Wegscheider gegen die Wissenschaft: Neue Corona-Fake-News auf ServusTV
Mangelnde Beharrlichkeit kann man Ferdinand Wegscheider wohl kaum vorwerfen. Seine tendenziöse Berichterstattung zum Coronavirus, die immer wieder Verschwörungstheorien und Falschinformationen enthält, hat dem Intendant des Fernsehsenders ServusTV bereits eine Beschwerde bei der Medienbehörde KommAustria eingebracht – Ausgang offen. Erst vor wenigen Wochen liefen Wegscheider prominente Mitarbeiter von Servus-Talkshows davon, dem Vernehmen nach, weil sie die Corona-skeptische Linie des Senders nicht mehr mittragen wollten. Doch Wegscheider macht einfach weiter, als wäre nichts gewesen.
Mit Falschinformationen macht der Medienmann in seinem wöchentlichen Fernsehkommentar („Der Wegscheider“) nun auch gegen die Impfpflicht mobil und greift damit auf beliebte Verschwörungsmythen zurück, die unter Impfgegnern verbreitet sind. faktiv prüft in diesem Faktencheck drei Behauptungen Wegscheiders. Stehen die Menschenrechte und der Nürnberger Kodex, der als Reaktion auf die grauenhaften medizinischen Experimente der Nationalsozialisten geschaffen wurde, der Impfpflicht wirklich entgegen, wie der Servus-Intendant behauptet? Ist die Impfkampagne der Bundesregierung ein Verstoß gegen das Werbeverbot von rezeptpflichtigen Arzneimitteln? Und schließlich: Haben Genesene einen besseren Schutz gegen Corona als Geimpfte? Soviel sei bereits verraten: Fachleuten fallen zu einigen von Wegscheiders Behauptungen nur mehr solche Wörter ein: „Polemik“ und „blanker Unsinn“.
Nein, das Impfpflichtgesetz tritt die Rechtsordnung nicht mit Füßen
Nur weil dieses Gesetz die Menschenrechte, den Nürnberger Kodex, die österreichische Verfassung ignoriert und mit Füßen tritt, nur weil dieses Gesetz von einer breiten Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wird, und nur weil zuletzt auch Experten aller Disziplinen dringend davon abgeraten haben (…) nur deshalb hätten die verantwortungsvollen Politiker von Türkis, Grün, Rot und Pink sich davon abhalten lassen sollen, ihre Agenda zu erfüllen?
Falsch
„Die Behauptung ist in dieser Form nicht berechtigt, das ist Polemik.“ Bernd-Christian Funk, Verfassungsexperte und ehemaliger Professor für öffentliches Recht, widerspricht Wegscheider vehement. Schließlich sei im Parlament und auf Regierungsebene „mit Akribie“ versucht worden, allen verfassungsrechtlichen Bedenken in puncto Impfpflichtgesetz Rechnung zu tragen sowie alle menschenrechtlichen Vorgaben einzuhalten. Das bedeute freilich nicht, so der Experte, dass es zu einzelnen verfassungsrechtlichen Aspekten keine Kritik geben dürfe. Aber Ignoranz und mit Füßen treten? „Das Gegenteil ist der Fall“, so Funks Einschätzung. Verfassungsjurist Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck teilt diese Ansicht: „Selbstverständlich kann man die Impfpflicht auch in juristischer Hinsicht unterschiedlich bewerten und es ist auch unstrittig, dass sie allgemein wie auch in der konkreten Ausformulierung verfassungsrechtlich heikle Fragen aufwirft.“ Die klar überwiegende Meinung der Verfassungsexpertinnen und -experten tendiere jedoch dazu, „dass eine Impfpflicht unter den gegebenen Umständen grundsätzlich verfassungskonform ist“.
Fachleute: „Impfpflicht verhältnismäßig“
Auch Menschenrechtsexperte Manfred Nowak findet drastische Worte für Wegscheiders Behauptung: „Nur mehr polemisch“ und „kein ernsthafter Beitrag zu einer sehr wichtigen und schwierigen medizinischen, rechtlichen und ethischen Debatte“. In das Recht auf Privatheit, das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art 8) und der österreichischen Verfassung normiert ist, werde mit dem Gesetz zwar eingegriffen, erklärt der Fachmann gegenüber profil. Dies ist jedoch aus gewissen Gründen, wie etwa der öffentlichen Gesundheit, erlaubt. Ein Eingriff müsse dabei immer notwendig sein und „das gelindeste Mittel“ darstellen. Nowak: „Meines Erachtens ist bereits sehr viel versucht worden, so dass ich eine Impfpflicht in der derzeitigen Situation für durchaus verhältnismäßig halte.“ Letztlich obliegt die endgültige Prüfung der Frage der Verfassungsmäßigkeit natürlich dem Verfassungsgerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Fest steht, dass es bereits höchstgerichtliche Entscheidungen gibt, welche eine Impfpflicht als grundrechtskonform beurteilt haben (etwa erst 2021 zur Impfpflicht gegen Kinderkrankheiten in Tschechien).
Kein Verstoß gegen Nürnberger Kodex
Als besonders problematisch sehen Fachleute das Heranziehen des Nürnberger Kodex im Zusammenhang mit der Corona-Schutzimpfung. Ein Verstoß dagegen wird von vehementen Impfgegnern und Coronaleugnerinnen immer wieder behauptet und findet sich auch in den Stellungnahmen zum österreichischen Impfpflichtgesetz zur Genüge. Dieses Argument ist jedoch verfehlt: Der Nürnberger Kodex als ethische Richtlinie wurde beim Nürnberger Ärzteprozess 1946/47 als Reaktion auf die Verbrechen von NS-Medizinern formuliert. Er definiert ethische Grundsätze für Ärzte und Forschende bei „medizinischen Versuchen“ wie etwa die Freiwilligkeit der Teilnahme, bezieht sich allerdings nicht auf Impfungen zur Verhütung der Übertragung infektiöser Krankheiten. Der Rechtsanwalt und Experte für Arzneimittelrecht Matthias Cerha konkretisiert: „Bei den im Rahmen der Umsetzung der Impfpflicht verabreichten Impfstoffen handelt es sich um zugelassene Arzneimittel. Diese werden im Rahmen zugelassener Therapien eingesetzt. Das hat weder etwas mit medizinischer Forschung, noch mit ‚Versuchen‘ in der Diktion des Nürnberger Kodex zu tun.“ Auch eine besonders schnelle oder bedingte Zulassung von Impfstoffen ändere daran nichts.
Befürwortung auch von Seiten der Bevölkerung
Insgesamt ist diese Behauptung von Wegscheider als falsch einzustufen. Noch etwas härter formuliert es Verfassungsjurist Heinz Mayer: „Das ist alles ein blanker Unsinn ohne Einschränkung.“ Im Übrigen kann auch Wegscheiders Einschätzung, wonach „eine breite Mehrheit der Bevölkerung“ das Impfpflichtgesetz ablehne, nicht nachvollzogen werden. Die Impfpflicht ist natürlich umstritten. Umfragen dazu können divergieren: Die Ablehnung von Seiten einer breiten Mehrheit, wie von Wegscheider behauptet, ist allerdings nicht nachvollziehbar. Aus einer aktuellen Studie des Austrian Corona Panel Projects der Uni Wien geht etwa hervor, dass eine allgemeine Impfpflicht von 49 Prozent der Befragten befürwortet wurde. 62 Prozent befürworteten eine Impfpflicht für Berufsgruppen mit hohem Ansteckungsrisiko. Wegscheider ließ eine profil-Anfrage unbeantwortet, in der er um Belege für seine Behauptungen gebeten wurde.
Nein, die Impfkampagne ist nicht gesetzlich verboten
Ein besonderes Mysterium gibt es hierzulande auch bei der Werbung für Medikamente – die ist nämlich gesetzlich verboten. Insbesondere für rezeptpflichtige Arzneimittel gilt in Österreich ein absolutes Werbeverbot. Das schert die Regierung bei der millionenschweren Impfkampagne mit Inseraten und Fernsehspots herzlich wenig. (…) Seitens der Einheitsmedien wird diese Gesetzwidrigkeit seltsamerweise nicht hinterfragt.
Falsch
Das österreichische Arzneimittelrecht enthält grundsätzlich strenge Werbebeschränkungen. Dazu gehört insbesondere auch das gänzliche Verbot der Werbung an medizinische Laien, also etwa an Nicht-Ärztinnen oder –Apotheker – unter anderem auch für rezeptpflichtige Medikamente. Die Impfkampagne der Regierung fällt allerdings nicht unter dieses Verbot, wie Experte Matthias Cerha erklärt. Diese stelle nämlich gar keine Werbung im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG, § 50 Abs 2 Z 3) dar: „Das sieht auch der Oberste Gerichtshof so und hat deshalb bereits im Jahr 2014 klar ausgesprochen, dass eine derartige Impfkampagne nicht unter die Laienwerbebeschränkungen des AMG fällt.“ Damals ging es um eine Pneumokokken-Impfkampagne.
Nikolaus Forgó, Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht an der Uni Wien, führt außerdem die Ausnahmebestimmung für Impfkampagnen ins Treffen. Im Arzneimittelgesetz (§ 51 Abs 2) ist ausdrücklich geregelt, dass ein an Laien adressiertes Werbeverbot „nicht für von Gebietskörperschaften durchgeführte oder unterstützte Impfkampagnen“ gilt. Forgó: „Entweder ist Herrn Wegscheider die Bestimmung nicht bekannt, was bedauerlich wäre, oder er verschweigt sie bewusst, was noch bedauerlicher wäre. Beides lässt Rückschlüsse auf die Qualität der Argumentation zu.“ Friedrich Rüffler, Professor für Unternehmensrecht an der Uni Wien ergänzt: „Die Arzneimittelwerbung ist aus guten Gründen per Gesetz beschränkt. Das Gesetz sieht aber auch aus guten Gründen eine Ausnahme vor. Das ist ganz klar formuliert. Die Aussage ist daher völlig falsch.“
Genesene besser Geschützt als Geimpfte? Naja.
Alle internationalen Studien belegen, dass Genesene einen besseren Immunschutz besitzen als Geimpfte. Folglich haben Länder wie etwa die Schweiz die Gültigkeit des Covid-Zertifikats für genesene Personen von sechs auf zwölf Monate verlängert. In Österreich denkt man gar nicht daran.
Unbelegt
„Das ist Unsinn. Bei Omikron sind dreifach Geimpfte deutlich besser geschützt als Genesene“, meint die Virologin Dorothee von Laer gegenüber profil. Die Expertin relativiert allerdings: „Gegen Ende der Delta Periode hat sich abgezeichnet, dass Genesene einen längeren und stabileren Schutz haben als Geimpfte gegen Delta.“ Das treffe bei der Omikron-Variante allerdings nicht mehr zu. Dass „alle internationalen Studien belegen, dass Genesene einen besseren Immunschutz besitzen als Geimpfte“, sei jedoch unzutreffend, meint die Expertin und führt etwa eine ihrer aktuellsten Untersuchungen dazu ins Treffen, publiziert im New England Journal of Medicine. Der Pharmakologe Markus Zeitlinger verweist ebenso auf zahlreiche internationale Studien zur „besseren Immunogenität“ (die Sie etwa hier, hier und hier nachlesen können). Womit Wegscheider unbestritten Recht hat: Eine durchlaufene Corona-Erkrankung kann vor einer weiteren Infektion schützen – einen noch besseren Schutz bietet die Kombination aus Impfung und Erkrankung. Zeitlinger erklärt: „Antikörperspiegel wie nach der Boosterimpfung erreicht die Infektion alleine kaum.“
Epidemiologe Gerald Gartlehner vertritt die Ansicht, dass man in Österreich grundsätzlich „zu strikt“ mit Genesenen sei. Schließlich zeige eine Metaanalyse aus Yale von letztem September, dass 90 Prozent der Genesenen über sechs bis acht Monate eine gute bleibende Immunantwort haben würden. Das Problem bei genesenen Personen sei aber, „dass es sehr stark vom Krankheitsverlauf abhängt und eine leichte oder symptomfreie Erkrankung auch zu geringem Immunstatus führen kann.“ Der Immunschutz ist also sehr unterschiedlich. Seine Einschätzung: „Genesene, die sich impfen lassen, haben deutlich bessere Immunität als nur Geimpfte.“
Die Aussage von Wegscheider ist somit als unbelegt einzustufen. Zwar zeigen keinesfalls „alle internationalen Studien“, wie von ihm behauptet, dass Genesene einen besseren Immunschutz besitzen als Geimpfte. Worauf sich der Medienmacher allerdings genau bezieht, hat er profil nie beantwortet. Fest steht, dass auch eine überstandene Infektion Schutz bietet. Sämtliche Fachleute haben jedenfalls bestätigt, dass eine Corona-Schutzimpfung zu empfehlen sei.
Fazit
Der Intendant von ServusTV ist von seinem impfkritischen Kurs nicht abzubringen. Das Problem: Jede Woche verunsichert „Der Wegscheider“ aufs Neue mit eindeutigen Fehlinformationen und erreicht damit ein Millionenpublikum. faktiv empfiehlt: Trauen Sie diesem Mann bei Corona-Themen lieber nicht.