder. „Sehr oft liegt dem ein ,user error‘, also ein individueller Fehler zugrunde“, sagt Eberl. Denn: „Die Briefwahl gibt den Wählenden sehr viel Eigenverantwortung. Man muss sie sich selbst bestellen, man muss selbst schauen, dass man sie dann auch wirklich abholt, dass man sie rechtzeitig abgibt und falls es bei all diesen Abläufen zu Problemen kommt, auch bald genug nach einer Lösung suchen“, so der Experte und langjährige Wahlbeisitzer.

Aber wie sieht es nun österreichweit aus? Sind Wahlkarten nach Beantragung am Postweg und/oder am Weg retour in das jeweilige Wahllokal verloren gegangen?

Nachgefragt beim Innenministerium (BMI), das hierzulande für die Abwicklung von Wahlen zuständig ist: „Nach den dem BMI vorliegenden Informationen ist es rund um die Ausstellung, den Versand und die Rückübermittlung von Wahlkarten bzw. die Ausübung der Briefwahl zu keiner nennenswerten Häufung von Beschwerden gekommen. Angesichts der hohen Anzahl ausgestellter Wahlkarten (mehr als 1,4 Millionen) handelte es sich nach der Wahrnehmung des Innenressorts insgesamt um Einzelfälle, denen allerdings bei einer Befassung des BMI stets nachgegangen wurde“, schreibt das Innenministerium.

profil hat bei Florian Machl nachgefragt, auf welche Wahlkarten er sich in der Sendung bezogen hat. Ging es um jene vom Magistrat zu den Wähler:innen oder um jene, die bereits angekreuzt in den Postkasten geworfen wurden und am Weg Richtung auszählende Stelle waren? Der Chef von „Report24“ ging darauf nicht ein. „Es lassen sich aber sicher einige davon finden, auf Sozialen Medien jammern ja einige“, schreibt Machl.

Fazit

Laut Innenministerium gibt es keine nennenswerte Häufung von Beschwerden über verlorene Wahlkarten, weshalb die Behauptung von „Report24“-Chefredakteur Florian Machl unbelegt bleibt. Vielmehr reiht sich diese Behauptung in Wortmeldungen ein, dass Ergebnisse per Briefwahl manipuliert werden können. Aussagen wie jene von Machl zielen laut Wissenschaftlern vor allem darauf ab, Misstrauen in demokratische Prozesse zu schüren. Gleichzeitig wird dadurch versucht, den Mythos der „manipulierten Briefwahlen“ aufrecht zu erhalten und weiter Misstrauen in demokratische Institutionen zu sähen.

Julian Kern

Julian Kern

ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.