Winzigs Missverständnisse im EU-Parlament
EU-Parlamentarier müssen in einer Plenarsitzung mitunter mehrere hunderte Male abstimmen – da kann man schon einmal den Überblick über die einzelnen Abstimmungsgegenstände verlieren und den falschen Knopf drücken. In den Bänken im Europaparlament sind Abstimmungsgeräte mit drei Tasten eingebaut, die bei namentlichen Abstimmungen zum Einsatz kommen können. Der Knopf links signalisiert „dafür“, der mittere Knopf eine Enthaltung, rechts steht folgerichtig für „dagegen“. Drückt ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete im Abstimmungs-Stress die falsche Taste, so kann dies nachträglich korrigiert werden.
Auch die ÖVP-EU-Abgeordnete Angelika Winzig macht gelegentlich Gebrauch von solchen nachträglichen Änderungen. Sie will dies unter anderem bei der Abstimmung über verpflichtende Herkunftskennzeichnung für Honig getan haben, wie sie in einem Interview mit den „Oberösterreichischen Nachrichten“ sagt. Ein Blick in die Ergebnisliste der betreffenden Abstimmung zeigt allerdings: Das stimmt nicht.
Da [bei der verpflichtenden Herkunftskennzeichnung für Honig] muss ich mich vertippt haben, das wurde nachträglich korrigiert.
Falsch
Ein Sprecher des Europäischen Parlaments bestätigt zunächst gegenüber profil: „Bei 705 Abgeordneten und mehreren hunderten Abstimmungen während einer Plenarsitzung kommt es gelegentlich zu unbeabsichtigtem Abstimmungsverhalten. Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen können im Nachhinein von Europaabgeordneten berichtigt werden und erscheinen als solche auf den Ergebnislisten für die betreffende Abstimmung.“ Diese Berichtigungen dienen jedoch lediglich der Information und haben keinen Einfluss auf das im Plenum verkündete Abstimmungsergebnis. Heißt: Sollte eine Abstimmung ganz knapp entschieden werden, dann kann eine spätere Berichtigung nicht zu einem anderen Ergebnis führen.
Die Ergebnislisten sind bei namentlichen Abstimmungen auf der Homepage des EU-Parlaments für alle einsehbar. Unter „+“, „0“ und „-“ werden die jeweiligen Namen angeführt; in einem zusätzlichen Feld mit der Überschrift „Berichtigungen des Stimmverhaltens und beabsichtigtes Stimmverhalten“ werden etwaige nachträgliche Korrekturen angeführt.
Bei der Abstimmung zur verpflichtenden Herkunftskennzeichnung für Honig am 12. Dezember 2023 hat sich Angelika Winzig, wie von den OÖN richtig angeführt wird, enthalten. Korrigiert hat die Abgeordnete ihre Stimme, so wie sie im Interview behauptet, laut Ergebnisliste jedoch nicht. In dieser Abstimmung ging es um die Position des Parlaments für die Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission über die Erneuerung der sogenannten „Frühstücksrichtlinien“, dabei handelt es sich um mehrere EU-Richtlinien, die unter anderem die Zusammensetzung und die Kennzeichnung von Lebensmittelprodukten, die normalerweise beim Frühstück vorkommen, regeln sollen. Darunter die für Österreich emotional aufgeladene Frage, ob Konfitüre auch Marmelade heißen darf.
Die Enthaltungen sowie die nachträglichen Änderungen bei der Abstimmung über die Position des EU-Parlaments bezüglich der Frühstücks-Richtlinien
Mittlerweile gab es eine Einigung von Parlament, Rat und Kommission über die Erneuerung dieser Richtlinien, die am 10. April vom EU-Parlament formal gebilligt wurde – diesmal auch mit der Pro-Stimme von Angelika Winzig.
Die ÖVP argumentiert: „Mit der Zustimmung bei der finalen Abstimmung wurde die erste Abstimmung korrigiert“, so ein Sprecher der Partei.
Darüber hinaus ist jedoch Winzigs ursprüngliche Enthaltung kein Fehler gewesen: „Bei der ersten Abstimmung über die Parlamentsposition im Dezember 2023 hatte sich Angelika Winzig enthalten, weil diese ursprüngliche Version zu enormen bürokratischen Hürden für Marmelade- und Fruchtsaft-Produzenten geführt hätte“, so der Sprecher.
Das [die Enthaltung bei der Reduktion von Plastikmüll] war ebenfalls ein Tippfehler.
Falsch
Die „Oberösterreichischen Nachrichten“ stellen Winzig dann noch eine Nachfrage. Nämlich: Warum sie sich bei einer Abstimmung zur Reduktion von Plastikmüll ebenfalls enthalten hätte. Winzig darauf wiederum: „Das war ein Tippfehler.“
Ein Blick in die Ergebnisliste zeigt allerdings: Auch Winzigs ÖVP-Kollegen Wolfram Pirchner, Barbara Thaler und Lukas Mandl haben sich enthalten – alle haben keine Änderungen an ihrem Abstimmungsverhalten vorgenommen. Hat sich die ÖVP-Delegation hier wirklich kollektiv vertippt? „Nein“, sagt der Sprecher der Abgeordneten. Auch Angelika Winzig nicht, hier sei es im Interview zu einem Missverständnis gekommen, so der Sprecher: „Nachdem man als EU-Abgeordneter in einer Periode an mehr als 5.000 Abstimmungen teilnimmt, kam es im Interview wohl zu einem Missverständnis. Selbstverständlich tritt Angelika Winzig für die Reduzierung von Plastik- und Verpackungsmüll ein. Nachdem der konkrete Vorschlag aber praxisfern ist und zu mehr Bürokratie für unsere Unternehmen führen kann, hat sich Angelika Winzig hier enthalten.“
Die Österreichische Gesellschaft für Europapolitik stellt im Abstimmungsmonitoring das Abstimmungsverhalten aller österreichischen EU-Abgeordneten bei ausgewählten namentlichen Abstimmungen dar. Bei der Abstimmung über neue EU-Regeln zur Bekämpfung des wachsenden Verpackungsmülls haben sich vier ÖVP-Abgeordnete enthalten, darunter Angelika Winzig.
Fazit: Das Stimmverhalten der vier ÖVP-EU-Abgeordneten, die sich bei einer Abstimmung zu Verpackungsabfällen enthielten – darunter Angelika Winzig – war laut einem ÖVP-Sprecher kein Tippfehler. Auch diese Aussage der Abgeordneten ist somit falsch.
Die Ergebnisliste zur Abstimmung die Position des Parlaments für die Verhandlungen mit dem Rat und der Kommission über die Erneuerung der Frühstücksrichtlinien finden Sie hier (S. 48 und 49)
Die Ergebnisliste zur finalen Abstimmung über die Frühstücksrichtlinien finden Sie hier (S. 129 und 130)
Die Ergebnisliste zur Abstimmung über Verpackungen und Verpackungsabfälle finden Sie hier (S. 32 und 33)