Warum der WHO-Pandemievertrag keine Gefahr für Menschenrechte und Hühner ist

Der WHO-Pandemievertrag dient als Schwurbler-Allzweckwaffe: Rund um die Bauernproteste werden erneut Falschmeldungen verbreitet, wonach die WHO in Lebensmittelproduktion und Viehbestand eingreifen will.

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Pandemievertrag gibt WHO Kontrolle über Viehbestand und Lebensmittelversorgung.

tkp.at

Falsch

Mit Hühnern und Puten soll die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ihre angebliche globale Machtübernahme starten – zumindest laut einem Beitrag auf der Plattform tkp.at, einem selbsternannten „Blog für Science und Politik“. Darin heißt es wörtlich: „In dem 32-seitigen Entwurf des Abkommens wird der WHO die Befugnis gegeben, die Kontrolle über die Landwirtschaft und unsere Lebensmittelversorgung zu übernehmen.“ Anfangen soll das mit dem Geflügel. Der Artikel wurde in zahlreichen Whatsapp- und Facebook-Gruppen geteilt. profil kann an dieser Stelle entwarnen: Die österreichischen Hühner sind nicht in Gefahr. Die Demokratie auch nicht.

Aber von vorne. Der „WHO-Pandemievertrag“ ist ein internationales Übereinkommen zur Pandemieprävention und -vorsorge, das derzeit von einem „Intergovernmental Negotiating Body“ (kurz: INB) verhandelt wird. Das vorgegebene Ziel ist, dass die Staaten aus der Coronapandemie lernen und sich bei künftigen Seuchen besser abstimmen - Stichwort: Verteilung der Impfstoffe. Alle 194 Mitgliedsstaaten der WHO sind Teil des INB, für Österreich verhandelt eine Delegation aus Vertreter:innen des Außenministeriums, des Gesundheitsministeriums und der Ständigen Vertretung Österreichs bei den Vereinten Nationen. Rund um das Übereinkommen und um Entwürfe des Vertrags ranken sich eine Vielzahl an Verschwörungsmythen und Fake News, deren Großteil bereits widerlegt wurde, unter anderem vom APA-Faktencheck und der Rechercheplattform Correctiv (verlinken).

Das Gros der Falschmeldungen lautet: Mit dem Übereinkommen würden der WHO Befugnisse einer „Weltregierung“ oder einer „Diktatur“ eingeräumt, sie würde sich zudem über die Verfassungen der Mitgliedsstaaten stellen und Menschenrechte außer Kraft setzen – so steht es auch im Artikel auf tkp.at.

Mit den neuen Versionen des Pandemievertrags und den Internationalen Gesundheitsvorschriften werden der WHO praktisch die Befugnisse eine Weltregierung in immer mehr Bereichen eingeräumt. Sie ist ungewählt und setzt alle Schutzmechanismen wie Grund- und Menschenrechte außer Kraft.

tkp.at

Falsch

Walter Obwexer, Professor für Europa- und Völkerrecht und Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Innsbruck bekräftigt auf profil-Anfrage: „Der Pandemievertrag ist als völkerrechtlicher Vertrag der 194 WHO-Staaten ausgestaltet. Dieser Vertrag wird nur jene Staaten binden, die – nach Befassung des jeweiligen Parlaments – ihre Zustimmung dazu gegeben haben. Mit dem Pandemievertrag wird der WHO nicht die Kompetenz übertragen, für die Staaten verbindliche Beschlüsse zu fassen. Vielmehr wird die Souveränität der Staaten bei der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion betont. Dem folgend kann die WHO auch keine Grund- und Menschenrechte außer Kraft setzten. Die Bürgerinnen und Bürger in den EU-Mitgliedstaaten können darauf vertrauen, dass ihre Grundrechte durch den geplanten Pandemievertrag nicht ausgehebelt werden.“

Das Gesundheitsministerium betont zudem auf profil-Anfrage, dass der aktuelle Textvorschlag des Pandemievertrags ausdrücklich besage, dass die Umsetzung nur unter voller Achtung der Würde, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten des Menschen zu erfolgen hat: „Die explizite Nennung von Menschenrechten im Textentwurf wird von Österreich klar unterstützt und entspricht der Position der Europäischen Union. Der vorliegende Text untermauert die Souveränität der Staaten explizit als allgemeines Prinzip.“

Die WHO lässt uns bereits wissen, dass sie mit Geflügel beginnen wird. Damit können entweder die Herden kontrolliert, überwacht und geimpft werden, oder sie werden getötet, damit sich die Viren, die sie nicht haben, nicht auf Menschen übertragen (oder die Umwelt schädigen).

tkp.at

Unbelegt

Ganz konkret soll die WHO – laut tkp.at – ihre vermeintliche Machtübernahme „mit dem Geflügel beginnen.“ „Diese Behauptung hat einen richtigen Kern, leitet daraus aber falsche Schlussfolgerungen ab“, ordnet Obwexer ein. „Es könnte zutreffen, dass nach Inkrafttreten des Pandemievertrages ein WHO-Staat, in dem eine Geflügelkrankeit ausgebrochen ist, die eine Pandemie auslösen könnte, gehalten ist, Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. Die WHO kann entsprechende Maßnahmen aber nicht anordnen oder gar selbst durchführen, sondern den Staat lediglich auffordern, Maßnahmen zu setzen. Dem Staat obliegt es dann, zu entscheiden, welche Maßnahmen wann gesetzt werden“, so der Jurist.

Zum einen ist also noch nicht klar, welche Präventionsmaßnahmen bezüglich Geflügelkrankheiten überhaupt im Vertrag stehen werden, zum anderen kann die WHO einen Staat lediglich dazu auffordern, Maßnahmen zu setzen, und sie nicht selbst durchführen. Diese Behauptung ist somit unbelegt.

Hier sehen wir, wer [Anm.: Die WHO] die „Autorität“ über Lebensmittel und Landwirtschaft haben wird. Es [ist] nicht das Landwirtschaftsministerium der vormals unabhängigen Staaten, die gewählten […] Abgeordneten und Parlamente oder Landwirte.

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Falsch

Auch wenn tkp.at davor warnt, weiß man im Landwirtschaftsministerium noch nichts davon, dass eine angebliche Entmachtung durch die WHO bevorsteht. „Nach Durchsicht durch unsere betroffenen Fachabteilungen, kann keine dieser Behauptungen betreffend der Landwirtschaft bestätigt werden“, heißt es aus dem Büro von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP).  

Auch Obwexer befindet: „Diese Behauptung ist falsch. Die WHO kann nämlich keine Entscheidungen treffen, die in den einzelnen WHO-Staaten direkt anzuwenden sind. Entscheidungen über Lebensmittel obliegen daher nach wie vor den Staaten.“

profil hat tkp.at nach Belegen für die aufgestellten Behauptungen gefragt – bis Redaktionsschluss kam jedoch keine Antwort.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

war bis Oktober 2024 stv. Online-Ressortleitung und Teil des faktiv-Teams.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.