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Faktencheck

Wie sich die FPÖ einen „Bevölkerungsaustausch" herbeirechnet

Auf einer neuen Website prognostiziert die FPÖ: In 31 Jahren gibt es in Österreich mehr Menschen mit Migrationshintergrund als ohne. Warum die Berechnungen mehrfach fragwürdig sind.

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Zeit bis zum Kipppunkt: 31 Jahre. (…) Ab diesem Zeitpunkt gibt es im wahlfähigen Alter in dieser Region mehr Menschen mit Migrationshintergrund als Menschen ohne Migrationshintergrund.

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Freiheitliche Jugend OÖ

Irreführend

Noch 31 Jahre und rund fünf Monate bis zum „Kipppunkt“ – laut FPÖ jenem Zeitpunkt, ab dem die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung Migrationshintergrund hat. Um dieses Szenario zu visualisieren, hat die freiheitliche Jugend (FJ) ein Online-Dashboard kreiert: „bevölkerungsaustausch.at“. Auf weißem Hintergrund in dunkler Schrift ist für jedes Bundesland ein sekundengenauer Countdown abrufbar: In Wien dauert es zum Beispiel nur mehr sieben Jahre, bis die „autochthone Bevölkerung“ zur Minderheit wird.

Aber: Die Rechnungen sind in vielerlei Hinsicht widersprüchlich, die zugrundeliegenden Annahmen laut Fachleuten „höchst problematisch“.

Die Migrationsdefinition der FPÖ

Unter „Bevölkerungsaustausch“ - ein in der Neonazi-Szene der 1990er-Jahre beliebter Begriff - versteht die FPÖ, dass die Mehrheit in Österreich aus Menschen mit Migrationshintergrund besteht. Diese Gruppe definiert die FJ auf ihrer Website so: Personen, deren beide Elternteile im Ausland geboren wurden. Das entspricht auch der Definition der Statistik Austria. Der Unterschied: Nachkommen haben bei den Freiheitlichen immer den gleichen Migrationshintergrund wie die Eltern. Ob die FPÖ-Jugend das zu Ende gedacht hat? Alle in Österreich lebenden Personen, deren Vorfahren irgendwann zugewandert sind, wären demnach Migranten. Selbst prominente Vertreter der verschwörungstheoretischen Idee „Bevölkerungsaustausch“ – wie Ex-FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache: Die Familie seines Vaters stammt aus Tschechien, seine Mutter hat deutsche Wurzeln.

Die Statistik Austria, deren Daten verwendet wurden, bezeichnet die Migrations-Definition der FPÖ und damit die darauf basierenden Rechnungen als „nicht schlüssig“. Aufgrund fehlender flächendeckender Infos zum Migrationshintergrund macht nicht einmal das Statistikamt selbst dazu Prognosen.  Allerdings zum Geburtsort: Anfang des Jahres lag der Anteil der nicht in Österreich geborenen Personen bei 21 Prozent. Bis 2040 soll er auf 24 und bis 2080 auf 27 Prozent der Gesamtbevölkerung steigen.

Keine „Vermischung" von Bevölkerungsgruppen

Die FPÖ nimmt weiter an, dass Migranten und „Autochthone“ keine gemeinsamen Kinder bekommen. Auf der Website heißt es: „Für diese Modellrechnung gehen wir vereinfachend davon aus, dass sich die Bevölkerungsgruppen nicht vermischen.“ Das bezeichnet Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) als „höchst problematisch“: „Da bin ich beim alten Blutrassismus.“ Dass jene Annahme nicht der Lebensrealität entspricht, beweist ausgerechnet ein früherer FJ-Bundesobmann: Udo Landbauer, heute Landesparteiobmann der FPÖ Niederösterreich und Spitzenkandidat für die Landtagswahl, wurde als Sohn eines österreichischen Vaters und einer iranischen Mutter geboren. Aus Daten der Statistik Austria geht hervor: Bei 22 Prozent der Eheschließungen in Österreich im letzten Jahr wurde eine Person im Ausland und eine im Inland geboren.

Fragwürdige Annahmen

Die FPÖ-Rechnungen basieren nach eigenen Angaben auf der „Leslie-Matrix“ – einem mathematischen Modell zur Analyse des Bevölkerungswachstums. Laut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erfolgte die Anwendung jedoch auf „vollkommen unzureichende Weise, die nicht die Komplexität von Bevölkerungsprognosen beinhaltet“. Außerdem seien die FPÖ-Annahmen zur Fertilitätsrate „mit Sicherheit falsch“: Die freiheitliche Jugend geht in ihrer Prognose von einem doppelt so hohen Reproduktionsfaktor bei Migranten wie bei „Autochthonen“ aus. Nach dem Geburtenbarometer der ÖAW hat eine in Österreich geborenen Frau zuletzt rund 1,4 Kinder bekommen, eine im Ausland geborene Frau 1,8. Dass die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund als homogen gesehen wird, beanstanden Fachleute ebenso: Differenziert man die in Österreich lebenden ausländischen Staatsangehörigen nach ihrer Nationalität, sind Deutsche die mit Abstand größte Gruppe. „Und die Fertilität von deutschen Frauen in Österreich ist relativ niedrig“, so Isabella Buber-Ennser von der ÖAW.

Das von der FPÖ dargestellte Szenario bezieht sich auf alle wahlberechtigen Personen. Darunter fallen laut Website jene Menschen, die „mindestens 18 Jahre alt“ sind. Der Gedankenfehler: In Österreich ist die Wahlberechtigung auch an die Staatsbürgerschaft geknüpft, nicht nur an das Alter – welches bei 16 Jahren liegt. 

Fazit

Die Berechnungen der FPÖ sind irreführend. Die Definition, dass der Migrationshintergrund ewig weiter vererbt wird, ist realitätsfern und sinnlos. Und: Die Prognose weist zahlreiche Mängel auf – von mangelhaft angewandter Methodik bis hin zu falsch getroffenen Annahmen.

Mitarbeit: Lena Leibetseder

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.