Faktencheck

Zu wenige Asyl-Quartiere: Die irreführenden Ausreden der Bundesländer

Nur das Burgenland und Wien nehmen so viele Flüchtlinge auf wie vereinbart – teilweise sogar bedeutend mehr. Mit welchen irreführenden Aussagen Kärnten und Oberösterreich versuchen, sich aus der Verantwortung zu ziehen.

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Das Innenministerium hat erste Zelte für Flüchtlinge aufgebaut. Was von vielen als billige PR-Maßnahme kritisiert wird, hält der Bund für notwendig. Denn: Während die Zahl der Asylanträge steigt, eröffnen die Länder nur zögerlich neue Unterkünfte. Das Ergebnis: Bundeseinrichtungen wie Traiskirchen, in denen Flüchtlinge nur zu Beginn des Asylverfahrens untergebracht werden sollen, platzen aus allen Nähten. Aus Statistiken des Innenministeriums geht hervor: Lediglich das Burgenland und Wien erfüllen die zwischen Bund und Ländern festgelegte Unterbringungsquote, die auf Basis der Bevölkerungsanzahl errechnet wird. Andere Bundesländer haben sich eine Rechtfertigungsstrategie gebastelt, mit der sie versuchen, die Kritik an zu wenigen Quartieren zu kontern. Valide Argumente oder ein Tricksen um die Asylquote? Ein Faktencheck.

Wir erfüllen unsere Quote. Zu 102 Prozent bei Asylwerbenden und zu 110 Prozent bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Wo wir säumig sind, ist der Bereich der ukrainischen Vertriebenen.

Peter Kaiser

SPÖ-Landeshauptmann, Kärnten, 17. Oktober 2022, „Kurier”

Irreführend

Laut Grundversorgungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern müssten in Kärnten derzeit etwas mehr als 5700 geflüchtete Menschen untergebracht sein. Mit 17. Oktober waren es nur rund 3600. Das entspricht einer Quote von 62,2 Prozent, dem niedrigsten Wert aller Bundesländer. Damit konfrontiert, rechtfertigt sich der SPÖ-Landeshauptmann Peter Kaiser mit einer eigenwilligen Rechnung. Das Land erfülle die Quote „zu 102 Prozent bei Asylwerbenden und zu 110 Prozent bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen“. Säumig sei man bei der Aufnahme von Ukrainern.

profil überprüfte die Zahlen – sie stimmen im Wesentlichen. Das Problem: Ukrainer machen mehr als die Hälfte der derzeit über 90.000 Menschen in Grundversorgung aus. Von dieser Gruppe beherbergte Kärnten Mitte Oktober 2,3 Prozent, erfüllt die Quote hier nur zu etwas über einem Drittel. Und das ist zentral: Die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern sieht keine Unterscheidung zwischen Ukrainern und anderen Menschen vor. Als Grundlage für die Quote werden alle „hilfs- und schutzbedürftigen Fremden“ zusammengezählt. Der Verein „asylkoordination“ nennt die Kärntner Argumentation treffenderweise „Rosinenpicken“.

Deutlich wird der irreführende Charakter der Rechtfertigung auch in einer Antwort der SPÖ-Flüchtlingslandesrätin Sara Schaar auf eine profil-Anfrage: Es stünden derzeit Quartiere für Ukrainer frei, versichert sie. Diese würden allerdings nicht nach Kärnten kommen, weil sie ihren Aufenthaltsort - anders als Asylwerber - frei wählen können und sich eher für Städte wie Wien oder Graz entscheiden. Das ist zwar richtig. Warum Kärnten dem Bund die - angeblich - leerstehenden Quartiere nicht für andere Asylwerber anbietet und so versucht, die Quote aufzubessern, erklärt das Land nicht. Die Frage, wie viele Plätze leer stünden, blieb unbeantwortet. Insgesamt ist die Aussage irreführend.

In diesem Jahr haben wir [...] bereits über 25 Prozent aller durch den Bund an die Länder überstellten Asylwerber übernommen. Damit kommen wir unserer Verantwortung mehr als nach.

Thomas Stelzer und Wolfgang Hattmannsdorfer

ÖVP-Landeshauptmann und ÖVP-Integrationslandesrat Oberösterreich, 17. Oktober 2022, Aussendung

Irreführend

profil liegen die aktuellen Zahlen zur Grundversorgung vor. Oberösterreich hat mit 18. Oktober rund 11.700 Personen untergebracht. Das entspricht einer Quotenerfüllung von 76,9 Prozent, damit liegt das Land um gut 3500 Versorgungsplätze hinter seinen Verpflichtungen zurück. In keinem anderen Bundesland fehlten Mitte Oktober mehr Personen auf das Soll. Wie rechtfertigt sich der für Integration zuständige Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP)? Man sei im bundesweiten Quotenvergleich im Mittelfeld. Vor einem Jahr - als man das Ressort übernahm, wie betont wird; zuvor lag es bei den Grünen - sei man hier noch auf dem letzten Platz gewesen. Das Land habe seither viele zusätzliche Plätze geschaffen, heißt es gegenüber profil.

In einer gemeinsamen Aussendung mit ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer wirft Hattmannsdorfer eine weitere Zahl in den Ring: Seit Jahresbeginn habe Oberösterreich ein Viertel der vom Bund an die Länder überstellten Asylwerber aufgenommen, genau seien es 3220 Personen gewesen. Diese Zahl stimmt zwar – nicht jedoch, dass Oberösterreich seiner Verantwortung damit „mehr als nach“ komme, wie Hattmannsdorfer sagt. Denn: „Das Land startete auf niedrigem Niveau und erfüllt dennoch die Quote nicht. Darauf ist abzustellen, nicht auf einen Teilbereich“, so Lukas Gahleitner-Gertz von der „asylkoordination“. Auch das Innenministerium mahnt mit Verweis auf die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern „Partnerschaftlichkeit“ ein. Die Behauptung aus Oberösterreich ist somit irreführend.

Laut Gahleitner-Gertz öffnet vor allem mangelnde Transparenz Türen für Schummel-Taktiken und Beschönigungsversuche: „Es gibt keine öffentlichen Daten. Und wenn, dann nur sehr spät und unvollständig. Das führt dazu, dass sich jedes Land einen Teil der Statistiken heraussucht, um gut dazustehen.“

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

war bis Oktober 2024 stv. Online-Ressortleitung und Teil des faktiv-Teams.

Katharina Zwins

Katharina Zwins

war Redakteurin bei profil und Mitbegründerin des Faktenchecks faktiv.